Demonstration für den Erhalt von Industriearbeitsplätzen – Autogipfel veranschaulicht desolate Industriepolitik

Der Sensenmann schreitet voran

In der vergangenen Woche wurden mit Hessens letztem Stahlwerk auch rund 450 tarifgebundene und mitbestimmte Industriearbeitsplätze symbolisch zu Grabe getragen. Was ursprünglich nur als Trauerzug für das Buderus-Werk in Wetzlar geplant war, entwickelte sich unter der Losung „Industrie braucht Zukunft“ zu einer kraftvollen Demonstration für den Erhalt industrieller Arbeitsplätze und Standorte in der Region. An der Spitze lief der Sensenmann, ihm folgte ein von Stahlkochern getragener Sarg.

„Die Industrie braucht sichere Arbeitsplätze, keine Schließungen wie bei Continental in Wetzlar, Breyden in Lollar oder eine Zerschlagung wie bei Buderus Edelstahl. Das ist nicht nur ein Angriff auf die Betriebe und die Beschäftigten – das ist ein Angriff auf die Zukunft unserer Industrie in der Region. Gemeinsam auf die Straße und Flagge zeigen“, hieß es im Demonstrationsaufruf der lokalen IG Metall.

Dem Aufruf folgten zahlreiche Metallerinnen und Metaller, darunter Beschäftigte der ebenfalls vor der Schließung stehenden Eisengießerei im benachbarten Lollar, des Wetzlarer Continental-Standorts und weiterer Betriebe aus Mittelhessen. Sie alle eint die Angst um ihren Arbeitsplatz und die Zukunft ihrer Familien.

Die Arbeitsplatzvernichtung folgt meist dem gleichen perfiden Muster: Börsennotierte Private-Equity-Gesellschaften kaufen mittelständische Unternehmen oder Konzernausgliederungen auf, um sie anschließend zu filetieren. Betriebsteile, die nicht genug Rendite für die Aktionäre abwerfen, werden geschlossen. Was übrig bleibt, wird von den „Heuschrecken” ausgesaugt und anschließend mit Gewinn weiterverkauft. In Kombination mit Krise und Transformation unter kapitalistischen Vorzeichen ist dies eine toxische Mischung, bei der immer mehr Lohnabhängige auf der Strecke bleiben.

Angesichts dieser gemeinsamen Erfahrung verwandelte sich die anfängliche Trauer der Kolleginnen und Kollegen im mittelhessischen Industriegebiet in Wut – und mündete schließlich in Protest. Ein Blick über die Grenzen des „kleinen Ruhrgebiets“ zwischen Lahn und Dill zeigt, dass entschlossene Gegenwehr auch andernorts dringend geboten ist. Laut Zahlen der Bundesagentur für Arbeit werden jeden Monat rund 10.000 Jobs im industriellen Sektor vernichtet. Die Ankündigungen der Entscheider in den Vorstandsetagen – ob bei Bosch, ZF oder Ford – belegen, dass ein Ende des Kahlschlags nicht absehbar ist.

Dass vertrauensvolle Gespräche mit Politik und Kapital an dieser Entwicklung etwas grundlegend ändern, glaubt in den Produktionshallen, Eisengießereien und Stahlwerken aus gutem Grund niemand mehr. Den jüngsten Beleg hierfür lieferte der „Autogipfel“ im Kanzleramt in der vergangenen Woche. Ein Ergebnis der Gespräche war nicht, die Industrie umzubauen und die Konjunkturförderung sozial zu gestalten sowie staatliche Förderungen an Bedingungen wie Tarifbindung und Vereinbarungen zur Beschäftigungs- und Standortsicherung zu knüpfen, wie es beispielsweise die IG Metall in ihrem Elf-Punkte-Papier fordert. Auch nicht, dass Spitzenverdiener und Superreiche angemessen an den Kosten der Transformation beteiligt werden. Stattdessen gab es aus der Politik unverbindliche Aussagen zum zukünftigen Kurs bei der Mobilitätswende. Bundeskanzler Friedrich Merz wiederholte seine Position, dass er sich hier mehr Flexibilität wünsche: Einen „harten Schnitt“ beim Verbrenner-Aus im Jahr 2035 dürfe es nicht geben – dafür werde er sich in Brüssel einsetzen.

Von Vizekanzler Lars Klingbeil war zu hören, dass damit nicht am Ziel gerüttelt werde, die Elektromobilität in Deutschland weiter auszubauen. An einer neuen Art der E-Auto-Prämie, die es für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen geben solle, müsse noch gearbeitet werden. Details stünden aber noch nicht fest. Klar sei lediglich, dass die Kfz-Steuerbefreiung für reine E-Autos über das Jahresende hinaus verlängert werden soll. Angesichts einer solch desolaten Industriepolitik ist der Sensenmann wohl der Einzige, der sich keine Sorgen um seinen Arbeitsplatz machen muss.

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"Der Sensenmann schreitet voran", UZ vom 17. Oktober 2025



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