Deutsche Autobauer in der Coronakrise

Der Test für „neues Arbeiten“

Die Unternehmen der deutschen Autobauer waren die ersten, die die Produktion von PKW und LKW stoppten. Im Dominoeffekt stoppte oder drosselte dann die Zulieferindustrie von A bis Z ihre Produktion; von Bosch über Mahle und Leoni bis ZF Friedrichshafen.

Als Begründung wurden das Ausbleiben von Zulieferteilen und das Coronavirus genannt. Schaut man die Meldungen aus den Unternehmen ein wenig genauer an, findet man immer häufiger in Nebensätzen das Wort Absatzeinbrüche. Da liegt auch der wesentliche Grund, denn schon Ende 2019 gingen die Absätze von Audi, BMW, Daimler und VW spürbar zurück. Der Shutdown in der Auto- und Zulieferbranche läuft inzwischen weltweit. Ende März liefen über einen Ticker des Informationsdienstes ‚Automobil-Industrie online im Halbstundenrhythmus Meldungen über Produktionseinstellungen in Großbritannien, Russland, Kanada, USA, Mexiko.

Wer allerdings daraus schließt, dass die komplette Industrie stillsteht, irrt gewaltig. Das neue Zauberwort, um trotz Ausgangssperren und Social-distancing weiter arbeiten zu lassen, heißt Home-Office. Überschrift in einem Newsletter: „Digitalisierung macht unsere Arbeit tatsächlich einfacher und effizienter!“ Dies gilt insbesondere für die Softwareindustrie mit ungefähr 1,2 Millionen Beschäftigten, aber auch in der Automobilbranche oder im Maschinen- und Anlagenbau.

Jürgen Nowicki, Sprecher der „Arbeitsgemeinschaft Großanlagen“ des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) und Vizepräsident von Linde Engineering, erklärt gegenüber dem Fachblatt „Produktion“, wie das funktioniert. „Momentan arbeiten 1.800 der rund 2.000 Mitarbeiter von zu Hause aus. Teilweise mussten dabei kreative Lösungen gefunden werden. Die Designer seien es gewohnt, an speziellen, großen Bildschirmen zu arbeiten.“ Also habe man diese Schirme in Windeseile den Kollegen ins Home-Office geliefert, um die Abteilung arbeitsfähig zu halten. Denn eigentlich arbeite und sitze man im Großanlagenbau eng beieinander. Wie in vielen anderen Bereichen kommunizieren die Beschäftigten nun unter anderem per Videokonferenzen. Überall arbeite man extrem diszipliniert und zielgerichtet“, so Nowicki. Das Redaktionsnetzwerk RND bestätigt die Vorgehensweise: „Wegen des Coronavirus erleben Home-Office und Mobile Arbeit einen regelrechten Boom“ und „dies sei gut so, denn schließlich schützt die Arbeit daheim vor Ansteckung und reduziert zugleich Ausfallrisiken für den Betrieb“. Unternehmen wie Google oder Facebook empfehlen ihren Mitarbeitern wegen der Coronagefahr derzeit, zu Hause zu arbeiten. Mittelständische Software-Firmen machen dies ebenfalls; darunter solche aus der Zulieferindustrie. Die IT-Abteilungen haben die Zugänge für den Laptop, der eh das normale Arbeitsgerät ist, für die internen Firmennetzwerke freigeschaltet. Ein wenig Kopfzerbrechen bereiten schlimmstenfalls noch Cyberattacken.

Das Virus „zwingt“ also immer mehr Beschäftigte ins Home-Office und diese sind angeblich begeistert. Der Bundesverband der Digitalwirtschaft (BVDW) ist mit einer Umfrage vom März 2020 schnell zur Hand. „66,1 Prozent erwarten von ihrem Arbeitgeber, entsprechende digitale Lösungen anzubieten und die Mehrheit der Arbeitgeber ist dazu auch in der Lage.“ Wohl wahr. Die Unternehmen stehen mitnichten plötzlich vor neuen Problemen, sondern sind auf Situationen wie jetzt längst vorbereitet. Schon vor vier Jahren hatte Daimler-Chef Dieter Zetsche seinen Mitarbeitern versprochen: „Ich will die Arbeit für Sie schöner machen! Sie dürfen teilweise von zuhause, im Café oder im Park arbeiten.“ Durchgesetzt hatte sich dies im großen Umfang bislang nicht, denn die Unternehmen müssen bei Home-Office sicherstellen, dass dieselben Arbeitsschutzmaßnahmen wie im Büro eingehalten werden. Davon ist unter den Randbedingungen des Virus erst mal nicht mehr die Rede. Die „Not“ erfordert eben schnelles und kreatives Vorgehen.

Für die Unternehmen bietet Home-Office gravierende Vorteile. Sie brauchen weniger Büroraum. Heizung, Strom, Klopapier zahlen die Beschäftigten jetzt selber und das Thema flexible Arbeit rund um die Uhr im Interesse von Maximalprofiten ist ebenfalls „gelöst“.

Der Stress bei Home-Office bleibt bei den Beschäftigten hängen. Ganze Familien müssen ihren Arbeitsalltag umstellen. Da die Kinder nicht mehr in die Schule gehen können oder die Kleinen nicht mehr in den Kinderhort, haben sie jetzt drei Jobs am Hals. Den Brotjob von acht Stunden, die Kinderbetreuung und den des Lehrers beziehungsweise der Lehrerin, weil die Schule jetzt zu Hause stattfindet. Die Krise wird genutzt, um auszuprobieren, was alles „privatisiert“ werden kann. Es wird gewaltige Anstrengungen erfordern, dass dies nicht zum Normalbetrieb wird.

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"Der Test für „neues Arbeiten“", UZ vom 10. April 2020



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