Vor den Kommunalwahlen fehlt es den Gemeinden in Rheinland-Pfalz an Geld. Bürger zahlen für Dauerkrise

Der tiefe Griff in unsere Taschen

Am 9. Juni finden in Rheinland-Pfalz (RLP) zeitgleich mit der EU-Wahl die Kommunalwahlen statt. Während sich in den Kreisen, Städten und Verbandsgemeinden zumeist noch ausreichend Kandidatinnen und Kandidaten um Sitze bewerben, wird es in über 2.000 kleinen Gemeinden immer schwieriger, solche zu finden. Besonders das ehrenamtliche Bürgermeisteramt wird unattraktiver. Zu den Ursachen gehören die persönlichen Belastungen durch immer mehr Aufgaben und die fehlenden Finanzmittel in fast allen Kommunen.

Die als Kommunalaufsicht in RLP tätige Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) hatte 2023 zwei Drittel der Gemeindehaushalte nicht mehr genehmigt, da die Neuverschuldung zu hoch angesetzt war. Dabei reichte das Geld zumeist nicht einmal für die Pflichtaufgaben der Gemeinden, über deren Finanzierung die Räte nicht wirklich entscheiden können. Dazu zählen zum Beispiel der Unterhalt der Gemeindestraßen, der Gebäude und Einrichtungen von Grundschulen und Kindertagesstätten oder der Feuerwehr. Hinzu kommen die Kosten für Sozialhilfe und für Unterkunft nach dem Sozialgesetzbuch II. Diese machten im vergangenen Jahr bundesweit 20,8 Prozent der kommunalen Ausgaben aus – rund 76 Milliarden Euro. Die von Rechten immer wieder thematisierten Ausgaben nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beliefen sich gerade mal auf 3,7 Milliarden Euro, also ein Prozent der Gesamtausgaben. Jüngst wurde der Nahverkehr in RLP zur kommunalen Pflichtaufgabe, wobei hier Kreise und kreisfreie Städte gefordert sind. Die finanzieren sich aber über Umlagen, die von den Gemeinden gezahlt werden.

Die Kommunen finanzieren sich im Wesentlichen über die Gewerbesteuer und die Grundsteuern – Letztere dürfen die Vermieter als Nebenkosten auf Mieterinnen und Mieter abwälzen – und einen Anteil von 15 Prozent an der Einkommensteuer ihrer Einwohnerschaft. Die ADD hatte die Kommunen aufgefordert, entweder ihre Ausgaben massiv zu begrenzen, was bei Pflichtaufgaben illusorisch ist, oder die Steuern massiv zu erhöhen. Was dazu führt, dass wirtschaftlich schwache Kommunen ihre Einwohnerschaft und die Gewerbebetriebe stärker als andere belasten müssen und damit als Wirtschaftsstandort und Wohnort noch weniger attraktiv werden. In der Folge wurden in zahlreichen Kommunen die Grundsteuern erhöht. Wobei zu befürchten ist, dass im Zuge der bundesweiten Umstellung des Bemessungssystems von alten Einheitswerten auf heutige Verkehrswerte ab 2025 weitere Belastungen kommen werden. Jüngst äußerte sich beispielsweise der Bad-Kreuznacher Kämmerer dahingehend, dass bei Gewerbegrundstücken eine massive Senkung der Besteuerung zu erwarten sei. Die Hebesätze für Wohngrundstücke müssten deshalb mehr als verdoppelt werden, um das bisherige Steueraufkommen zu erhalten.

Besonders belastet wurden Rheinland-Pfälzer zudem durch Anwohnerbeiträge beim Straßenneubau und -ausbau mit bis zu 80 Prozent der Kosten. Die Hälfte der Bundesländer kennt solche Beteiligungen überhaupt nicht, in den anderen ist die Erhebung in der Regel keine Pflicht. Um das rechtlich umstrittene System vor dem Aus zu retten, ersetzte die Landesregierung von SPD, Grünen und FDP es durch die Einführung sogenannter „Wiederkehrender Beiträge“, die jährlich von allen zu entrichten sind. Je nach Zuschnitt der Berechnungsgebiete werden damit dann auch Bewohner älterer Wohngebiete mit Eigenheimen für den Ausbau innerstädtischer Zentren belastet, der vor allem im Interesse von Handelskonzernen und Banken liegt.

Zudem steigen die Belastungen für das Anwohnerparken. Waren die jährlichen Gebühren durch Bundesrecht bis 2023 noch auf 31,50 Euro jährlich gedeckelt, kann nun jede Kommune nehmen, was sie will. In Bad Kreuznach sind das zum Beispiel 180 Euro, nachdem der ursprüngliche Plan, den Preis auf 360 Euro mehr als zu verzehnfachen, an Protesten scheiterte. Erhöhungen in den nächsten Jahren sind angekündigt.

Dabei ist die Misere weder natur- noch gottgewollt. Sie ist auch einer Steuerpolitik geschuldet, die große Einkommen und Vermögen immer mehr schützte und schützt. Hinzu kommen die zunehmend steigenden Rüstungslasten. Da werden jetzt schon 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes als Option genannt, also 175 Milliarden Euro jährlich. Das sind mehr als 50 Prozent der gesamten Kommunalschulden von 314 Milliarden Euro (2022). Kommunalpolitik ist nicht, wie bürgerliche Ideologen verbreiten, ein gemeinsames überparteiliches Suchen nach besten Lösungen, sondern ein Kampffeld, auf dem die Klassengegensätze fast so scharf wie im Betrieb aufeinandertreffen. Das bewusst zu machen ist auch unsere Aufgabe.

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"Der tiefe Griff in unsere Taschen", UZ vom 12. April 2024



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