Die Befreiung Vietnams • Teil 2 von 4

Die Ära des Widerstands

Marius André Käch

Vor 80 Jahren erhob sich Vietnam mit der Augustrevolution aus der kolonialen Unterdrückung. Seither hat die Sozialistische Republik in der Praxis bewiesen, dass Weltmächte bezwungen und neue Produktivkräfte in den Diensten der werktätigen Klassen geschaffen werden können. Diese Serie aus vier Beiträgen nimmt das Jubiläum zum Anlass, die vietnamesische Sicht auf die eigene Geschichte zugänglich zu machen. Grundlage ist dafür die Analyse, Perspektive und Dokumentation der Kommunistischen Partei Vietnams, die die Revolution und den Aufbau des Landes als Einheit von nationaler Befreiung und sozialistischer Entwicklung begreift. Ziel ist es, die letzten acht Jahrzehnte in ihren Etappen verständlich zu machen und aus marxistisch-leninistischer Perspektive einzuordnen.

Mit der Unabhängigkeitserklärung begann für Vietnam der lange und beschwerliche Weg in die Freiheit. Frankreich versuchte, die Kolonie zurückzuerobern, und später die USA, das Land militärisch zu unterwerfen. Das führte zu einem drei Jahrzehnte währenden Befreiungskampf, der 1975 mit der Wiedervereinigung in der Sozialistischen Republik Vietnams endete.

Weniger als ein Jahr nach der Unabhängigkeitserklärung durch Hồ Chí Minh griffen französische Truppen Hanoi an. Daraufhin wurde der Volkskrieg ausgerufen und auf Guerillataktik gesetzt, um die Zivilbevölkerung zu evakuieren und die Produktion von den Städten in die Wälder und Berge zu verlegen. Unter horrenden Verlusten wurden die französischen Invasoren gegen die Guerilla in einen Abnutzungskrieg gezwungen, den sie trotz der materiellen Unterstützung durch die USA nicht zu gewinnen vermochten. Die Việt Minh hingegen wurden von der Bevölkerung getragen und durch die Volksrepublik China sowie die Sowjetunion bewaffnet. Ihr Sieg war nur eine Frage der Zeit. Zur Entscheidungsschlacht kam es in den frühen Abendstunden des 13. März 1954. Die Artillerie der Việt Minh begann, die Festung Điện Biên Phủ einzuebnen, während die Infanterie Schützengräben bis an die französischen Stellungen grub. Bunker für Bunker, Hügel für Hügel wurde erobert, bis die rote Fahne mit goldenem Stern am 7. Mai über dem Kommandobunker wehte. Für Vietnam war dies die Möglichkeit, eine eigenständige Entwicklung zum Sozialismus einzuleiten.

Genfer Abkommen

Die Niederlage Frankreichs wurde am 21. Juli 1954 mit der Genfer Konferenz festgehalten. Frankreichs Truppen mussten vollständig abziehen, und Vietnam wurde vorläufig am 17. Breitengrad in Nord und Süd und zwei Systeme geteilt, damit bis 1956 friedliche Wahlen im ganzen Land für eine neue Regierung vorbereitet werden konnten. Da Hồ Chí Minh und die Kommunisten bei dieser Wahl mit großem Vorsprung gewonnen hätten, setzen sich die USA zum Ziel, die Ausbreitung des Sozialismus zu verhindern. Sie machten das korrupte Diem-Regime im kapitalistischen Süden von sich wirtschaftlich, politisch und militärisch abhängig. Zeitgleich wurde im Norden die soziale Frage sofort angegangen. 1954 wurde eine Landreform beschlossen, die trotz Fehler in der Durchführung eine historische Wendung war. Großgrundbesitzer wurden enteignet und deren Land für Landwirtschaft und Wohnbebauung an die Menschen zugeteilt. Zeitgleich begann man, Betriebe, Ressourcen und Agrarwirtschaft in Genossenschaften und Staatsbetrieben zu kollektivieren. Dies war der Beginn der frühen Industrialisierung und des Aufbaus einer rationierten, zentral geplanten Wirtschaft nach sowjetischem Modell, die das Land zwar durch schwere Zeiten tragen, doch vor allem im Frieden an seine Grenzen stoßen wird.

Der Amerikanische Krieg

Bereits sehr früh zeichnete sich ab, dass die Marionettenregierung im Süden mit brutalster Repression versuchte, ihre Macht zu konsolidieren, anstatt Wahlen zu organisieren. Innerhalb von zwei Jahren wurden zwei Millionen Menschen zwangsumgesiedelt, über 270.000 inhaftiert und mehr als 65.000 hingerichtet. Bereits 1960 formierte sich eine Volksfront, mitgetragen von der Kommunistischen Partei, unterstützt von der Sowjetunion, zum Sturz der Regierung und begann den bewaffneten Kampf. Die Nationale Front zur Befreiung Südvietnams (FNL), auch bekannt als Việt Cộng, wurde geboren. Damit der Süden sich militärisch behaupten konnte, inszenierten die USA 1964 den Tonkin-Zwischenfall und begannen mit ihrer Invasion. Hunderttausende US-Bodentruppen sollten die Guerilla im Süden bekämpfen. Sie verbrannten und massakrierten dabei ganze Landstriche. Mit systematischen Bombardierungen wie der Operation „Rolling Thunder“ sollte Nordvietnam zurück in die Steinzeit gebombt werden. Gleichzeitig wurden chemische Kriegswaffen wie „Agent Orange“ eingesetzt, um im Süden der FNL den Dschungel als Deckung und der Zivilbevölkerung Agrarflächen zur Nahrungsversorgung zu nehmen. Die Befreiungsfront begann, sich im urbanen Untergrund und in Wald und Bergen einzugraben. 1968 wurden mit der Tết-Offensive den USA ein herber Schlag versetzt. Anstatt den Krieg mit Technologie und Feuerkraft schnell zu gewinnen, wurden Militärbasen im ganzen Land unter Feuer genommen und sogar die US-Botschaft besetzt. In der Folge breitete sich der globale Widerstand, zuerst getragen von den Kommunistischen Parteien, auf die Zivilbevölkerung aus. Der Kampf für die Freiheit Vietnams wurde international.

Wiedervereinigung

In einem verzweifelten letzten Versuch wollten die USA im Winter 1972 mit einer Massenbombardierung Nordvietnam zur Kapitulation zwingen. Doch die Siegesträume der USA mit dem „Christmas Bombing“ wurden mit dem dichten Netz von Luftabwehr und den Sowjetischen SA-2-Boden-Luft-Raketen vom Himmel auf den Boden der Realität geholt. Seit Kriegseintritt der USA wurden nach Angaben Nordvietnams über 4.000 Flugzeuge und mehr als 5.600 Hubschrauber abgeschossen. Mit den Pariser Verträgen 1973 mussten sie sich geschlagen geben und zogen sich vollständig aus dem Krieg zurück. Die Marionettenregierung im Süden war nun im Kampf gegen FNL und die Volksarmee Nordvietnams auf sich allein gestellt. Provinz für Provinz und Stadt für Stadt wurden befreit, bis im Frühling 1975 die Stunde des Sieges zum Greifen nah war. Zwar konnte Hồ Chí Minh, mittlerweile liebevoll Onkel Hồ genannt, den Sieg nicht mehr miterleben, doch war er Namensgeber für den Sturm Saigons, der Hồ-Chí-Minh-Kampagne. Am 30. April 1975 durchbrachen T-54-Panzer die Tore des Präsidentenpalasts in Saigon und hissten die Fahne der FNL. Nach fast 30 Jahren Krieg war Vietnam endlich frei.

Der Wiederaufbau

Politisch und militärisch konnte das Volk Vietnams siegen. 1976 wurden zum ersten Mal ungehindert Wahlen im ganzen Land abgehalten und das Land in der Sozialistischen Republik Vietnam wiedervereinigt. Doch der Preis für Frieden und Freiheit war hoch. Mehr als vier Millionen Tote, über 7,6 Millionen Tonnen Bomben und an die 80 Millionen chemischer Kriegswaffen setzten dem Land schwer zu. Ganze Landstriche, Äcker und rund 20 Prrozent des Waldes im Süden waren vergiftet, das ganze Land übersät mit Blindgängern und Minen, Häuser, Infrastruktur und Wirtschaft lagen in Trümmern. Nach wie vor waren die Produktionsmittel unterentwickelt und auf dem Level eines halbfeudalen und halbkolonialen Staates geprägt vom Asiatischen Modus der Produktion. Angesichts des Embargos durch den Westen und der Abhängigkeit vom Ostblock war der Aufbau eines unabhängigen und sozialen Vietnams zwar schwierig, aber nicht unmöglich.

Unser Autor kommt aus der Schweiz und lebt in Hanoi.

Teil 1 dieser Serie erschien am 23. September im UZ-Blog.

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