Das neue bayerische Polizeiaufgabengesetz soll Ruhe an der Heimatfront schaffen

Die drohende Gefahr

Von Tom Talsky

Es droht Gefahr. Laut dem geplanten neuen bayerischen Polizeiaufgabengesetz (PAG) soll künftig nicht nur die konkrete Bedrohung, sondern die als möglich anzunehmende drohende Gefahr der Polizei umfassende Befugnisse zugestehen.

Bereits 2017 wurde der Polizei ermöglicht, elektronische Fußfesseln an sogenannte „Gefährder“ zu verteilen, Menschen ohne richterlichen Beschluss bis zu drei Monate ins Gefängnis zu werfen (die Haft kann anschließend alle drei Monate durch einen Richter verlängert werden), Kontaktverbote sowie Hausarrest oder Aufenthaltsverbote auszusprechen. Nun soll ihr auch noch ermöglicht werden, Konten und Gelder zu sperren, Post zu beschlagnahmen und zu öffnen, Daten zu durchsuchen, zu löschen und zu verändern, Verschlüsselungen zu knacken, Kommunikationskanäle zu unterbrechen, V-Leute anzuwerben und zu führen und anhand von DNA-Daten Rückschlüsse auf Augen-, Haar- und Hautfarbe zu ziehen.

All diese Mittel darf sie bereits bei der drohenden Gefahr einsetzen. Was solch eine drohende Gefahr sein soll, wird allerdings nicht definiert – und zwar bewusst. Drohende Gefahr ist ein schwammiger Begriff, unter dem die Polizei alles Mögliche fassen kann. Die Polizei phantasiert im Vorfeld von Demonstrationen immer wieder gewalttätige Ausschreitungen herbei, nach dem Begriff der drohenden Gefahr dürften alle Teilnehmer einer Demonstration als Gefährder eingestuft werden – unabhängig von konkreten Anhaltspunkten. Auch kann eine drohende Gefahr in einem Streik gegen eine Werksschließung gesehen werden und „Rädelsführer“ damit zu Gefährdern erklärt werden. Damit wird ein Grundprinzip des Strafrechts, nämlich die Unschuldsvermutung, umgekehrt. Fortan müssten Gefährder aus der Haft heraus beweisen, dass sie keine Gefahr darstellen. Bei Online-Durchsuchungen könnte die Polizei Daten so verändern, dass belastende Beweise dadurch entstehen. Den Betroffenen bliebe kaum eine Chance, das Gegenteil zu beweisen.

Gegen dieses Polizeiaufgabengesetz hat sich ein breites Bündnis gegründet. Der Widerstand gegen dieses Polizeiaufgabengesetz ist dabei äußerst vielfältig. Von der FDP, der Partei „Die Linke“, Grünen, SPD über die Gewerkschaften, den bayerischen Journalistenverband, das Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus, die DKP, die Roten Hilfe, die VVN-BdA bis hin zu linksradikalen Gruppen bildete sich eine breite Front, ähnlich wie gegen das bayerische Versammlungsgesetz. Die CSU versucht dieses Gesetz nun noch vor den Landtagswahlen im Landtag durchzupeitschen. Dabei wetterte sie mit einem Dringlichkeitsantrag im Bayerischen Landtag gegen das Bündnis, da sich dort auch „mehrere Gruppierungen, die im Verfassungsschutzbericht 2017 aufgeführt sind (wie z. B. DKP, Linksjugend [’solid] Landesverband Bayern, Rote Hilfe OG München“ beteiligten. Die „demokratischen Kräfte“ in diesem Bündnis sollten diese „verfassungsfeindlichen Organisationen“ ausschließen oder das „umstrittene Bündnis“ verlassen.

Für einige Beteiligte ist der Protest gegen das PAG tatsächlich vor allem Wahltaktik: Die Vertreterin der Grünen im Bündnis noPAG und Spitzenkandidatin zu den Landtagswahlen, Katharina Schulze, kann sich nach den Wahlen eine Koalition mit der CSU vorstellen. Auch in anderen Bundesländern planen Grüne und SPD ähnliche Polizeiaufgabengesetze, während sie sich hier als energische Gegner präsentieren. Es ist zu erwarten, dass die drastischsten Maßnahmen dieses Gesetzes womöglich noch entschärft werden, um auch diese Kräfte mit ins Boot zu holen.

Das Entscheidendste an diesem Gesetz sind aber nicht einzelne Maßnahmen, sondern der Charakter: Das Gesetz soll umfassende Eingriffsmöglichkeiten der Polizei ermöglichen, um sich gegen Proteste zu wappnen. Die Aufrüstung der Bundeswehr, die Verdoppelung des Rüstungsetats und die stärkere Einmischung in vielen Kriegen muss an der „Heimatfront“ abgesichert werden. Imperialistische Aggression nach außen geht einher mit stärkerer Repression nach Innen. Das Polizeiaufgabengesetz bietet die Möglichkeit, stärker an der Heimatfront durchzugreifen, falls es notwendig werden würde. Das Gesetz soll damit auch Vorbild für andere Bundesländer werden – mit dem ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten als neuem Innenminister sitzt ein Fürsprecher am entscheidenden Hebel. Der Widerstand dagegen wird maßgeblich davon abhängen, wie wir es schaffen, diesen Charakter und den Zusammenhang zu den Aufrüstungsplänen der Bundesregierung herzustellen. Abrüsten statt Aufrüsten gilt also nicht nur für die Bundeswehr nach außen, sondern auch für die Polizei nach Innen.

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"Die drohende Gefahr", UZ vom 4. Mai 2018



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