Freddie Oversteegen und der kommunistische Widerstand in den Niederlanden

Die Jüngste im Widerstand

Freddie Oversteegen wird am 6. September 1925 in Schoten (heute Stadtteil von Haarlem) geboren. Als die deutsche Wehrmacht in den Niederlanden einmarschiert, ist sie 14 Jahre alt. Mit 15 klebt sie gemeinsam mit ihrer zwei Jahre älteren Schwester Truus Plakate mit der Aufschrift „Staakt!!! Staakt!!! Staakt!!!“ („Streikt!!! …“), um für den Generalstreik gegen die deutsche Besatzung zu werben. Dieser fand im Februar 1941 statt. Freddie verteilt Flugblätter und Zeitungen der Kommunistischen Partei der Niederlande (CPN), als diese längst verboten ist.

Mutter Trijntje ist Kommunistin – und alleinerziehend. Sie ist in der „Rode Hulp“ (Rote Hilfe) aktiv. Die Oversteegens schützen jüdische Familien vor Verhaftung und Deportation. In ihrem kleinen Arbeiterhäuschen verstecken sie bereits in den 1930er Jahren Menschen bei sich, die aus Deutschland vor Verfolgung und Vernichtung fliehen. Freddie macht nicht ihre Mutter oder die Flüchtlinge dafür verantwortlich, dass sie nun kein eigenes Bett mehr hat, sondern die Nazis. Dass zeitweise bei ihr zu Hause „illegale“ Zeitungen vervielfältigt werden, dürfte die Raumsituation nicht verbessert haben.

Als Frans van der Wiel an die Tür der Oversteegens klopft, beginnt ein neuer Abschnitt im Leben der beiden Schwestern. Er ist im kommunistischen bewaffneten Widerstand aktiv. Und er will Truus und Freddie für seine Gruppe gewinnen. Sie sollen Informationen sammeln, Sabotageaktionen und bewaffnete Aktionen durchführen. Seine Idee: Mädchen beziehungsweise junge Frauen werden von den Besatzern nicht als Bedrohung wahrgenommen, vermutet er. Sie kommen leichter und näher an feindliche Ziele heran, werden nicht verdächtigt, können einfacher entkommen.

Die Oversteegens sind längst der Überzeugung, dass sie mit allen Mitteln kämpfen müssen. Aber die beiden Schwestern haben Zweifel, ob sie für diese Form des Kampfes geeignet sind. Van der Wiel hat keine Zweifel. Denn er stellt sie nach einem ersten Gespräch auf die Probe. Er gibt vor, doch nicht vom Widerstand, sondern von der Gestapo zu sein. Mit vorgehaltener Waffe fordert er von ihnen die Adressen versteckter Juden. Anstatt aber andere zu verraten und einer vermeintlichen Verhaftung zu entgehen, gehen Truus und Freddie auf van der Wiel los, attackieren ihn, um ihm die Waffe zu entreißen.

Sie werden Teil des Haarlemer RVV („Raad van Verzet“, Widerstandsrat). Van der Wiel ist zu dieser Zeit Leiter der Widerstandsgruppe in Haarlem. Der RVV spionierte deutsche Militäranlagen aus und gab die Informationen an die Alliierten weiter. Er führte Sabotageakte durch und nahm gezielt hohe Nazifunktionäre ins Visier. Aber nicht nur die deutschen Besatzer waren Ziel des RVV. Niederländische Kollaborateure, die Juden oder Widerstandskämpfer verrieten, wurden ebenfalls „liquidiert“. Nach diesen bewaffneten Aktionen befragt, sagte Freddie Oversteegen rückblickend mehr als einmal, dass sie diese „Liquidierungen“ nannten, weil es einfach netter klinge als „töten“.

361202 - Die Jüngste im Widerstand - Antifaschismus, Antifaschistischer Widerstand, CPN, Frans van der Wiel, Freddie Oversteegen, Hannie Schaft, Niederlande, POD, Rode Hulp, Theun de Vries, Trijntje Oversteegen, Truus Oversteegen - Hintergrund
Nationalheldin? Hannie Schaft wurde als einzige Frau auf dem Ehrenfriedhof Bloemendaal ­begraben. Hier liegen die sterblichen Überreste von 421 Widerstandskämpfern, die an verschiedenen ­Stellen in den Kennemerduinen bei Bloemendaal erschossen wurden. Hannie Schaft wurde am 27. November 1945 im Beisein von Mitgliedern der niederländischen Königsfamilie beigesetzt. (Foto: Lars Thiede)

Truus und Freddie lernten im Stadtwald Haarlemmerhout schießen. Hierhin lockten sie auch Zielpersonen. Meist war es Truus, die beispielsweise einen angetrunkenen SS-Offizier spät abends in einer Bar am Houtplein ansprach, um ihn dann für einen Spaziergang so tief in den Wald zu locken, dass selbst ein Schuss kaum noch Aufsehen erregen konnte. Freddie hielt Ausschau und Frans trat dann von hinten heran, um zu schießen. Die Leiche wurde dann im Haarlemmerhout verscharrt.

Später führten die Oversteegens dann auch Aktionen am helllichten Tage durch – gemeinsam mit Hannie Schaft. Die rothaarige Frau war fünf Jahre älter als Freddie, hatte studiert und – wie die beiden Schwestern – damit begonnen, kleine Widerstandsaktionen durchzuführen und Flüchtlingen zu helfen. Eine erste Begegnung zwischen den Dreien findet in Enschede statt, wo Truus und Freddie untergetaucht waren, weil ihre Aktionen in Haarlem viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten.

Die drei bilden ein Team, führen Erschießungen durch und versuchen dabei irgendwie, menschlich zu bleiben. So waren sich Hannie, Truus und Freddie da­rin einig, dass bei ihren Aktionen keine Kinder entführt oder gefährdet werden durften. Truus Oversteegen sprach später immer wieder davon, dass es einfach notwendig war, auch „Liquidierungen“ durchzuführen. Die Brutalität, mit der die Besatzer vorgingen, habe keine andere Lösung zugelassen, als den bewaffneten Kampf gegen sie zu führen und sie notfalls auch hinterrücks zu erschießen – vor allem dann, wenn andere dadurch geschützt oder gerettet werden konnten.

In der sechsteiligen französischen TV-Dokumentation „Schattenkampf – Europas Widerstand gegen die Nazis 1939 – 1945“ aus dem Jahr 2011 kommt Truus Overstegen selbst zu Wort: „Meine Schwester Freddie hatte einen Verräter aufgespürt – einen, der jüdische Familien und Widerstandsgruppen beim NS-Sicherheitsdienst denunziert hat. Da war Freddie hinterher – das war auch ihre Aufgabe. Hannie und ich sollten ihn dann ins Jenseits befördern, (…). Das war für mich kein Mord. Wir haben Verräter liquidiert.“ Ein Anschlag sei aber keine leichte Sache, so Truus weiter. Es sei nunmal „nicht wie im Film“. Aber die drei waren sich einig: „Es war notwendig.“

Sophie Poldermans, die die Oversteegens gut kannte, zitiert Freddie in ihrem Buch „Seducing and killing Nazis“ mit den Worten: „Wir erschossen nur echte Verräter.“ Dass auch ihr das keineswegs leicht fiel, wird aus ihrem Nachsatz deutlich: „Wenn du jemanden umfallen siehst, dann ist dein natürlicher Instinkt, ihm wieder aufzuhelfen.“

Während Ende 1944 der Süden der Niederlande bereits befreit war, wurden in Haarlem immer noch Menschen von den deutschen Besatzern deportiert oder hingerichtet. Nicht jede Widerstandsaktion gelang, doch die verschiedenen aktiven Gruppen wurden wagemutiger. Am 25. Oktober 1944 waren es Hannie und Truus, die nach mehreren gescheiterten Attentaten auf den niederländischen Faschisten und Polizisten Fake Krist zuradelten, um ihn zu töten. Bevor sie ihre Pistolen auf ihn richten konnten, hörten sie fünf Schüsse. Eine andere Widerstandsgruppe hatte ihm ebenfalls aufgelauert. Dieses Mal überlebte Krist den Anschlag nicht.

Auch die Arbeit in der Aufklärung und Sabotageakte setzten die drei fort. Sie sammelten für die Alliierten Informationen über den Atlantikwall, sprengten Zugstrecken und führten Kurierdienste aus. Letzteres führte zum Konflikt mit anderen Widerstandsgruppen, die sich inzwischen mit dem RVV in einer Dachorganisation zusammengeschlossen hatten. Hannie, Truus und Freddie wurden von ihnen mit unwichtigen Auslieferungen beauftragt, was sich die Kämpferinnen aber nicht gefallen ließen.

361201 Oversteegen - Die Jüngste im Widerstand - Antifaschismus, Antifaschistischer Widerstand, CPN, Frans van der Wiel, Freddie Oversteegen, Hannie Schaft, Niederlande, POD, Rode Hulp, Theun de Vries, Trijntje Oversteegen, Truus Oversteegen - Hintergrund
Sehr späte Genugtuung: Der heutige NATO-Generalsekretär Mark Rutte zeichnete 2014 – in seiner damaligen Funktion als niederländischer Premierminister – Truus Menger-Oversteegen und Freddie Dekker-Oversteegen mit dem Militärorden „Mobilisatie-Oorlogskruis“ aus. Anders als bei Hannie Schaft tat sich die niederländische Regierung sehr schwer damit, die sehr lebendigen Widerstandskämpferinnen als solche anzuerkennen. (Foto: Ministerie van Defensie / Wikimedia / CC BY-SA 4.0 / Bearb.: UZ)

Die lang ersehnte Befreiung scheint im Frühjahr 1945 bevorzustehen. Der „Hungerwinter“ liegt hinter der Bevölkerung, erst im März kommen Lebensmittel aus Schweden in Nordholland an. Die Frage liegt in der Luft: Was kommt nach der Befreiung? Die inhaltliche Arbeit gewinnt an Bedeutung, als Hannie Schaft mit einem Stapel Zeitungen in der Fahrradtasche in eine Kontrolle gerät. Die kommunistische „Waarheid“ ist zu diesem Zeitpunkt immer noch verboten. Hannie wird verhaftet und verhört. Ihre Waffe wird entdeckt und sie wird nach Amsterdam überstellt. Dort fällt auf, dass sie ihre roten Haare schwarz gefärbt hat. Das „Mädchen mit dem roten Haar“, nach dem sie so lange gefahndet hatten, war ihnen in die Hände gefallen. Am 17. April 1945 wird Hannie Schaft in den Dünen bei Bloemen­daal aan Zee erschossen und ihre Leiche anschließend im Sand verbuddelt. Zu diesem Zeitpunkt gibt es bereits ein Abkommen mit den deutschen Besatzern, dass keine Hinrichtungen mehr durchgeführt werden sollen. Für Hannie Schaft gilt das nicht. Bis zur offiziellen Befreiung am 5. Mai wissen Truus und Freddie nichts von der Hinrichtung ihrer Schwester im Kampf.

Der Widerstandskämpfer Theun de Vries hat Hannie Schaft mit seinem Buch „Das Mädchen mit den roten Haaren“ ein Denkmal gesetzt. 1981 wurde es verfilmt. In ihrer Heimatstadt Haarlem gibt es bis heute einen Gedenktag, der am letzten Sonntag im November begangen wird. Hannie Schaft wird zur Ikone, der auch heute noch Bücher und Filme gewidmet werden. Doch der kommunistische Widerstand, dem sie angehörte, wird nach der Befreiung nicht anerkannt – im Gegenteil.

Freddie Oversteegen will den Kampf gegen die Faschisten nach der Befreiung fortsetzen und arbeitet für den POD (Politieke Opsporingsdienst), einen Ermittlungsdienst, der Kollaborateure aufspüren und ihre Verbrechen aufklären soll. Die Leute vom NSB (Nationaal-Socialistische Beweging, Nationalsozialistische Partei in den Niederlanden) habe sie leicht schnappen können, sagte Freddie zu ihrer damaligen Tätigkeit. Als sie darauf hinwies, dass hochrangige Nazis wieder in Amt und Würden gebracht wurden, erhielt sie zur Antwort, dass sie darüber lieber schweigen solle. Sie fühlte sich verraten, verließ den POD und blieb bis zu ihrem Tod verärgert darüber, dass die Täter nicht verfolgt wurden.

Truus Oversteegen versuchte, ihre Erfahrungen zu verarbeiten, indem sie künstlerisch tätig wurde. Auch sie litt darunter, dass die „rote Gefahr“ zum Feind erklärt und ihr Widerstand nicht anerkannt wurde. Die den Widerstandskämpfern zustehenden Rentenzahlungen erhielten die Oversteegens zunächst nicht, und als sie sie schließlich doch erhielten, waren sie niedriger als die der männlichen Genossen.

Aber nicht nur die Oversteegens waren von der Nachkriegsordnung enttäuscht. 1951 kam es zur Konfrontation beim Gedenktag für Hannie Schaft. Die geplante Demonstration wurde verboten, Tausende kamen dennoch und gepanzerte Fahrzeuge fuhren auf, um das Gedenken zu verhindern. Wer trotz Absperrungen um den Ehrenfriedhof von Bloemendaal zum Grab von Hannie Schaft gelangte und dort Blumen niederlegte, wurde verhaftet.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Die Jüngste im Widerstand", UZ vom 5. September 2025



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Haus.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit