In Frankfurt am Main bilden sich Mieterräte gegen steigende Wohnkosten

Eigentlich müssten die Mieten sinken

Eine landeseigene Wohnungsgesellschaft will aus dem Frankfurter Mietpreisstopp aussteigen – und zieht den massiven Unmut ihrer Mieterinnen und Mieter auf sich. UZ sprach mit Peter Feldmann, dem ehemaligen Oberbürgermeister von Frankfurt am Main, über die Proteste, die Hintergründe der hohen Mieten und Möglichkeiten zur Rekommunalisierung von Wohnungsbeständen.

UZ: In Frankfurt am Main wehren sich Mieterinnen und Mieter der Nassauischen Heimstätte gegen erhöhte Nebenkostenabrechnung und gegen die Aufhebung des seit 2019 erkämpften Mietpreisstopps. Kannst du erklären, was da los ist?

Peter Feldmann: Die Mieterinnen und Mieter der Nassauischen Heimstätte (NHW) haben in den Jahren 2018 und 2019 einen Mietpreisstopp erkämpft. Es wurde erreicht, dass Haushalte mit einem Jahreseinkommen von bis zu 84.000 Euro keine Mieterhöhungen von mehr als 1 Prozent im Durchschnitt pro Jahr erhalten dürfen. Das war ein Riesenerfolg einer Kampagne, die mit vielen Unterschriften und Protestaktionen verbunden war.

Natürlich ist es ein Schock für die Mieterinnen und Mieter der NHW, wenn der Vorstand trotz eines satten Bilanzgewinns von 34,7 Millionen Euro nun eine „neue Mietenstrategie“ verkündet, die die Abschaffung des Mietpreisstopps und die Option der Erhöhung von bis zu 10 Prozent in drei Jahren beinhaltet. Hinzu kommt, dass die NHW – obwohl sie 200 Millionen Euro vom Land für Neubau und Modernisierung für Wohnungen erhalten hat – ihre Modernisierungskosten zu 100 Prozent über die Nebenkostenabrechnung direkt an die Mieter weiterreicht.

Deswegen sind die Mieterinnen zu Recht sauer und wehren sich. Innerhalb kurzer Zeit haben sich schon über 1.000 Menschen an einer Unterschriftenaktion beteiligt. Außerdem gründen sich erste Mieterräte, ein breites Bündnis und eine Koordinierungsgruppe für eine Kampagne zur Verteidigung des Mietpreisstopps. Dies hat auch bereits Druck auf die Stadt ausgeübt: Der parallel durchgesetzte Mietpreisstopp bei der größten kommunalen Wohnungsbaugesellschaft in Frankfurt (ABG) mit über 54.000 Wohnungen wurde verlängert. Das macht Mut zum Weiterkämpfen.

UZ: Was ist die Nassauische Heimstätte für eine Gesellschaft?

Peter Feldmann: Die Nassauische Heimstätte/Wohnstadt (NHW) ist eigentlich in öffentlicher Hand. Sie gehört zu 61,4 Prozent dem Land Hessen und zu 34,7 Prozent der Stadt Frankfurt am Main. In Frankfurt besitzt sie weit über 16.000 Wohnungen. Insgesamt gehören der NHW zusammen mit der nordhessischen Gesellschaft Wohnstadt mehr als 60.000 Wohnungen. Mit ihrem Bilanzgewinn und der Förderung durch das Land Hessen wäre eine Mieterhöhung nicht notwendig.

UZ: In den Siedlungen werden Mieterräte gegründet. Was hat es damit auf sich?

420802 Feldmann Portrait - Eigentlich müssten die Mieten sinken - Frankfurt am Main, Mietpreisstopp, Peter Feldmann, Sozialproteste, Wohnungsmarkt - Kommunalpolitik
Peter Feldmann

Peter Feldmann: Die Mieter schließen sich zusammen und organisieren sich selbst. Es gibt einen Mieterrat im Süden Frankfurts in Niederrad und Sachsenhausen, in zwei anderen Bereichen (Sossenheim und Nieder-Eschbach) stehen Gründungen beziehungsweise Mieterversammlungen bevor. Die Kampagne wird von einem breiten Bündnis unter Beteiligung von Mietergewerkschaft und DGB-Fachbereichsvorständen – vor allem bei ver.di – und dem AStA organisiert. Das Ganze setzt an erfolgreichen Kämpfen an. Schon vor dem Mietpreisstopp (2018/19) war es mit Unterstützung der Gewerkschaften gelungen, den Verkauf der Nassauischen Heimstätten zu verhindern.

UZ: Wie kommt es überhaupt zu den geplanten Mieterhöhungen?

Peter Feldmann: Frankfurt ist die zweitteuerste Stadt Deutschlands. Die durchschnittliche Miete im Neubausegment liegt hier bei stolzen 19,17 Euro pro Quadratmeter. Die Mieten der NHW sind mit 6,84 Euro pro Quadratmeter selbst für Hessen günstig und somit Investoren und Immobilienspekulanten ein großer Dorn im Auge. Diese setzen auf steigende Mieten, weil sie mit ihren Immobilien mehr Gewinne erzielen wollen. Im Gegensatz zum Mythos helfen aber hohe Mieten gerade nicht dabei, neue Wohnungen zu bauen oder alte zu erhalten. Es ist nicht so: „Der Boden ist teuer, also muss die Miete hoch sein.“ Sondern: „Weil man so viel Miete verlangen kann, wird der Boden immer teurer.“

Was also tun? Man müsste den Druck aus der Sache nehmen. Wenn die Mieten im Allgemeinen sinken würden, wäre die Spekulation nicht mehr so attraktiv. Die Preise würden sich etwas beruhigen. Einen kleinen Hebel hätte man durch den Koalitionsvertrag der amtierenden Stadtregierung: Diese hatte festgelegt, dass ihre eigenen Wohnungsgesellschaften (wie die ABG) die Mieten für Menschen senken müssen, die Anspruch auf eine günstige Sozial- oder Familienwohnung haben. Aber: Daraus hat man dann ein Antragsverfahren gemacht. Es wurde diskret behandelt, dass es fast keiner nutzt. Es wirkt, als wolle es niemand bekannt machen – fast wie ein „Werbeverbot“.

UZ: Es muss doch sehr viele Menschen geben, die einen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein, aber nicht die dazu passende Wohnung haben. Wäre es ein erster Schritt, das Verfahren bekannter zu machen?

Peter Feldmann: Ja, das müsste über die Wohnungsgesellschaften bekannter gemacht werden. Die Politik sollte die Wohnungsgesellschaften verpflichten, diese Informationen allen Mieterinnen und Mietern weiterzugeben und sie aktiv auf ihre Rechte hinzuweisen. Gleichzeitig müssen Mietpreisüberhöhungen rechtlich verfolgt werden: Bei Neuvermietungen darf die Miete höchstens 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Viele Angebote liegen sogar 20 Prozent da­rüber – das ist eine Ordnungswidrigkeit und könnte mit Geldbußen bestraft werden. Doch die Stadt schreibt nur Warnbriefe. Hier muss endlich durchgegriffen werden!

UZ: Im nächsten Jahr sind Kommunalwahlen in Frankfurt am Main. Welche Forderungen sollten da deiner Meinung nach auftauchen?

Peter Feldmann: Im Bereich Wohnen muss natürlich gefordert werden, zunächst alle bereits vorhandenen Wohnflächen inklusive Leerstand auszunutzen. Vom Dachausbau über Aufstockung, die Umwandlung von leerstehendem Büroraum zu Wohnraum und das Bauen mit dem Umland beispielsweise.

Letztlich muss man auch wieder ernsthaft über Vergesellschaftung sprechen. Es kann nicht sein, dass Wohnungen zu Spekulationszwecken leer stehen oder Preise auch durch Vermietung auf Booking.com und airbnb in exorbitante Höhen getrieben werden. Artikel 15 des Grundgesetzes sagt: Der Staat kann Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel vergesellschaften. Die Städte und Landkreise müssten sich stärker zusammenschließen und von der Bundesebene wirksame Gesetze gegen Mietwucher und zur Vergesellschaftung einfordern. Ziel ist auch die Rekommunalisierung von Wohnungsgesellschaften wie zum Beispiel der Vonovia, die über 9.000 Wohnungen in Frankfurt besitzt und ein Global Player am europäischen Markt mit satten Aktiengewinnen ist.

Es geht nicht darum, kleinen Privatbesitzern ihr Haus zu entziehen. Aber da, wo private oder auch öffentlich-rechtliche Großkonzerne mit viel Macht unterwegs sind, muss der Wohnungsbestand dem politischen Willen der Mehrheit der Bevölkerung unterworfen werden. Und das kann man auch im Kommunalwahlkampf fordern.

Das Gespräch führte Vincent Cziesla

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"Eigentlich müssten die Mieten sinken", UZ vom 17. Oktober 2025



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