„In seinem Sessel, behaglich dumm/Sitzt schweigend das deutsche Publikum“, beginnt ein Gedicht, das der junge Karl Marx im Jahr 1836 geschrieben hat. Zwei Zeilen, die der Potsdamer Bernd Trete gerne zitiert – vor allem auf seinem Account auf der Plattform X. Hier setzt sich Trete für Frieden ein, kritisiert das Streben nach Kriegstüchtigkeit und protestiert gegen den Genozid in Gaza. Doch dieses Engagement ist der Staatsanwaltschaft Cottbus ein Dorn im Auge.
Vor drei Wochen erhielt Bernd Trete einen Strafbefehl über 1.200 Euro. Der Vorwurf: „Verbreiten von Propagandamitteln terroristischer Organisationen“. Im April soll Trete das Foto eines Banners, das die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) auf der diesjährigen Liebknecht-Luxemburg-Demonstration in Berlin getragen hatte, verbreitet und mit dem oben genannten Marx-Zitat kommentiert haben. Das Banner war bolschewistischer Symbolik nachempfunden: Der vom sowjetischen Künstler El Lissitzky geprägte rote Keil spaltet ein Sturmgewehr. Die dazu passende Parole: „Wir sind die Jugend des Hochverrats! Wir sterben nicht für ihre Kriege“. Das Antikriegsbanner hatte bereits auf der Demonstration im Januar für Aufsehen gesorgt. Polizeibeamte hatten den Aufzug gestoppt, um das Transparent zu entwenden und mehrere Jugendliche in Gewahrsam zu nehmen. Bei dem roten Keil handele es sich um ein „Hamas-Dreieck“, so der damals schon absurde Vorwurf.
Die gleiche Argumentation wird nun gegen Bernd Trete ins Feld geführt. Außerdem wird ihm vorgeworfen, auch in seinem Profilnamen einen roten Wimpel zu verwenden. „Dieses Dreieck mussten einst politische KZ-Häftlinge auf ihrer Kleidung tragen. Es ist ein Symbol des Widerstands gegen Faschismus – und heute trage ich es stolz am Revers“, so Trete gegenüber UZ. „Dass ausgerechnet dieses Zeichen der Erinnerung nun als ‚Terror-Kennzeichen‘ verunglimpft wird, ist eine geschichtspolitische Pervertierung.“
Die Staatsanwaltschaft Cottbus sieht das anders. „Ihnen war bekannt, dass es sich bei dem auf der Spitze stehenden roten Dreieck um ein offizielles Kennzeichen der auf der Terrorliste der EU (…) stehenden Organisation ‚Hamas‘ handelt“, heißt es im Strafbefehl, der nicht nur mit Schreibfehlern glänzt – sondern auch mit einem offenkundigen Unverständnis für die Funktionsweise von X. So wird Trete die Verwendung des Marx-Gedichtes in seinem Profil vorgeworfen, der Zusammenhang mit dem Terror-Vorwurf jedoch nicht weiter erklärt.
„Ich bin wütend. Zutiefst wütend. Denn hier geht es nicht um Recht, sondern um Einschüchterung“, sagt Trete. Mit dem Verfahren gegen ihn solle eine klare Friedensbotschaft kriminalisiert werden: „Wer sich heute gegen Aufrüstung und Kriegseinsätze stellt, wird zum Feind erklärt.“ Derselbe Apparat, „der mörderische Netzwerke wie den NSU gewähren ließ, verfolgt jetzt jene, die mit einem Stück Stoff und einem historischen Symbol für den Frieden demonstrieren. Das ist kein Zufall, das ist System. Es ist der reaktionär-militaristische Staatsumbau“, so Trete gegenüber UZ. Dass in die absurde Argumentation auch noch Marx hineingezogen werde, lässt ihn sprachlos zurück. „Als ob ein Text aus dem 19. Jahrhundert etwas mit einer angeblichen Hamas-Propaganda von 2025 zu tun hätte.“
Doch Trete gibt sich nicht geschlagen. „Die Sache geht mir unter die Haut. Ich habe Herzdrücken, schlafe schlecht, wache von Albträumen auf. Doch ich wehre mich.“ In der vergangenen Woche hat er Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt. „Ich lasse mich nicht einschüchtern. Nicht von einer Justiz, die antifaschistische Symbole mit Terrorzeichen gleichsetzt, und nicht von einem Staat, der lieber Friedensaktivisten verfolgt, als seine eigene Geschichte aufzuarbeiten.“



![UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis] UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]](https://www.unsere-zeit.de/wp-content/uploads/2021/04/Banner_800x90_Probeabo_Rahmen.jpg)





