Internationaler Juristenkongress in Caracas bricht Lanze für das Völkerrecht

Endlich die Barbarei beenden

Diedrich Franck

Im September 2025 haben die US-Luftstreitkräfte ihre Mordangriffe auf angebliche Schmugglerboote vor den Küsten Kolumbiens und Venezuelas begonnen. Im Oktober rollte der bedrohliche Truppenaufmarsch an, und schon vor meiner Abreise zum Kongress meldete der „Spiegel“ die Ankunft des Flugzeugträgers „USS Gerald R. Ford“ in der Karibik. Bei meinem Blick aus dem Kabinenfenster im Landeanflug ist natürlich nichts zu sehen von der US-Kriegsarmada. Die Küste wirkt friedlich. Die Menschen am Flughafen scheinen ernst, aber gelassen. Am Gepäckband werden die Kongressteilnehmer von jungen Mitarbeitern der Nationalversammlung empfangen, durch die Passkontrolle gelotst und zum Hotel begleitet. Die Betreuung der Kongressteilnehmer durch persönliche Ansprechpartner und via Messenger erfolgt professionell. Auch wenn die Bilder der jüngsten US-Aggressionen etwa gegen den Iran frisch sind und den Menschen die vor der Küste lauernde Gefahr bewusst ist: Caracas präsentiert sich gut organisiert, gelassen und stabil. Dieser Eindruck wird von anderen Kongressteilnehmern bestätigt.

Der erst im Oktober vom Präsidenten der Nationalversammlung, Jorge Rodriguez, einberufenen Kongress „Encuentro de Juristas en Defensa del Derecho Internacional – por la Paz y la Soberania“ („Internationaler Juristenkongress zur Verteidigung des Völkerrechts – für Frieden und Souveränität“) ist die Antwort von weit über 100 Juristen aus 35 Staaten auf den Völkerrechtsbruch durch die mörderischen Luftschläge der USA gegen Boote, teilweise in fremden Hoheitsgewässern, und auf die düsteren Drohungen aus den USA gegen die Regierungen Kolumbiens und Venezuelas. Der Kongress ist ein eindringlicher Appell für Frieden und Achtung der Souveränität. Vertreten sind Rechtswissenschaftler und praktizierende Juristen aus nahezu allen Staaten Lateinamerikas, außerdem eine Reihe afrikanischer und europäischer Juristen sowie Professoren aus Iran und Irak. Sie fordern die sofortige Einstellung aller Militäroperationen des US-Imperialismus und warnen vor den Folgen einer faktischen Beseitigung des seit 1945 geschaffenen völkerrechtlichen Regelwerks, dessen zentrales Element das in der UN-Charta in Artikel 2 Ziffer 1 und 7 verankerte verbindliche Verbot sogenannter „einseitiger Zwangsmaßnahmen“ ist, das heißt aller Militäreinsätze gegen andere Staaten, die nicht zur Verteidigung eines militärischen Angriffs auf den eigenen Staat gerechtfertigt oder durch einen UN-Beschluss gebilligt sind. Ob nun angeblicher „Krieg gegen den Terror“ oder „Krieg gegen Drogen“: Das Völkerrecht duldet keinen „Exzeptionalismus“. Die USA stehen nicht über dem Völkerrecht.

Experten der Vereinten Nationen hatten die Mordaktionen gegen angebliche Schmugglerboote bereits als widerrechtliche außergerichtliche Hinrichtungen eingestuft.

„Lass die Kettenhunde des Imperiums bellen, das ist ihr Job; unser Job ist der Kampf für die wirkliche Befreiung unseres Volkes.“

Hugo Chavez

Auf dem Kongress herrscht Einigkeit: Bei dem angeblich von Maduro unterstützten „Cartel de los Soles“ handelt es sich um eine unprofessionell zusammengeschusterte Kriegslüge der US-Regierung. Selbst die US-Anti-Drogen-Behörde DEA berichtet seit Jahren, dass die immer wieder von Trump beklagte Produktion von Fentanyl und Kokain in Wahrheit zu 100 Prozent außerhalb Venezuelas stattfindet, und neuerdings übrigens auch in Kanada begonnen habe. Der Drogen-Transport erfolgt danach zu 90 Prozent über den Pazifik, zu dem Venezuela keinen Zugang hat. Tatsächlich wird selbst in westlichen Medien durchgehend bestätigt, dass Venezuela als Durchgangsland für Drogen keine Rolle spielt.

Professorin Elsie Rosales von der Zentraluniversität Venezuelas erläutert auf der Konferenz in einem brillanten rechtshistorischen Vortrag, wie von der Hexenverfolgung über den kolonialen Opium-Krieg gegen China bis zum 20 Jahre dauernden Afghanistan-Krieg des Westens der Kampf gegen Drogen immer wieder als eine „antilegale Notfall-Ideologie“ vorgeschoben wird, um grundlegende Rechtsbrüche, etwa Verstöße gegen das Folterverbot, zu rechtfertigen und imperiale Kontrolle auszuüben.

Viele Redebeiträge erwähnen den andauernden Genozid in Gaza als dramatischen Meilenstein und Warnung davor, was dem Globalen Süden drohe, wenn der Imperialismus auf seinem Weg der Demontage des internationalen Rechts nicht gestoppt werde. Die USA hätten sich inzwischen in einen unlösbaren Widerspruch zu den in Jahrzehnten geschaffenen Prinzipien des Völkerrechts begeben.

Höhepunkt der Konferenz ist die feierliche Übergabe der Abschlussresolution an Präsident Nicolás Maduro, der die Menschheitsverbrechen von Kolonialismus und Imperialismus in seiner kämpferischen Rede nachzeichnete. Solange der Imperialismus das Recht beanspruche, zur Durchsetzung seiner Profitinteressen andere Staaten mit Angriffskriegen zu überziehen und über das Schicksal ganzer Völker zu entscheiden, befänden sich die Völker noch in einem vorzivilisatorischen Stadium. Unter starkem Beifall erklärt Maduro, dass sich der Kampf um die Achtung des internationalen Rechts inzwischen in einem menschheitsgeschichtlichen Sinn zu einem Kampf zwischen Zivilisation und Barbarei entwickelt habe. Es gehe heute nicht nur um die Verteidigung der Bolivarischen Republik, sondern auch um die der Karibik, Lateinamerikas und letztlich der Menschheit sowie des Völkerrechts. Maduro zog Parallelen zur Bedrohung der Völker durch den Hitler-Faschismus und erinnerte an den heldenhaften Kampf der Sowjetunion dagegen. Nur durch die Einheit des Volkes sei der Roten Armee der Sieg gegen den zunächst übermächtig erscheinenden deutschen Imperialismus gelungen.

Der Verteidigungswille und die kämpferische Haltung des Staatspräsidenten wird von der Mehrheit der venezolanischen Bevölkerung offenkundig geteilt. Das ist jedenfalls das Bild, das sich in vielen Gesprächen bestätigt, die ich am Rande der Konferenz auf der Straße, in Bars, an der Bushaltestelle führe – meist in Begleitung einer Gruppe junger argentinischer Rechtsanwälte.

Die Minderheit des venezolanischen Volkes, die in der Vergangenheit ihre Unterstützung für die Positionen der US-freundlichen Opposition zum Ausdruck gebracht hatte, scheint durch die militärische Aggression und die Anwesenheit der Kriegsarmada vor der Küste zusammengeschmolzen zu sein. Nach ihren bizarren Aufforderungen an Trump, zu intervenieren, ist die frischgebackene Friedensnobelpreisträgerin Corina Machado heute mehr denn je isoliert und verachtet. Eine Politikerin, die ein Blutbad herbeisehnt und herbeireden will, ist selbst für Kritiker der Regierung schwer erträglich. Tatsächlich scheinen inzwischen Teile der ehemaligen Opposition, etwa aus der früher größten bürgerlichen Oppositionspartei „Accion Democratica“, die Regierung Maduro bei der Verteidigung der Souveränität des Landes zu unterstützen.

Dass die Trump-Regierung überhaupt zur Kanonenbootpolitik greifen muss, zeigt eine Schwäche des Imperialismus. Die bisherigen Mittel – Staatsstreich, Straßenunruhen, Terror und Sanktionsmaßnahmen – sind erschöpft und erscheinen Washington offenbar nicht mehr erfolgversprechend.

Überhaupt verläuft die von der Trump-Regierung unter dem Motto „Amerika den US-Amerikanern“ betriebene Wiederbelebung der Monroe-Doktrin keineswegs reibungslos. Nachdem sich die Premierministerin des Inselstaates Trinidad und Tobago auf die Seite Washingtons schlug, die völkerrechtswidrigen Mordanschläge auf „Schmugglerboote“ verteidigte und dem US-Militär ihr Staatsgebiet zur Nutzung als Operationsbasis anbot, löste dies heftige Kritik im eigenen Land aus, etwa durch den prominenten Gewerkschaftsaktivisten David Abdulah, auch im Zusammenschluss der Karibik-Anrainer-Staaten (CARICOM). Erst am 18. Oktober hatten die CARICOM-Staaten in einer gemeinsamen Erklärung die Erhaltung der Karibik als entmilitarisierte „Zone des Friedens“ gefordert.

In Ecuador ist die von Trump angestrebte und von der reaktionären Regierung Noboa mit einem Referendum unterstützte Reaktivierung des ehemaligen US-Stützpunktes Manta vom Volk am 16. November mit deutlicher Mehrheit abgelehnt worden.

Das macht Hoffnung.

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