Stellenabbau trotz Personalmangel, Vereinzelung im Homeoffice: Die Arbeitsbedingungen bei DB Systel, der IT-Tochter der Deutschen Bahn AG, sind schwierig. Die EVG antwortet darauf mit Kreativität, Experimentierfreude – und Angeboten, die nicht alle online stattfinden. Darüber hat UZ mit Juliette gesprochen. Sie ist Stellvertretende Vorsitzende der EVG-Betriebsjugendgruppe bei DB Systel und engagiert sich in der hessischen Landesjugendleitung der EVG.
UZ: Du hast dual Informatik studiert bei DB Systel. Wie sieht die Situation heute im Bahnkonzern generell aus für Auszubildende und Studenten?
Juliette: Die Situation ist komisch zurzeit. Bisher war das immer stabil. Man wusste, dass man übernommen wird. Während des Studiums oder der Ausbildung durfte man sich viele Bereiche anschauen und wusste, am Ende darf man sich ein Team aussuchen. Aber in den letzten Jahren wurde es immer schlimmer. Die Betreuung wird schlechter: Die Ausbildungsleitung delegiert ihre Aufgaben an normale Fachkräfte. Die müssen Auszubildende dann neben ihrer eigentlichen Arbeit anlernen. Wegen des Personalmangels und Stress klappt das immer schlechter. Wir haben häufig die Situation, dass Azubis sieben Stunden herumsitzen und nichts machen. Sie fühlen sich schuldig, bekommen aber keine Aufgaben und lernen nichts. Dazu kommt, dass es immer weniger Stellen gibt. Theoretisch gibt es eine Übernahmegarantie, aber plötzlich gibt es viele Restriktionen. Es herrscht viel Unruhe unter den Nachwuchskräften.
UZ: Viele deiner Kollegen bei DB Systel arbeiten im Homeoffice. Wie wirkt sich das auf die gewerkschaftliche Organisierung aus?
Juliette: Das ist eine große Hürde für uns. Der Streik 2023 war der erste ordentliche bei DB Systel! Ich bin morgens um 5 Uhr mit dem Fahrrad nach Frankfurt am Main gefahren, um meine Beteiligung zu zeigen. Viele meiner Kollegen wohnen zu weit weg dafür. Wir mussten digitale Streikbüros einrichten. Mehrere hundert Kollegen haben dort online vorbeigeschaut. Bei einem Betrieb mit 7.000 Beschäftigten ist das enttäuschend. Für einen IT-Betrieb war das ein Erfolg.
Gewerkschaftliche Arbeit ist in solchen Firmen schwerer als anderswo. Wir haben keine Betriebszeitungen, die wir auslegen – bei uns läuft alles online. Es gibt eine entsprechende Website der EVG und unsere Betriebsjugendgruppe ist via Instagram erreichbar. Die Jugend ist tatsächlich leichter zu erreichen, weil zu Beginn der Ausbildung Präsenzpflicht herrscht.
UZ: Wie organisiert man ein digitales Streikbüro?
Juliette: Im Grunde ist das ein Zoom-Call. Wir haben die Kollegen aufgefordert, zu streiken und sich online einzuwählen und mit uns zu diskutieren. Wir haben Presseberichte über unseren Streik gelesen und debattiert, wie wir weitermachen. Redebeiträge von Kollegen aus Frankfurt am Main wurden live gestreamt. Kreativität und Experimentierfreudigkeit braucht man dafür! Betriebsversammlungen haben wir teilweise hybrid veranstaltet, damit mehr Kollegen teilnehmen können. Die sind gerade für den Betriebsrat und die gewerkschaftliche Organisation sehr wichtig. Stellt man dort als Gewerkschafter gute Fragen an die Geschäftsführung, bekommen die Kollegen zuhause das auch mit.
UZ: 2026 ist großes Wahljahr im DB-Konzern: Betriebsräte, JAVen und Vertrauenspersonen für Schwerbehinderte. Bei DB Systel habt ihr dieses Jahr schon gewählt. Die EVG hat dort die absolute Mehrzeit erzielt. Die Wahlbeteiligung hat sich von 31 auf 44 Prozent verbessert. Wie habt ihr das geschafft?
Juliette: Der größte Faktor für die hohe Wahlbeteiligung ist die Unsicherheit der Kollegen. Es gab Gerüchte, tausende Beschäftigte müssten DB Systel verlassen, oder Systel werde gar aufgelöst. Die Kollegen hatten viel Angst. Die EVG hat immer Präsenz gezeigt – nicht nur vor der Wahl. Seit der letzten Tarifrunde bieten wir regelmäßige Infostände an und sind etwa in der Mittagspause für Kollegen erreichbar. So konnten wir zum Beispiel Missverständnisse aus dem Weg räumen, bei der EVG handele es sich um eine Versicherung.
Ein weiterer Aspekt: Die anderen kannibalisieren sich. Vorher gab es zwei Listen, jetzt fünf. Die anderen vier sprechen spezielle Bereiche an, etwa das mittlere Management, von dem es bei uns relativ viel gibt. Wir haben unterstrichen, dass wir für die angestellten Kollegen da sind, die nicht im mittleren Management arbeiten. Und dass wir eine Strategie gegen Personalabbau und Stellenstreichungen haben.
UZ: Mit dem Tarifabschluss 2025 waren viele Beschäftigte unzufrieden. 2027 stehen die nächsten Tarifverhandlungen an. Unternehmt ihr Schritte, damit der nächste Abschluss besser wird?
Juliette: Das größte Problem der letzten Tarifrunde war, dass die EVG Angst hatte, nicht organisiert genug zu sein. Dass die Betriebsgruppen noch zu schwach seien und nicht genug Kollegen auf die Straße gehen würden. Bei DB Systel zeigen wir unsere Streikbereitschaft durch Aktionen. Wir fahren nach Gießen, um gegen die AfD zu demonstrieren. Wir haben eine erfolgreiche Petition gestartet, damit unsere Berufsschule saniert wird. So was muss auch woanders passieren, damit die EVG-Führung Notiz davon nimmt.
UZ: Die erwähnte Betriebsjugendgruppe der EVG bei DB Systel hast du mitgegründet.
Juliette: In der Tarifrunde 2023 haben wir gesehen, dass es viele Kollegen gab, die gewerkschaftlich aktiv werden wollen, aber keinen Platz dafür für sich gesehen haben. Die Online-Betriebsgruppe war etwas chaotisch – nichts, wo junge Leute ihren Nachmittag verbringen wollten. Nach der Runde haben wir beschlossen, etwas Neues zu machen. Die Idee war, einen Ort für die Jugend zu schaffen und jugendspezifische Themen aufzugreifen. Eine gewerkschaftliche Jugendgruppe kann über den Rahmen hinausgehen, den das Betriebsverfassungsgesetz einer Jugend- und Auszubildendenvertretung setzt.
UZ: Die Eisenbahn ist eine besondere Stellschraube im Kriegskurs der Herrschenden: Ohne sie geht es nicht. Ist das ein Thema bei euch im Betrieb?
Juliette: Die große Mehrheit der Kollegen versteht die Verbindung zwischen Militarisierung und der Situation der DB noch nicht. Aber es wird einfacher, mit Kollegen zu diskutieren: Wir können uns immer weniger leisten, die Bahn zerfällt immer weiter. X Milliarden werden investiert, aber davon sehen wir nichts – selbst bei der DB kommt nur an, was nötig ist, um sie auf „Kriegstüchtigkeit“ zu trimmen. Das muss thematisiert werden. Immer mehr Kollegen verstehen, dass sie gegen die Militarisierung kämpfen müssen, wenn sie eine gescheite Bahn haben wollen. Wir werden besser darin, zu Antikriegsprotesten zu mobilisieren.
UZ: Deine Betriebsjugendgruppe hat sich gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht positioniert. Plant ihr konkrete Aktionen?
Juliette: Wir diskutieren gerade über den Schulstreik gegen die Wehrpflicht am 5. Dezember. Die Berufsschule bestreiken wir wahrscheinlich nicht. Da ist die Hürde höher als in allgemeinbildenden Schulen. Es gilt der Arbeitsvertrag. Wer streikt, riskiert eine Abmahnung oder Kündigung. Wahrscheinlich zeigen wir in der Mittagspause unsere Solidarität und nehmen abends an der Demonstration teil. Und wir wirken innerhalb gewerkschaftlicher Gremien auf Beschlüsse gegen Wehrpflicht und Aufrüstung.



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