Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat einmal mehr ein Gutachten herausgegeben, das Israel zum Einhalten seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen anhält und dabei dessen verbrecherische Politik gegenüber den Palästinensern dokumentiert. Am vergangenen Mittwoch legte das Gericht in Den Haag ein 68 Seiten langes Dokument mit dem Titel „Verpflichtungen Israels in Hinblick auf die Präsenz und Tätigkeit der Vereinten Nationen, anderer internationaler Organisationen und von Drittstaaten in und im Zusammenhang mit den besetzten palästinensischen Gebieten“ vor. Damit kam der IGH einer Resolution der UN-Generalversammlung vom 19. Dezember 2024 nach, die auf Antrag Norwegens ein solches Gutachten eingefordert hatte.
IGH-Präsident Yuji Iwasawa betonte bei der Verlesung, dass das Gutachten in erster Linie die Pflichten Israels als Besatzungsmacht definiere, und es nicht darum gehe, zu urteilen, inwiefern Israel diese verletzt habe. Trotzdem kommt der Bericht nicht ohne die faktische Benennung israelischer Verbrechen aus. So heißt es dort, dass 531 Helfer, darunter 366 UN-Mitarbeiter, seit dem 7. Oktober 2023 in Gaza getötet wurden. An anderer Stelle stellt das Gericht fest, „dass Israels vollständige Blockade der Hilfe im Gazastreifen ab dem 2. März 2025 zu einer weiteren dramatischen Verschlechterung der humanitären Bedingungen dort geführt hat.“
Unter Verweis auf das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) geht der IGH zudem davon aus, dass seit der Ersetzung des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) durch die von Israel eingesetzte sogenannte „Gaza Humanitarian Foundation“ (GHF) Anfang September 2025 „über 2.100 Palästinenser getötet“ wurden, „als sie humanitäre Hilfe an oder in der Nähe der Verteilungsstellen“ der GHF suchten. Zudem betonte der IGH, dass das humanitäre Völkerrecht „das Aushungern der Zivilbevölkerung als Kriegsmethode“ verbiete. Ein Hinweis, der nicht nötig wäre, wenn das Gericht keinen Anlass hätte, davon auszugehen, dass Israel Hunger als Waffe einsetzt.
Angriffe auf UNRWA unbegründet
Die israelische Regierung und ihr nahestehende Medien hatten schon im Vorfeld Stimmung gegen das Gutachten gemacht. So paraphrasierte etwa die „Jüdische Allgemeine“ (JA), „das Gericht werde als ‚politische Waffe‘ gegen Israel missbraucht“. Statt Israels Verpflichtungen zu betonen, sei es notwendig, „die Unterwanderung des sogenannten Hilfswerks für die Palästinenser (UNRWA) durch die palästinensische Terrororganisation Hamas zu untersuchen“.
Unter Verweis auf diese angebliche Unterwanderung hat das Besatzungsregime nicht nur im August 2024 die Tätigkeit der UN-Hilfsorganisation verboten. Laut dem Gesundheitsministerium in Gaza, dessen Angaben erfahrungsgemäß eher zu niedrig als zu hoch angesetzt sind, hat die israelische Armee seit Beginn des Genozids auch 309 Mitarbeiter und 72 weitere UNRWA-Helfer im Gaza-Streifen getötet. Allerdings hat die Netanjahu-Regierung diese angebliche Unterwanderung bis heute nicht belegt, wie auch das IGH-Gutachten verkündet: So gebe es „keine Beweise“, dass die UNRWA als Organisation „gegen den Grundsatz der Unparteilichkeit“ verstoßen habe. Die UNO habe nach den Vorwürfen Israels Ermittlungen gegen gerade einmal 19 UNRWA-Mitarbeiter eingeleitet, was zu der Entlassung von neun möglicherweise in den Aufstand vom 7. Oktober 2023 verwickelten Personen geführt habe. Insgesamt verfügt die UNRWA jedoch über 30.000 Mitarbeiter, 17.000 davon in Gaza und der Westbank.
Druck auf Israel wächst
Balkees Jarrah, amtierende Direktorin in Westasien und Nordafrika bei Human Rights Watch (HRW), kommentierte das Gutachten mit den Worten: „Der Internationale Gerichtshof hat deutlich gemacht, dass Israel seine Kampagne zur Demontage der UNRWA beenden und aufhören sollte, den Hunger von Zivilisten als Kriegswaffe zu benutzen“.
Die Hamas begrüßte, dass der IGH die „falschen Behauptungen“ der israelischen Behörden gegenüber der UNRWA zurückgewiesen habe. Die Partei interpretiert das Gutachten zudem dahingehend, dass es „bestätigt, dass die Besatzung, die absichtlich Palästinenser aushungert, eine Form von Völkermord begeht“, wie die jemenitische Nachrichtenagentur SABA aus einer Pressemitteilung der Organisation zitiert.
Die JA dagegen sprach in der für Zionisten typischen, den deutschen Faschismus relativierenden und alle Kritiker Israels zu Antisemiten erklärenden Manier von einem „Persilschein für die UNRWA“. Das evangelikale Online-Medium „Israelnetz“ wiederum freute sich unter Verweis auf einen israelischen Regierungsmitarbeiter, „dass die UNRWA im Gazastreifen keinen Fuß mehr fassen werde“.
Die „Tagesschau“ stolperte bei ihrem Bericht zum Gutachten über ihren eigenen Propagandakurs. So heißt es auf ihrer Website in einem Disclaimer: „In einer vorigen Version des Textes stand, dass neun Mitarbeiter des Palästinenserhilfswerks entlassen wurden, ‚weil sie an den Angriffen der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 beteiligt gewesen sein sollen’. Die UN-Untersuchung kommt allerdings nur zu dem Schluss, dass Mitarbeiter nur ‚möglicherweise an den bewaffneten Angriffen vom 7. Oktober 2023 beteiligt waren‘.“
Das juristische Online-Magazin „Legal Tribune Online“ betont zwar, dass das Gutachten nicht rechtsverbindlich ist, „es kann aber den Druck auf Israel erhöhen.“ Außerdem verweist es auf weitere Gutachten und laufende Verfahren des IGH gegen Israel, nicht zuletzt die Anklage Südafrikas wegen Völkermords.



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