Gehirnwäsche und rassistische Gesetze

Melina Deymann im Gespräch mit Adel Amer

Informationen aus erster Hand zur politischen Situation in Israel

Einen spannenden Abend hatten die knapp 40 Besucher der DKP Braunschweig mit Adel Amer, Generalsekretär der KP Israels. Der israelische Genosse referierte zur innenpolitischen Situation und zu Chancen der friedlichen Lösung des Konfliktes Palästina-Israel: Die israelische Regierung rede zwar über eine 2-Staaten-Lösung, forciere aber gleichzeitig den Siedlungsbau in palästinensischen Gebieten. Es gebe einen Wettbewerb der rechten Parteien um eine radikale Politik gegenüber den Palästinensern, aber alle vertiefen ihre neoliberale Politik. Die bewusste Verschärfung des Konfliktes Israel-Palästina überlagere die sozialen Themen in der israelischen Politik. Die Rechten wollen anstelle eines „demokratischen“ einen „jüdischen“ Staat Israel durchsetzen.Unterschwelliger Rassismus wird durch die Gesetzgebung legalisiert, Gewalt gegen Palästinenser geduldet. Dies lässt eine Entwicklung in Richtung Faschismus befürchten. Gegen diese ethnische/religiöse Politik helfe nur gemeinsames Handeln der arabischen und jüdischen fortschrittlichen Kräfte, zum Beispiel durch die Erweiterung des Wahlbündnisses, in dem die KPI derzeit vertreten ist.

Adel Amer beantwortete die zahlreichen Fragen aus dem Publikum – welche Rolle die Gewerkschaften und NGO‘s spielen, Perspektive der Demonstrationen gegen Korruption, Haltung der Parteien zur Hauptstadtfrage, Spaltung der israelischen Gesellschaft, Interessen Saudi-Arabiens und Israels gegenüber Iran. Zur 2-Staaten-Lösung meinte Adel Amer, dass diese realistisch sei, wenn sie politisch gewollt werde. Teil einer friedlichen Lösung ist die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes der Palästinenser. Die KPI stelle sich die Aufgabe, an der Schaffung einer einheitlichen Interessenvertretung des palästinensischen Volkes mitzuwirken.Werner Hensel

Weitere Veranstaltungen mit Adel Amer fanden in Berlin, Krefeld und Essen statt.

Adel Amer ist seit 2015 Generalsekretär der Kommunistischen Partei Israels (KPI). Er studierte Journalistik in der Sowjetunion und arbeitete für die 1944 gegründete Zeitung „Alithad“ (Einheit). Danach arbeitete er für die KPI im Bereich Organisations- und Bildungspolitik.

UZ: Du hast in deinem Redebeitrag bei der Jahresauftaktveranstaltung der DKP in Berlin die israelische Gesellschaft als faschistoid bezeichnet. Was meinst du damit?

Adel Amer: Ich möchte das klarstellen. Ich habe gesagt, Israel entwickelt sich in eine faschistische Richtung. Es gibt Erscheinungen innerhalb der israelischen Gesellschaft, die in diese Richtung gehen. In Israel gibt es eine starke Diskriminierung auf Grundlage der Nationalität, die sich vor allem gegen die palästinensischen Araber richtet. Dies wird seit dem Tag der Gründung Israels praktiziert. In den letzten Jahren, nach so vielen Jahren israelischer Besatzung und mehreren wirtschaftlichen Krisen, haben sich Widersprüche in der israelischen Gesellschaft herauskristallisiert. Jene, die die Macht in Israel haben, können diese Widersprüche nicht auflösen. Sie begegnen den Widersprüchen mit zunehmender Diskriminierung gegen die arabische Minderheit, aber auch gegen andere Minderheiten in Israel. Die Herrschenden sagen, die Probleme der israelischen Gesellschaft würden durch diese Menschen verursacht. Sie versuchen der Bevölkerung weis zu machen, die Minderheiten in Israel und die palästinensische Bevölkerung unter israelischer Besatzung wollten Israel liquidieren. Sie versuchen nicht nur gegen Minderheiten – arabische und andere – vorzugehen, sondern auch gegen Juden selber, die sich gegen die Politik der Herrschenden organisieren. Ziel dieser Angriffe ist zum Beispiel „Stop the silence“ (Beendet das Schweigen, eine Organisation ehemaliger israelischer Militärangehöriger, die über die Erfahrungen ihrer Einsätze in den besetzten Gebieten sprechen – UZ.).

UZ: Es gibt eine strukturelle Drangsalierung und Benachteiligung von palästinensischen Arabern und anderen Minderheiten. Ist Israel ein Apartheidstaat?

Adel Amer: Selbstverständlich. Israel ist ein Apartheidstaat, aber noch kein faschistischer Staat. Die Diskriminierung ist überall im Land spürbar. Zum Beispiel bei der Verteilung der Staatsausgaben. Die Rathäuser arabischer Städte erhalten weniger Geld als israelische. Die arabischen Dörfer, die sich aus Wohnungsnot ausdehnen wollen, dürfen es nicht. Deswegen sind die Araber gezwungen, Häuser ohne Genehmigung zu bauen. Dann kommt das Militär und zerstört die Häuser. Es ist ein ewiger Kreislauf: Wir bauen, sie zerstören.

Armut ist ein weiteres Beispiel. In Israel gibt es 1,2 Millionen arme Menschen. Die Hälfte davon sind Araber. Einfach aus dem Grund, weil in den arabischen Vierteln oder Gebieten keine Industrieentwicklung stattfindet.

UZ: Wie sehen die Repressionsmaßnahmen des israelischen Staates aus?

Adel Amer: Momentan sitzt ein Mädchen, eine Dichterin, ihr Name ist Nadine Tator, im Gefängnis, weil sie auf Facebook einen Eintrag gepostet hat, der eine Erklärung gegen Israel sein soll. Es gibt eine Menge solcher Beispiele. Sogar an Arbeitsplätzen wird kontrolliert und spioniert und die Ergebnisse an die Sicherheitskräfte weitergegeben. 2014, während des großen Kriegs gegen Gaza, hat die KP Israels eine Demonstration in Haifa angemeldet und auch genehmigt bekommen. Die Ul­trarechten haben eine Gegendemo vorbereitet. Wir haben die Polizei im Vorfeld darüber informiert, dass es Ärger geben würde, da die Ultrarechten auf ihrer Homepage und auf Facebook angekündigt hatten, sie würden „es den Kriegsgegnern zeigen“.

Bei dieser Demonstration wurden dann zwei Genossen schwer durch die Ultrarechten verletzt. Einer von ihnen ist der Stellvertretende Oberbürgermeister von Haifa. Wir haben damals gesagt: die Polizei konnte beide Demonstrationen schützen, die hat es aber erlaubt, dass Provokationen und Aggressionen von einer Seite ausgeübt werden. Während dieses Kriegs gegen Gaza haben wir dann festgestellt, dass es doch faschistoide Tendenzen innerhalb der israelischen Gesellschaft gibt. Ab dem Krieg 2014 hat das israelische Parlament Knesset angefangen, rassistische Gesetze zu verabschieden. 2015 wurde ein Gesetz verabschiedet, nach dem hungerstreikende politische Gefangene zwangsernährt werden müssen. Ebenfalls 2015 wurde ein Gesetz erlassen, das den Wurf eines Steines auf israelische Militärs mit 20 Jahren Haft bestraft. Vorher waren es fünf Jahre. Im Juni 2017 wurde ein Gesetz verabschiedet, das Familienzusammenführungen mit Palästinensern aus den besetzten Gebieten verbietet. Wenn früher eine Person aus Negev (mehrheitlich arabisch bewohntes Gebiet in Israel – UZ) jemanden aus Bethlehem in den besetzten Gebieten geheiratet hat, konnte ein Antrag auf Familienzusammenführung gestellt werden, der dann meistens genehmigt wurde. Heute ist das verboten. Man kann heiraten, aber keine Familienzusammenführung machen. Dies sind nur ein paar Beispiele. Momentan gibt es weitere 70 Gesetze, die in diese Richtung gehen und auf ihre Verabschiedung warten. Das schwerwiegendste Gesetz, das zurzeit vorbereitet wird, ist das Gesetz der Nationalfrage. Dieses Gesetz besagt, dass Israel der Staat des jüdischen Volkes ist. Dieses Gesetzt besagt, dass Israel nur der Staat der Juden sein möchte, und es gibt den Juden mehr zivile und nationale Rechte als anderen. Wenn wir sagen, dass Israel sich in eine faschistische Richtung bewegt, dann sind es diese Gesetze, die das belegen. Deswegen sagen wir, das sind die Erscheinungen eines faschistoiden Staats.

UZ: Noch mal zurück zur Innenpolitik. Du hast gerade gesagt, dass 1,2 Millionen Menschen in Israel in Armut leben. Wie ist die soziale Lage der Bevölkerung in Israel?

Adel Amer: Für die Arbeiterklasse in Israel beträgt das Durchschnittsgehalt etwa 7 300 Schekel (1 825 Euro). Wer weniger als dies bekommt, wird als arm bezeichnet. Die Nationale Versicherung legt in Israel die Armutsgrenze fest. Es gibt viele Institutionen in Israel, die sagen, dass es in der Realität viel mehr Arme gibt als in der offiziellen Statistik angegeben. Wenn die Mehrheit der Arbeiter den Mindestlohn bekommt und dieser liegt genau bei der Armutsgrenze von 7 300 Schekel und die Miete liegt durchschnittlich bei 7 500 Schekel, dann lebt diese Person doch klar unter der Armutsgrenze.

UZ: Gibt es in Israel eine starke Gewerkschaftsbewegung?

Adel Amer: Das wird sich nicht in großen Protestaktionen widerspiegeln. Ich erinnere daran, dass es 2011 große Demonstrationen in Israel gab, die Protestaktionen haben lange angehalten. Netanyahu konnte diese Protestbewegung aber vernichten. Sie haben oberflächliche Forderungen erfüllt bekommen, hauptsächlich im Bezug auf Wohnungsnot und die hohen Lebenshaltungskosten. Warum gibt es in Israel keine großen gesellschaftlichen Explosionen? Es gibt eine Art ständige Gehirnwäsche innerhalb der israelischen Gesellschaft. Es wird behauptet, es gibt ein größeres Problem als das soziale. Das große Problem seien die Feinde von außen, die Israel zerstören wollen und Netanyahu beharrt darauf, dass es immer einen äußeren Feind gibt – erst Arafat, dann Hisbollah, dann Hamas, jetzt Iran. Und das jüdische Volk müsse dagegen zusammenhalten, Differenzen müssen ignoriert werden. Und die gesellschaftlichen Gesetze gelten für uns nicht,behauptet Netanyahu.

UZ: Momentan gibt es die Korruptionsaffäre um die Familie Netanyahu. Ist das symptomatisch für die israelische Politik?

Adel Amer: Korruption war immer ein Zeichen der Politiker in Israel. Der ehemalige Innenminister Arje Deri wurde zum Beispiel wegen Korruption, Amtsmissbrauch und Betrug zu vier Jahren Haft verurteilt, von denen er 22 Monate verbüßte. Nach der siebenjährigen Sperre für die Übernahme öffentlicher Ämter, die es nach so einer Verurteilung gibt, ist er jetzt Wirtschaftsminister. Bis jetzt sind die Korruptionsvorwürfe gegen Netanyahu noch nicht zur Anklage gekommen, aber es gibt verschiedene Vorgänge zu denen ermittelt wird, Angefangen mit den milliardenteuren U-Booten, die die deutsche Regierung Israel geschenkt hat, bis zu Zigarren und Champagner, die Netanyahu von einem Geschäftsmann angenommen haben soll. Aber bis jetzt reichen die Ermittlungsergebnisse angeblich noch nicht für eine Anklageerhebung aus. Es gibt wöchentliche Demonstrationen gegen die Korruption in Israel. Die Demonstrationen richten sich aber nur gegen die persönliche Korruption, wir versuchen dabei zu vermitteln, dass die persönliche Korruption von der politischen Korruption nicht zu trennen ist. Die Antwort darauf ist leider oft, wir würden versuchen die Korruptionsfrage zu politisieren. Wir nehmen an diesen Demos teil und führen dort große Diskussionen mit den Menschen.

UZ: Wo liegen die Schwerpunkte eurer Arbeit?

Adel Amer: Die KPI hat drei Hauptpunkte: 1. Frieden, denn das ist die Frage der Fragen und das schließt auch das Palästina-Problem mit ein. Es hat mit dem Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung zu tun und schließt die soziale Frage mit ein. Die Milliarden an Geldern die für Militär und Siedlungsbau ausgegeben werden, fehlen uns zum Beispiel im Gesundheitsbereich. Außerdem gibt es einen moralischen Verfall, der damit zusammenhängt. Wer in einer Armee dient und tagsüber Menschen unterdrückt, vergisst das nicht, wenn er nach Hause kommt, und die Aggressivität der Besatzung wird ihn bis nach Hause begleiten und wirkt sich auf das Familienleben aus, gegenüber der Frau, den Kinder, und anderen Mitgliedern der Gesellschaft. 2. Gleichberechtigung zwischen arabischen Palästinensern und israelischen Bürgern. Wir reden hier nicht nur über eine zivile Gleichberechtigung, sondern auch über eine nationale Gleichberechtigung. Der 3. Punkt ist Klassenkampf. Theoretisch sollte der Klassenkampf für eine kommunistische Partei der erste Punkt sein, nicht der dritte. Aber diese drei Punkte sind untrennbar verbunden. Sicherlich vergessen wir den Klassenkampf nicht, aber wir vergessen auch nicht das tägliche Leben aller Bürger Israels.

Im Oktober dieses Jahres wird es in Israel Kommunalwahlen geben und wir werden in zahlreichen Dörfern und Städten kandidieren. In vielen Städten in denen beide Teile der Bevölkerung leben also in Orten wie Haifa oder Jaffa werden wir kandidieren, sowie in allen arabischen Dörfern und Städten. Diese Wahlen sind wichtig, weil sie sich auf die konkreten Lebensbedingungen der Bevölkerung direkt auswirken. Hier geht es um Straßen, Schulen, das tägliche Leben. Es ist nicht nur eine lokale Wahl, sondern es hat auch etwas damit zu tun, wie groß der Staatshaushalt für Schulen und Infrastruktur sein wird.

UZ: Stellt ihr irgendwo den Bürgermeister?

Adel Amer: Weniger als früher, aber einige stellen wir. Vor einigen Jahren machten wir aber Verluste, so haben wir zum Beispiel Nazareth verloren, eine Hochburg der Kommunisten, in der wir über 40 Jahre den Bürgermeister gestellt haben. Wir sind zurzeit optimistisch, dass wir in den großen Zentren und Dörfern gewählt werden, in Nazareth haben wir z. B. jetzt einen jungen Genossen als Kandidaten.

Übersetzung: George Rashmawi

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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Gehirnwäsche und rassistische Gesetze", UZ vom 26. Januar 2018



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