Bis zuletzt haben seine Unterstützer auf der ganzen Welt gebangt: Nach mehr als 40 Jahren Haft, einem Vierteljahrhundert erfolgloser Entlassungsanträge und monatelangem juristischen Gezerre wurde Georges Ibrahim Abdallah am Morgen des 25. Juli aus französischer Gefangenschaft entlassen. Tage zuvor war die französische sogenannte „Anti-Terror-Staatsanwaltschaft“ mit ihrer Berufung gegen Abdallahs Entlassung gescheitert, die bereits im Herbst 2024 von einem Gericht angeordnet worden war. Zwar legte sie erneute Rechtsmittel gegen die Entlassung ein. Da diese aber keine aufschiebende Wirkung hatten, war klar, dass der libanesische Widerstandskämpfer entlassen und in seine Heimat abgeschoben werden würde, bevor die Mühlen der französischen Klassenjustiz weiter mahlen konnten. Jedenfalls, wenn alles mit rechten Dingen vor sich ginge.
Davon kann im Fall Georges Abdallah keine Rede sein: Seine Verurteilungen Mitte und Ende der 1980er Jahre kamen nur zustande, weil die USA massiven Druck ausübten und sein Strafverteidiger in Wahrheit ein Geheimdienstagent war. Auch gegen seine zahlreichen Entlassungsanträge seit 1999 intervenierten die US-Behörden. So stand zu befürchten, dass die Agenten des US-Imperialismus in den acht Tagen zwischen dem Gerichtsentscheid und Abdallahs Freilassung alle legalen und illegalen Hebel in Bewegung setzen würden, um seine Freilassung zu verhindern – oder zu erreichen, dass er das Gefängnis nicht lebendig verlassen würde.
Sieg und Symbol der Hoffnung
Dazu kam es letztlich nicht: Am vergangenen Freitag verließ Georges Abdallah in aller Frühe das Gefängnis und betrat ein Flugzeug, das ihn in den Libanon flog. In Beirut wurde er von einer Menschenmenge, hochrangigen Politikern und zahlreichen Medien empfangen. Neben Fahnen der Libanesischen Kommunistischen Partei (LKP) und der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) waren vor allem solche der Hisbollah und der Syrischen Sozialen Nationalistischen Partei (SSNP) zu sehen. Letztere ist eine linksnationalistische Partei, die unter anderem für den Zusammenschluss Syriens und des Libanons eintritt. Abdallah war sowohl Mitglied der PFLP als auch der SSNP.
Die PFLP bezeichnete die Freilassung Abdallahs in einer Erklärung als „Sieg für Palästina“, und sprach von seiner „legendären Standhaftigkeit“, die „ein inspirierendes Vorbild für die arabische und internationale revolutionäre Linke“ darstelle. Der Palästinensische Islamische Jihad drückte Abdallah, „seiner Familie, seinen Lieben, seinen Genossen und dem gesamten libanesischen und palästinensischen Volk“ seine Glückwünsche aus. Abdallahs Freilassung wecke „Hoffnung in den Herzen tausender Gefangener“ in den zionistischen Gefängnissen.
Aufruf an die arabischen Massen
Abdallah selbst demonstrierte erneut, dass seine Überzeugung in den vier Jahrzehnten im Knast nicht gebrochen wurde: Der 74-jährige gab Interviews, badete in der Menge und hielt kämpferische Reden. Gegenüber den Reportern erklärte er, dass der Widerstand weitergehen und ausgeweitet werden müsse. Er widersprach zudem einem Reporter, der ihn nach der „Schwächung des Widerstands“ fragte. Dass die Anführer der palästinensischen und libanesischen Widerstandsakteure – gemeint dürften in erster Linie Hamas und Hisbollah gewesen sein – reihenweise ermordet wurden, sei kein Ausdruck der Schwäche, im Gegenteil: Ihr Martyrium sei Beweis ihrer Überzeugung und damit der Stärke dieser Bewegungen. Schwach sei der Widerstand dagegen, wenn er eine verräterische Führung habe. Damit spielte Abdallah wohl auf PLO und Fatah an – aber auch auf die arabischen Staatsführer.
So richteten sich seine Appelle in erster Linie an die arabischen und insbesondere die ägyptischen Massen. Diese trügen eine Verantwortung für den Völkermord in Gaza, „mehr noch als die Regimes“, da man von Letzteren ohnehin nichts erwarten könne. Man müsse sich um den Widerstand sammeln, und vor allem in Ägypten müssten die Menschen endlich aufstehen. Es könne nicht sein, dass man wenige Kilometer von Gaza entfernt stillhalte, wenn dort Kinder verhungerten. „Wenn zwei Millionen Ägypter demonstrieren, würden die Massaker enden“, zeigte er sich überzeugt. Auch, als er nach dem Ende der Interviews schließlich mitten in der Menschenmenge stand, rief er die arabischen Massen auf, sich zu erheben und die Ägypter, auf die Straßen zu strömen.
In den letzten Tagen kam es weltweit vermehrt zu Demonstrationen für Palästina, was in erster Linie mit der Lage in Gaza zusammenhängt. Doch womöglich hat auch Abdallahs Ansprache einen Beitrag geleistet: Unter anderem im Libanon und im Irak, in Jordanien, Spanien, Finnland und Deutschland zogen Menschen vor die ägyptischen Botschaften, wo sie für die Beendigung der Blockade Gazas demonstrierten.
In Ägypten selbst kam es zu einer Geiselnahme. Zwei junge Ägypter nahmen einen Polizisten gefangen und forderten die Öffnung des Rafah-Grenzübergangs. In einem Video erklärten sie, dass sie niemanden verletzen wollten und dass ihre Waffen nicht geladen waren. Sie könnten es jedoch nicht ertragen, wegzusehen. Friedlicher Protest bringe nichts, da diejenigen, die für Palästina demonstriert hätten, bis heute in ägyptischen Gefängnissen verschwunden seien. „Wenn ihr dieses Video seht“, erklärten sie, seien auch sie selbst „entweder tot oder werden gerade gefoltert.“ Von einem Massenaufstand, wie ihn Abdallah fordert, kann im Ägypten unter Diktator al-Sisi bislang keine Rede sein.