„Solange man Widerstand leistet, lebt man weiter.“ Dieser Satz steht auf einer Tafel im fensterlosen Warteraum des Sozial- und Gesundheitszentrums „Baajour“ in Dahieh. Im Nachbarzimmer liegen alte Kinderspielzeuge verstreut auf einem Untersuchungstisch. An den Wänden hängen verblasste Bilder mit lustigen Gesichtern, um Kinder abzulenken. Das Zentrum hat offenbar wenig Mittel, aber seit Jahrzehnten versorgt es die lokale Bevölkerung mit dringend benötigten Gesundheits- und Sozialprogrammen. In Zeiten von Krieg und Krise wie diesen ist die kostengünstige Versorgung eine Lebensader für die Bewohner in diesem südlichen Vorort von Beirut. Der Betreiber des Zentrums, die säkulare Massenorganisation „Najdeh“, schafft es, die Türen offen zu halten trotz der kreisenden israelischen Drohnen am Himmel.
Dahieh war das Hauptziel des israelischen Angriffs auf den Libanon im September 2024. Zuerst kamen die Explosionen von Pagern und Walkie-Talkies, dann eine Woche später die gnadenlosen Raketeneinschläge auf Hunderte von Wohnblöcken. Hassan Nasrallah, der Anführer der schiitischen Hisbollah-Partei, war einer von rund 800 Menschen, die bei diesen Anschlägen getötet wurden. Nasrallah wurde 2006 weltberühmt, nachdem er von seinem Hauptquartier in Dahieh aus israelische Besatzungstruppen aus dem Libanon vertrieben hatte. Es war der erste Sieg über Israel nach Jahrzehnten von Rückschlägen für den antizionistischen Widerstand. Seitdem galt die Hisbollah als Bollwerk gegen die israelische Expansion in Westasien: Nasrallah hatte ein Gegengewicht in der Region geschaffen, um Tel Aviv in Schach zu halten. Mit seiner Ermordung im September 2024 wurde dieses Gleichgewicht beseitigt, erklärte mir ein libanesischer Genosse. Nun hält Benjamin Netanjahu nichts davon ab, den Libanon, Syrien, den Iran und den Irak nach Belieben zu bombardieren.
Stadtteile wie Flüchtlingslager
Die rund eine Million Einwohner Dahiehs kennen den Krieg nur zu gut. Viele von ihnen flohen aus dem Südlibanon – in mehreren Wellen im Zuge der sechs israelischen Invasionen seit 1978. Andere trafen früher hier ein, nachdem sie Ende der 1940er Jahre aus ihrer Heimat in Palästina vertrieben worden waren. Zuletzt kamen nach 2011 mehrere Zehntausende aus Syrien, als der brutale Bürgerkrieg vom Westen angeheizt wurde. Manche Bezirke wirken daher wie riesige Flüchtlingslager. 85 Prozent der Bewohner sind schiitische Muslime, weshalb Dahieh eine Hochburg der Hisbollah ist. Die Partei spielte eine zentrale Rolle beim Wiederaufbau nach den massiven Zerstörungen durch den Krieg im Jahr 2006. Weniger als zwei Jahrzehnte später liegen fast 500 Gebäude erneut in Trümmern. Es herrscht eine ständige Bedrohung für die Bewohner; die aktuelle Phase des Krieges ist durch gezielte Tötungen gekennzeichnet und Israel könnte jederzeit zuschlagen. Die Gesichter der Passanten sind verhärmt und müde, aber trotzig.
Obwohl die Hisbollah einen Großteil ihrer Kommandostrukturen verloren hat, hält die Massenunterstützung für sie an. Große Banner mit den Bildern von Märtyrern hängen an jedem zweiten Haus und Tausende staubige Parteifahnen wehen im Wind auf den Ruinen. Die USA und Israel versuchen die derzeitige Schwäche der Hisbollah auszunutzen, um den Menschen eine Entwaffnung aller Widerstandskräfte im Libanon aufzuzwingen. Doch jeder weiß, dass dies eine vollständige Aufgabe der Souveränität gegenüber Israel bedeuten würde. Deswegen tritt die Libanesische Kommunistische Partei (LKP) sehr explizit gegen die Entwaffnung der Hisbollah auf. Trotz aller großen Ankündigungen der von den USA unterstützten Regierung wird von allen Seiten stillschweigend eingeräumt, dass die libanesische Armee keine Chance hat, die immer noch weitaus stärkere Hisbollah zu entwaffnen.
Opfer des Kolonialismus
In Beirut selbst ist die Präsenz der schiitischen Partei weniger bemerkbar. Die Krisenerscheinungen sind aber überall zu spüren. Libanon gilt heute als das dritthöchst verschuldete Land weltweit. Das Verhältnis von Schulden zum Bruttoinlandsprodukt liegt seit Jahren bei über 150 Prozent. Das Land ist völlig in imperialistischer Abhängigkeit verstrickt. Fast alle Konsumgüter und Lebensmittel werden importiert, da es praktisch keine einheimische Produktionsbasis gibt. Die Volkswirtschaft ist auf den Dienstleistungssektor ausgerichtet, wobei das Finanzsystem die größte Rolle spielt. Ein Genosse beschrieb den Libanon als „die Schweiz des Nahen Ostens“: Eine lange Tradition des Bankgeheimnisses und des freien Kapitalverkehrs machte Beirut zu einem attraktiven Ort für die Kompradoren der arabischen Welt, um dort ihr Geld zu waschen und Steuern zu hinterziehen. Dieser Reichtum bleibt jedoch in den Händen eines sehr kleinen Kreises und wird nicht in den Aufbau eines produktiven Sektors investiert. Zudem befindet sich der Staat in einem Dauerzustand der Lähmung, denn das multikonfessionelle politische System sorgt immer wieder für interne Machtkämpfe und Pattsituationen zwischen Libanons 18 anerkannten Religionsgemeinschaften. Bei ihrem Rückzug aus Libanon im Jahr 1943 haben die französischen Kolonialherren dieses konfessionelle Systems aufgezwungen, um das Land weiterhin zu teilen und beherrschen.
Wirtschaftskrise, Explosion und Inflation
Der Libanon leidet seit Jahren unter einer immensen Wirtschaftskrise. Der Bürgerkrieg (1975 – 1990) – geführt zwischen den progressiven Kräften, die mit dem palästinensischen Widerstand verbündet waren, und den reaktionären Kräften, die von den USA und Israel unterstützt wurden – hinterließ verheerende Zerstörungen, die heute noch überall in Beirut zu sehen sind. Einige der alten Hochhäuser, die während der Straßenkämpfe als Scharfschützenstellungen dienten, ragen noch immer wie ausgebrannte Skelette über die Stadt. Der aufwändige Wiederaufbau des Landes in den 1990ern wurde hauptsächlich durch Kredite finanziert. Als diese Schulden wuchsen und der Staat zunehmend zahlungsunfähig wurde, beschloss die Regierung 2019 neue Steuererhöhungen und Sozialkürzungen. Die Massen hatten bereits mit Inflation und einer Arbeitslosigkeitsrate von fast 50 Prozent zu kämpfen. Die Wirtschaft litt seit Anfang der 2010er Jahre unter enormem Druck, nachdem 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge in einem Land mit 5 Millionen Einwohnern aufgenommen werden mussten. Die Steuererhöhungen waren dann der Zündfunke im Pulverfass. In den Städten kam es 2019 zu Massenprotesten und heftigen Straßenkämpfen. Die LKP spielte eine zentrale Rolle bei der Mobilisierung und Führung dieser Revolte. Als eine der wenigen säkularen Parteien im Libanon stellte sie die Speerspitze der Forderung nach einer Überwindung des konfessionellen politischen Systems dar. Es folgte massive Repression durch die Behörden. Premierminister Saad Hariri musste letztendlich zurücktreten und das Steuergesetz wurde nicht umgesetzt. Das parlamentarische System aber wurde ins Chaos gestürzt und das Land blieb ohne eindeutige Führung.

Dies war die Situation, als 2020 erst die Covid-19-Pandemie ausbrach und dann der Hafen von Beirut explodierte. Mit einer Sprengkraft von 1,1 Kilotonnen TNT zählt Letzteres zu den stärksten jemals registrierten nichtnuklearen Explosionen in der Weltgeschichte. Die Ursache für die Explosion bleibt ungeklärt, aber die Folge waren 15 Milliarden US-Dollar Sachschaden und 220 Tote. Die Inflationsrate stieg daraufhin weiter an und erreichte 220 Prozent, als der aktuelle Krieg mit Israel am 8. Oktober 2023 begann. Das Ausmaß der Krise in Libanon ist also kaum vorstellbar. Das Land ist seit Jahrzehnten Opfer neokolonialer Ausbeutung und zionistischer Aggression.
Die Rolle der Kommunisten
Gegründet im Jahr 1924, ist die Libanesische Kommunistische Partei eine der ältesten Parteien Libanons. Aufgrund ihrer Verdienste während der antikolonialen Kämpfe und bei der Erringung der politischen Unabhängigkeit wird die Partei weithin als etablierte und legitime Kraft anerkannt, selbst in bürgerlichen Kreisen. Als nichtkonfessionelle Partei vereint die LKP Mitglieder aus den verschiedenen Religionsgemeinschaften des Landes im Kampf für die nationaldemokratische Revolution. Das Ziel besteht darin, die Souveränität des Landes zurückzugewinnen, indem eine breite Volksfront gebildet und das konfessionelle System überwunden wird und Investitionen in den produktiven Sektor des Libanon umgelenkt werden. Gemeinsam mit Massenorganisationen wie „Najdeh“ arbeitet die LKP intensiv in den Stadtteilen und Dörfern, um konfessionellen Feindseligkeiten entgegenzuwirken und ein antiimperialistisches Bewusstsein zu fördern. Die Programme reichen von Gesundheitsvorsorge und Bildung bis zur Frauenförderung und Sport.
Die reaktionären Kräfte im Libanon versuchen, die Palästinenser für die Probleme des Landes verantwortlich zu machen. Sie behaupten, dass die Vertreibung des palästinensischen Widerstands und die Unterordnung des Landes unter den Westen die Probleme im Libanon lösen werden. Die Kommunisten hingegen betrachten den Imperialismus als die Ursache der Krisen. Seit der Balfour-Erklärung von 1917 unterstützt der Westen den Zionismus, um einen Vorposten in der Region zu errichten. Israel hat immer wieder die antikolonialen Bemühungen der Staaten Westasiens untergraben und somit den sozialen Fortschritt in der Region konsequent verhindert. Seine Rolle im Suez-Krieg (1956) und im libanesischen Bürgerkrieg sind Paradebeispiele dafür. Die Lösung der Probleme im Libanon sind also untrennbar mit der Lösung der Palästina-Frage verbunden. Deswegen arbeitet die LKP eng mit den Parteien des palästinensischen Widerstands zusammen, auch wenn sie einer anderen politischen Ausrichtung folgen.
Krieg und Besatzung
Der Waffenstillstand zwischen dem Libanon und Israel von November 2024 besteht nur auf dem Papier. Israel war verpflichtet, Anfang des Jahres seine Besatzung des Südlibanon zu beenden und alle Truppen vollständig abzuziehen. Tel Aviv kündigte jedoch im März an, fünf „strategische Stützpunkte“ auf libanesischem Gebiet auf unbestimmte Zeit zu behalten. Im Schatten dieser Stützpunkte dringen israelische Siedler in den Südlibanon ein und vertreiben die lokale Bevölkerung. Benjamin Netanjahu und Donald Trump wollen hier einen „Sicherheitsgürtel“ quer durch das Gebiet einrichten. Die Bauernfamilien, die die Dörfer des Südlibanon bewohnen, sind dem gleichen Schicksal wie die in Dahieh ausgesetzt: Vertreibung oder Tod. Ein Genosse berichtete, wie israelische Siedler kürzlich sein Familienhaus übernommen und besetzt haben. Solange die Siedler von israelischen Soldaten geschützt werden, hat er keine Chance, sein Haus zurückzubekommen. Nur ein paar Wochen später töteten israelische Bomben einen jungen Vater und seine drei Kinder, weil sich angeblich ein Hisbollah-Kämpfer in der Nähe befand. Die zionistischen Pläne zur ethnischen Säuberung reichen offenbar weit über die Grenzen Palästinas hinaus.
Widerstand braucht Solidarität
Vor diesem Hintergrund war es umso wichtiger, dass die kommunistische Weltbewegung entschlossen ihre Solidarität mit dem libanesischen und dem palästinensischen Volk vor Ort zeigte. Auf Einladung der LKP kamen im September Vertreter von 34 kommunistischen und Arbeiterparteien zusammen, um mit lokalen Organisationen über die aktuelle Lage und die Aufgaben im antiimperialistischen Kampf zu diskutieren. Bei Gesprächen mit den palästinensischen Parteien in den beengten und verarmten Flüchtlingslagern wurde deutlich, dass der Widerstand trotz aller Differenzen geeint bleibt. Sie wehren sich konsequent gegen die Entwaffnungspläne der USA. Israel kann zwar den Befreiungskampf zeitweilig durch gezielte Tötungen schwächen, aber mit jedem Anschlag wächst auch der Kampfwille der Massen. Zudem ist die zionistische Ideologie international gesehen noch nie so schwach gewesen wie jetzt. Eine Solidaritätsbewegung mit antiimperialistischen Zügen gewinnt weltweit rasch an Dynamik. Der Waffenstillstand in Gaza wird sicherlich genauso sein wie der im Libanon: ein Stück Papier, das Israel im Namen der „Terrorismusbekämpfung“ willkürlich verletzen wird. Jetzt mehr denn je müssen wir sowohl den Druck auf die westlichen Regierungen aufrechterhalten als auch das Recht des libanesischen und palästinensischen Volkes auf Widerstand in aller Öffentlichkeit verteidigen.