Delegationsreise nach China: Dem Volk dienen – Teil 1

Gewusel und himmlische Ruhe

Durch den Huawei Store betreten wir die Shopping Mall und stehen mitten im Sozialismus chinesischer Prägung. Über fünf Stockwerke bieten die Händler ihre Waren an. Chinesinnen wuseln über die Rolltreppen, begutachten Schmuck und neuesten Chic. Chinesen informieren sich über Elektronik und die Kinder staunen vor den Spielzeugläden. Wir schlendern mit den Schweizer Genossen irritiert durch die glitzernden Gänge.

Im April hatte die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) linke Parteien aus deutschsprachigen europäischen Ländern zu einer Rundreise eingeladen. Teilgenommen haben sechs Genossinnen und Genossen der Partei „Die Linke“, zwei Genossen der Kommunistischen Partei der Schweiz sowie zwei Mitglieder der DKP. Die erste Station unserer Rundreise ist die chinesische Hauptstadt Peking.

Unseren Ausflug in die nähere Umgebung des Hotels beenden wir nach kurzer Zeit. An der ersten Kreuzung bietet eine Frau Erdbeeren auf dem Gepäckträger ihres Fahrrads an. Eine Ecke weiter werden die neuesten Nike-Schuhe aus einem Transporter ausgeladen. Die ersten Kunden probieren sie schon neben der vierspurigen Straße an.

Auch abends um neun ist auf den Straßen noch viel los. Seit unserer Ankunft am größten Flughafen der Welt, der in nur vier Jahren gebaut wurde, standen wir den Tag über sehr viel im Stau. Aufgefallen ist uns dabei, dass die Chinesinnen und Chinesen entweder mit dem Motorroller unterwegs sind, gerne auch schon mal mit der ganzen Familie, oder sie fahren im SUV. Viele Autos kommen aus chinesischer Produktion und haben ein grünes Nummernschild – E-Autos. Jetzt am Abend bemerken wir auch, dass fast alle Roller elektrisch angetrieben sind. Was dazu führt, dass es trotz verstopfter Straßen verhältnismäßig ruhig ist. Es stinkt auch nicht.

Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes ist überall zu sehen und zu spüren. Die Läden sind voll, die Restaurants und Cafés auch. Sicher können sich nicht alle Chinesinnen und Chinesen den neuesten SUV oder das neueste Handy leisten. Das Wohlstandsgefälle ist offensichtlich. Was wir nicht sehen, sind Obdachlose oder Menschen, die betteln müssen.

Rechts und links recken sich die Hochhäuser. Sie haben hier nur zwischen fünf und zehn Stockwerken. In die eine oder andere Wohnung im Erdgeschoss können wir einen Blick werfen. Sie wirken nicht gerade groß. Die Fenster sind großenteils vergittert. Nicht so sehr aus Angst vor Einbrechern. Die Gitter dienen bei älteren Gebäuden zum Schutz vorm Herunterfallen. Sie werden aber auch als Wäschegestell, als zusätzlicher Abstellraum oder für den kleinen Kräutergarten genutzt.

Am Morgen ist die erste Station unserer Reise der Dongcheng-Bezirk. Zwischen Hochhäusern hindurch, entlang eines Kanals, kriecht der Bus durch den Stau. Dann ändert sich die Bebauung: Links und rechts der Straße zweistöckige Gebäude und enge Gassen. In eine dieser Gassen biegt unser Bus ab, nach wenigen Metern überquert er eine kleine Brücke. Links und rechts des Kanals blühen die Bäume – mitten in Peking himmlische Ruhe. Durch eine kleine Straße geht es in Richtung des Hutong, so werden die Wohnviertel historischer Bebauung genannt. Durch einen Torbogen gelangen wir in einen Hof mit kleinen, einstöckigen Gebäuden. Früher wohnten in diesem Hinterhof bis zu 20 Familien unter einfachen, altertümlichen Verhältnissen. Seit Jahrhunderten wohnte in solchen Hutongs die arme Bevölkerung Pekings. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung wurden viele dieser Viertel abgerissen und auf dem Gelände mehrstöckige moderne Gebäude errichtet. Inzwischen wird die historische Bausubstanz aufwendig saniert. In „unserem“ Hof wohnen heute drei Familien, die Mieten sind staatlich subventioniert, in allen Höfen gibt es Gemeinschaftsräume. Die Instandsetzung des Viertels, in dem heute etwa 1.600 Menschen in knapp 200 Wohnungen leben, war ein Modellprojekt, bei dem auf Einbeziehung der Bevölkerung und Freiwilligkeit gesetzt wurde. Eineinhalb Jahre diskutierten die Mitglieder der örtlichen Parteigruppe und Freiwillige mit den Bewohnern. Sie stellten das Projekt vor, nahmen sich der Fragen und Wünsche an, berieten und halfen, wo sie gebraucht wurden. Bei den Entscheidungen wurden die Bewohner einbezogen. 2017 begannen die Baumaßnahmen und waren nach fünf Jahren abgeschlossen. Dabei wurde auch ein Nachbarschaftshaus geschaffen, in dem sich eine Servicestation befindet, wo die Bewohner alles Notwendige erledigen können. Dort haben auch die Freiwilligen des Viertels ihren Standort, die in allen wichtigen Angelegenheiten auch bei den Bewohnern zu Hause zur Stelle sind. Ein Schwerpunkt neben der Betreuung der alten Menschen ist die Schlichtung von Streitigkeiten. In der Zeit des Lockdowns während der Corona-Pandemie versorgten die Freiwilligen das Viertel mit allem Lebenswichtigen, von Nahrung bis zu sozialen Kontakten.

Eng verwoben mit dem Nachbarschaftshaus und den Freiwilligen ist das Parteikomitee des Hutong. Knapp 250 Mitglieder sind hier in vier Gruppen organisiert. Sie studieren gemeinsam die Beschlüsse des Zentralkomitees, vor allem aber dienen sie dem Volk.

Auf dem Weg zurück ins Gewusel manövriert unser Busfahrer durch die Gassen. Um ihn herum schlängeln sich die Chinesen auf ihren E-Rollern. Hier im Hutong sind sie das bessere Fortbewegungsmittel. Die Audis und Mercedes, die sich einen Parkplatz erzwungen haben, sind bedeckt mit einer dicken Staubschicht. Wer hier einen Parkplatz hat, gibt ihn vermutlich nur her, wenn es unbedingt nötig ist.

Es geht zurück in die Hochhausschluchten. Unsere nächste Station ist die „12345 Citizen Service Hotline“. Sie ist untergebracht im Gebäude eines Stadtteilbüros. Die Auffahrt zum Gebäude ähnelt eher der eines Sternehotels denn eines Amtes. Wir betreten eine hohe, helle Halle, gegenüber dem Eingang ein großer Empfangstresen. Wir werden freundlich von den Genossen empfangen und über die Rolltreppen nach oben geführt. In den Etagen können die Bürger alle Angelegenheiten mit der Verwaltung erledigen, egal ob es um Eheschließung, Autoanmeldung oder Steuerangelegenheiten geht. An vielen Schaltern warten Mitarbeitende, Schlangen vor den Schaltern gibt es nicht.

In der vierten Etage erwartet uns schließlich die Abteilung „Bürgertelefon“ mit einem etwa drei mal fünf Meter großen Bildschirm an der Wand im Eingangsbereich. Wie auf einem überdimensionierten Tablet können in Echtzeit die Kontakte und Anfragen verfolgt werden. Über 24 Millionen mal wurde „12345“ per Telefon oder alle möglichen Online-Zugänge im letzten Jahr gewählt. Die Bürgerinnen und Bürger in Peking haben damit eine zentrale Ansprechstelle für alles, von der Beschwerde über das falsch geparkte Auto, über Fragen an die Verwaltung von Bürgern oder Unternehmen bis hin zu Beschwerden über Online-Händler. Innerhalb von durchschnittlich zwei Tagen haben die Mitarbeitenden der Servicehotline die Menschen zum richtigen Ansprechpartner vermittelt. Nach durchschnittlich fünf Tagen konnte eine Lösung gefunden werden, mit der über 97 Prozent der Nutzer zufrieden sind.

Die Mitarbeitenden sitzen in einem Großraumbüro, in dem es auffällig ruhig zugeht. Zur Selbstkontrolle sind an jedem Arbeitsplatz Anzeigen für die Sprechlautstärke installiert, damit die Servicekräfte mit den Anrufern nicht zu laut sprechen. Alle Anliegen werden im Computer erfasst und das System hilft bei der Bearbeitung. Fotografieren dürfen wir hier wegen der Privatsphäre nicht. Allerdings können wir an einigen Arbeitsplätzen mit Kopfhörern mithören und sogar etwas verstehen. „12345“ bietet den Service in acht Sprachen an, auch in Deutsch.

Die Genossen des Parteikomitees von „12345“ erklären uns die doppelte Funktion ihres Services: Mit dem Angebot möchte die Lokalregierung der Bevölkerung dienen. Gleichzeitig geht es darum, aufmerksam für die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen zu sein, um frühzeitig reagieren zu können.

Die Genossen der Internationalen Abteilung der KPCh ergänzen: Die Partei werde nicht gemessen an der Zahl ihrer Versammlungen, sondern an ihrer Fähigkeit, die Probleme der Menschen zu lösen. Die Voraussetzung dafür sei, dass man die Anliegen der Bevölkerung kenne. Deshalb seien die Verbindung in das Volk und offene Ohren entscheidend. Dies sei die zentrale Aufgabe der Parteigliederungen an der Basis. Bei der Umsetzung der Beschlüsse des Zentralkomitees komme es auf den Arbeitsstil an und darauf, dass die Genossinnen und Genossen ihre Vorbildfunktion wahrnehmen. Diesen Aufgaben dienen auch die Reisen von Präsident Xi Jingping an die Basis. Er wolle sich ein eigenes Bild der Probleme machen und die Verbindung zum Volk aufrecht erhalten, aber auch ein Vorbild liefern, wie die Beschlüsse umgesetzt werden sollen.

Regieren ganz anders, als wir es gewohnt sind.

Teil 2 erscheint in der kommenden Ausgabe von UZ.

Fotogalerie:

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"Gewusel und himmlische Ruhe", UZ vom 30. Mai 2025



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