Eindrücke vom 26. Parteitag der DKP in Frankfurt am Main

Sonnenschein ohn’ Unterlass

Der eine oder andere etwas ältere Delegierte, der sich wunderte, dass die Bahn ihn am vergangenen Freitag pünktlich bis 15 Uhr nach Frankfurt am Main transportierte, kramte im Kopf nach einem alten Song. Der DDR-Liedermacher Reinhold Andert hatte sich angesichts der vielen Selbstverpflichtungen von Arbeitsbrigaden im Vorfeld von SED-Parteitagen musikalisch belustigt über die Verpflichtung der Reichsbahn, die Züge pünktlich fahren zu lassen – als sei das nur zu Parteitagen nützlich. Aber zur Eröffnung des 26. Parteitags der Deutschen Kommunistischen Partei war es so: Die Züge fuhren pünktlich, fast alle 176 Delegierten saßen beim Gongschlag dicht gedrängt auf ihren Plätzen im Großen Saal der Jugendherberge und auch die Empore mit Gästen aus dem In- und Ausland war gut gefüllt. Die Sonne schien, die Stimmung war aufgeräumt, aber auch angespannt.

Denn der Rechenschaftsbericht von Patrik Köbele stellte die Lage ungeschönt dar: Bedrohlich anwachsende Kriegsgefahr, Verarmung der arbeitenden Klassen, Repressionen gegen deutsche Journalisten oder Vereine wie die „Friedensbrücke“, die der von oben verordneten Russlandfeindlichkeit im Wege stehen, noch viel zu wenig Widerstand in der Arbeiterklasse und in den Gewerkschaften gegen diesen Kurs in den Abgrund.

Hochsommerliche Temperaturen, große Wiedersehensfreude und große Freude über die vielen jungen Delegierten und neugierigen Gäste einerseits und – weil das Leben immer konkret ist – die von den Ordnern sanft, aber eindringlich durchgesetzte Bitte, auf private Fotos von dem Parteitag zu verzichten, andererseits.

Ernsthafter, zuweilen sich Fröhlichkeit erlaubender Optimismus – das ist wohl das, was die Stimmung dieser drei Tage am besten kennzeichnet. Die Fröhlichkeit brach durch, als sich am ersten Kongresstag hunderte Kommunistinnen und Kommunisten bei ein paar von der SDAJ organisierten Kästen Bier und Wein am Ufer des Mains trafen. Statt wie geplant bis kurz vor Mitternacht blieben viele Genossinnen und Genossen doch bis einige Zeit danach dort und ließen die ersten Debatten Revue passieren. Die Fröhlichkeit der Nacht schwappte am nächsten Tag in den Kongresssaal, als ein junger Delegierter unter zustimmendem Gelächter Selbstkritik übte und zugab, es habe „Fehler gegeben – wir haben den Rotwein gekühlt, aber nicht den Weißwein und das Bier“.

Ernsthaftigkeit hingegen zeichnete die Gesichter der Gäste, Helfer und Delegierten, die sich am Sonntagmorgen noch vor Beginn des Parteitags am Mainufer unter der Forderung versammelt hatten, nie wieder deutsche Truppen gegen Russland marschieren zu lassen, wie das in den frühen Morgenstunden des 22. Juni 1941 befohlen worden war. Mit fast diabolischer Boshaftigkeit hatte sich der US-Imperialismus ausgerechnet dieses Datum ausgesucht, um ohne Kriegserklärung aus dem Dunkel der Nacht heraus seine Bomber gegen den Iran zu schicken.

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Am Jahrestag des Überfalls auf die So­wjet­union am 22. Juni 1941 setzte der Parteitag ein Zeichen gegen Kriegstüchtigkeit, für Frieden mit Russland und China. (Foto: Martina Lennartz)

Die Einschätzung dieses Imperialismus, seiner Entwicklung seit der Leninschen Analyse von 1917 und seiner inneren Widersprüchlichkeiten flammte an verschiedenen Stellen als die wohl einzige inhaltliche Kontroverse des Parteitags auf – am Beginn in der Generaldebatte über das sehr lesenswerte Referat des Parteivorsitzenden und später noch einmal bei der Beratung zur Handlungsorientierung für die kommenden Kämpfe. Bemerkenswert war, dass diese Kontroversen engagiert ausgetragen wurden, ohne Verletzungen zu hinterlassen oder die Handlungsfähigkeit der Organisation zu beeinträchtigen. Denn verabschiedet wurde das zen­trale Dokument dieses Parteitags unter der Überschrift „Widerstand gegen Militarisierung und Sozialabbau organisieren – Wir kämpfen für Heizung, Brot und Frieden“ bei nur vier Enthaltungen und ohne Gegenstimmen.

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Patrik Köbele überreichte mehr als 10.000 Unterschriften für den Berliner Appell an Jutta Kausch von der Initiative „Nie wieder Krieg – die Waffen nieder!“ (Foto: Martina Lennartz)

Das gibt Mut, in den nächsten Jahren mit Gelassenheit, Gründlichkeit, Ernsthaftigkeit und historischem Optimismus an der Analyse des Gegners weiterzuarbeiten, der dem Sieg des Sozialismus im Moment noch wie ein scheinbar unbesiegbarer Riese gegenübersteht – und ihn letztlich niederzuringen.

Deutlich wurde in Frankfurt auch: Mit dieser Aufgabe steht die Deutsche Kommunistische Partei nicht allein. Sie hat erstaunlich viele Mitstreiter, die ihre Kraft über die Mitgliedschaft hinaus vervielfältigen. Fast fünfzig Grußadressen von befreundeten Parteien und Organisationen rund um den ganzen Globus hingen im Foyer in fast allen Sprachen dieser Welt – von der chinesischen KP, von den meisten europäischen, der russischen und anderen. Grußworte, mit stehenden Ovationen bedacht, hielten der Botschafter Vietnams sowie Repräsentanten der kubanischen Botschaft, der Friedenskoordination Berlin und die Gewerkschafterin, Friedenskämpferin und „Linke“-Vorstandsmitglied Ulrike Eifler (die, weil per Video zugeschaltet, nicht sehen konnte, wie sich, die Delegierten aus Dank für ihre klaren Worte von ihren Plätzen erhoben). Der Applaus steigerte sich vom Sturm zum Orkan und entwickelte sich zu Sprechchören, wenn sich Verbundenheit mit den am meisten leidenden und kämpfenden Völkern dieser Welt Bahn brach. Da erschallten „Viva Cuba Socialista!“ und „Free, Free Palestine!“, während die Kufiyas in die Höhe gestreckt wurden, die viele Delegierte trotz der Hitze alle drei Tage trugen, der Parteivorsitzende eingeschlossen.

Donnernder Beifall auch immer dann, wenn die Gemeinschaft mit der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend betont wurde. Das Frankfurter Gefühl, trotz aller Riesenaufgaben und trotz der eigenen Schwäche allem gewachsen zu sein, was da noch kommen mag, rührte auch daher: Vor zwei Wochen noch halfen viele Delegierte der SDAJ dabei, im strömenden Regen in Bottrop das bisher größte „Festival der Jugend“ seit der großen Niederlage von 1989 auf die Beine zu stellen. Und diese Jugend prägte nun diesen Parteitag der Kommunistinnen und Kommunisten in drückender Hitze mit. Sie tat dies mit Widerworten, mit Solidarität, mit dem festen Willen, die Fahne von Emil Carlebach, der hier in Frankfurt am Main die DKP 1968 mit ins Leben gerufen hatte, weiterzutragen. Die Regentage von Bottrop und die Hitze von Frankfurt haben, verbunden mit dem, was gerade in der Welt passiert, die Stimmung geformt: Dies ist eine Partei für jedes Wetter. Sie wird sich auf die neue Lage einstellen – programmatisch, auch statutarisch, in der Sicherung ihrer Finanzen, in Vorsicht ihren Feinden gegenüber und vor allem, wie sich am letzten Kongresstag zeigte, durch die Verjüngung ihrer Führungsgremien.

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Kampfgemeinschaft: Die Bundesvorsitzende der SDAJ, Andrea Hornung, und Patrik Köbele, Vorsitzender der DKP. (Foto: Tom Brenner)

Viel Zeit und Aufmerksamkeit war dem Erfahrungsaustausch in den Feldern „Wirken in der Klasse“, „Kampf in der Kommune“, „Friedenskampf und Bündnispolitik“ gewidmet. Vor allem diese Debatten zeigen den himmelweiten Unterschied dieser zu allen anderen Parteien dieses Landes. Die nämlich deformieren ihre wichtigsten Kongresse immer mehr zu sinn-, streit- und inhaltsleeren Showveranstaltungen, dirigiert nicht von unten, sondern von oben. Den Kontrast dazu bietet die kleine kommunistische Partei: Sie stellte die Berichte aus den Betriebsgruppen – zwei davon unter großem Jubel des Parteitages frisch gegründet – aus den Kommunen und aus der Friedensbewegung in den Mittelpunkt ihrer Diskussion, damit aus Einzelbeispielen in der Perspektive Massenbewegungen werden.

Der unbeugsame Optimismus und Kampfgeist einer sich sichtbar verjüngenden kommunistischen Partei im imperialistischen Deutschland zeichnete die drei Tage von Frankfurt aus, von denen die Delegierten müde, schwitzend und zu Recht zufrieden mit sich und ihrer Partei am Sonntagnachmittag wieder abreisten – hinein in vielfach verspätete Züge.

Die UZ wird in den kommenden Ausgaben Auszüge aus den Referaten, Diskussionsbeiträge und Beiträge aus dem Erfahrungsaustausch dokumentieren. Im UZ-Blog kann zudem weiterhin der Live-Ticker des Parteitages nachgelesen werden.

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"Sonnenschein ohn’ Unterlass", UZ vom 27. Juni 2025



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