Von Ausstellungen und Ultras

Hammer

Kolumne oder so

Schau I. Zur Vernissage unserer Ausstellung/unseres Buches „Dortmund Underground“ kommen nicht die erhofften 150 bis 200 Menschen, sondern über den Abend 400 plus. Die um die Nase leicht blasse Dame der Stadt, die die Räumlichkeiten stellt, meint, „Sonst haben wir zu Eröffnungen hier 20 bis 30“. Sie bekommt ein Glas Chardonnay, die Nase ihre natürliche Farbe wieder, die anderen 399 trinken vom BVB gesponsertes Dosenbier. Prost.

Hetze. „Bei der Migration sind wir sehr weit … aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem“ (Friedrich Merz, 2025). „Sie (die Juden) verderben nicht nur das Straßenbild, sondern auch die Stimmung.“ (Joseph Goebbels, 1941) Keine Pointe.

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Schau II. Man fällt sich in die Arme, hier wie dort ein: „Dich hab ich ja Jahrzehnte nicht gesehen!“ Menschen kommen aus Köln, Berlin, Hamburg, Hagen – alles ehemalige Dortmunder Szene. Es werden Fotos gemacht, das eine oder andere Tränchen wird zerdrückt: „Hier auf dem Konzert ’83 im FZW, da war Knubbel noch am Leben!“ 19 Uhr, zwei Stunden nach Eröffnung, das Dosenbier neigt sich rapide dem Ende entgegen, es waren nur 500 Dosen. Hammer.

Verirrt. „Julia Roberts steht gerne hinterm Herd“, behauptet n-tv.de. Nun weiß ich auch nicht, was sie da macht, aber stünde sie davor, könnte sie ja auch gleich ’ne Pizza reinschieben. Meinjanur.

Schau III. Nach der Vernissage. Fast 300 der 500 Bücher sind verkauft, erste Panik steigt auf: Kommen denn auch an verregneten Tagen noch Menschen? Der erste verregnete Tag: Über 50! Junge Pärchen, alte Männer. Letztere von „noch leicht punkig“ bis feinstes Sakko. „Gibt’s noch Bier?“, fragt ein gut angezogener Herr schüchtern. „Jup“, sage ich, „anne Bude umme Ecke.“ Etwas ungläubig: „Ist das echt okay? Dann hole ich aber gleich ein paar mehr.“ „Klar.“ 15 Minuten später sitzen wildfremde Menschen zusammen mit einem Bier in der Hand und erzählen Dönekes von früher. Wie geil.

Huch! „Dobrindt regt Kriegsunterricht in Schulen an.“ (ntv.de) Da hat ein Praktikant des zum Bertelsmann-Konzern gehörenden Senders wohl aus Versehen die Wahrheit geschrieben. Dabei wollte der Innenminister doch bloß „anregen, das Thema Krisenvorsorge in den Schulalltag einzubinden“. Ein Schelm, wer an Krieg dabei denkt.

Sprache. Das Jugendwort des Jahres 2025 lautet „Das crazy“. Oder wie „tagesschau.de“ schreibt: Die „Allzweckwaffe der Sprachlosigkeit“. Kann ich jetzt auch nicht mehr zu sagen außer: Isso.

Schau IV. Ich muss an einem sogenannten „Podcast“ teilnehmen, vor 30 bis 40 Leuten Rede und Antwort stehen. Früher hätte das wahrscheinlich „Interview zur späteren Ausstrahlung“ geheißen, aber das ist ja noch unsexyer als „Podcast“. Schwitze Blut & Bier, überlebe aber. Sitze abends noch fix und fertig kurz am Handy, einer schreibt in die Facebook-Gruppe: „Was ein krass geiles Buch von euch. Nur die Schrift ist wieder zu klein! Grüße, Lesebrillenultra.“ Pruste meinen Dornfelder über den Küchentisch, wische kopfschüttelnd alles wieder auf, und denke mir: Lesebrillenultra. Einfach …

Hammer.

Dortmunder Underground
1978 – 1998
Letzte Termine: 30. Oktober bis 2. November, 15 bis 19 Uhr
Anneliese
Gneisenaustraße 30
44147 Dortmund

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"Hammer", UZ vom 31. Oktober 2025



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