In Deutschland wird der Schutz kritischer Infrastruktur zunehmend unter einem Verteidigungsnarrativ betrachtet. Im Gesetzesentwurf zur Kritischen Infrastruktur, der Anfang November im Bundestag behandelt wurde, ist kein direkter Zusammenhang mit Militarisierung zu finden. Offiziell geht es um Sicherheit und Versorgung. Hinter Gesetzesinitiativen wie dem KRITIS-Dachgesetz (KRITISDachG), der EU-CER-Richtlinie und der NIS-2-Richtlinie über Cybersicherheit verbirgt sich jedoch mehr: die Transformation der Gesellschaft durch eine neue Form der gesellschaftlichen Durchdringung mit militärischem Denken.
Als das EU-Parlament Ende 2022 die Richtlinie über die Resilienz kritischer Einrichtungen (CER) beschloss, bestimmte die Eskalation des Krieges in der Ukraine den politischen Diskurs. Der Kontext war eindeutig: Nicht mehr Pandemien sollten die Agenda bestimmen, sondern Krieg und Sabotage. Die Stellungnahmen zur Bundestagsanhörung am 1. Dezember dazu zeigen, wie dieser Kontext umgesetzt werden soll.
Das Dachgesetz für Kritische Infrastrukturen (KRITISDachG) soll einheitliche Mindestanforderungen für Betreiber solcher Infrastruktur schaffen. Betroffen sind mehr als 1.200 Unternehmen und öffentliche Körperschaften. Das Gesetz, das in erster Lesung den Bundestag durchlaufen hat, sieht Risikoanalysen, Meldepflichten, Krisenmanagement und Sicherheitsmaßnahmen vor, die sowohl physische Bedrohungen als auch Cyberangriffe abdecken. Dabei werden explizit Szenarien von Sabotage, hybriden Angriffen und militärischen Konflikten einbezogen. Damit wird die zivile Infrastruktur Teil der Gesamtstrategie der Militarisierung.

„Angesichts hybrider Bedrohungen und verschärfter geopolitischer Sicherheitslage“ müsse gehandelt werden, schreibt der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Gesetz. Spionage, Sabotage und Cyberangriffe werden zum neuen Alltag erklärt. Der Bundesrat begründet seinen Auftrag zur Gesetzgebung mit Artikel 73 des Grundgesetzes, der die „Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung“ und die „Handlungsfähigkeit des Staates im äußeren Notstand“ regelt. Die „krisenhaften Entwicklungen“ und die „Herausforderungen zur Wiederherstellung der Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit“ der letzten Jahre zeigten, dass verlässliche Grundlagen geschaffen werden müssten.
Die CER-Richtlinie, die NIS-2-Richtlinie und der Entwurf des KRITISDachG bilden ein Regelwerk nach dem militärischen „All-Gefahren-Ansatz“: Jedes erdenkliche Risiko muss berücksichtigt werden, von Naturkatastrophen und menschlichem Versagen bis hin zu Terroranschlägen und Sabotage. Verstärkt wird dies durch den Operationsplan Deutschland (OPLAN DEU), der die zivile Infrastruktur direkt in die NATO-Strategie integriert. Demnach sollen Energieversorger, Telekommunikation, Verkehr und Krankenhäuser mit militärischen Einheiten kooperieren. Katastrophenschutz und militärische Planung verschmelzen. Kritische Infrastruktur wird nicht mehr als Daseinsvorsorge begriffen, sondern als potenzielles Schlachtfeld.
Der Schutz kritischer Infrastruktur wird zunehmend zur Geheimsache. So fordert der Bundesrat den Schutz „sicherheitsrelevanter Informationen“ und will Veröffentlichungen verhindern. Begründung: Eine KI könne öffentliche Daten als „Angriffspunkte“ nutzen. Demokratische Transparenz wird als Sicherheitsrisiko definiert. Details des OPLAN DEU bleiben geheim, Akteneinsicht wird verwehrt. So wird eine „Blackbox-Regulierung“ ohne überprüfbare Entscheidungen geschaffen. Behörden erhalten weitreichende Eingriffsmöglichkeiten, mit der die demokratische Kontrolle ausgehöhlt wird. Zum Beispiel soll der Bundesrat nicht über entsprechende Verordnungen abstimmen dürfen. Der Bundesrat kritisierte den Entwurf in seiner Stellungnahme: „Länder sind vom Informationsfluss abgeschnitten, obwohl sie Krisenmanagement wahrnehmen.“
Die Frage der Finanzierung wird im Gesetz konsequent ausgeblendet. Der Bundesrat moniert, dass „weder für Bund und Länder noch für Betreiber belastbare Zahlen“ vorliegen. Die Kosten werden einfach nach hinten verschoben – oder auf die Allgemeinheit abgewälzt. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund verweist auf die Reform der Schuldenbremse, die „Bereichsausnahmen für Zivilschutz“ schuf. Der Sparzwang, der jahrzehntelang als Dogma galt, fällt nun für militärische Aufrüstung. Für Bildung, Soziales, Klimaschutz gilt Spardisziplin, aber für Kriegsertüchtigung wird der Geldhahn aufgedreht. Die Finanzierung bleibt zwar unklar, aber die Stoßrichtung wird deutlich. So fordert der Energieverband BDEW, dass die Investitionen „über Entgelte refinanzierbar“ sein müssen – zahlen sollen also die Verbraucher. Der BDEW fordert auch eine „öffentliche Mitfinanzierung“ aus „Verteidigungsbudgets“. Die Infrastruktur bleibt privatisiert, die Kriegskosten werden sozialisiert.
Diese Zusammenhänge machen deutlich, dass der Schutz kritischer Infrastruktur militärisch motiviert ist. Es ist kein Zufall, dass der Evaluierungszeitraum für das KRITISDachG bis zum Jahr 2029 reicht. Das ist der Zeitrahmen in dem Bundeskriegsminister Boris Pistorius Deutschland kriegstüchtig machen will.
Der Schutz der Infrastruktur ist durchaus sinnvoll, aber zivile Sicherheit muss Vorrang vor Kriegsvorbereitung haben. Der Einbindung in militärische Planungen muss Widerstand entgegengesetzt werden. Statt Privatisierung der Verantwortung braucht es öffentliche Infrastruktur in öffentlicher Hand, mit Transparenz und ohne Geheimhaltung.
Mit den EU-Richtlinien, dem KRITISDachG und dem OPLAN DEU entsteht eine neue Sicherheitsarchitektur, die Cyber- und physische Sicherheit mit militärischer Logik verbindet. Für eine demokratische, friedensorientierte Infrastrukturpolitik müssen diese Entwicklungen offen diskutiert werden. Das KRITIS-Dachgesetz ist nicht die Lösung, sondern Teil des Problems einer Gesellschaft, die Krieg als Normalzustand zu akzeptieren droht, statt für Diplomatie und Frieden zu kämpfen.
Regelwerke im Überblick
Definition: Kritische Infrastruktur (KRITIS) umfasst alle Einrichtungen und Systeme, deren Ausfall oder Beeinträchtigung die Versorgung der Bevölkerung, die öffentliche Sicherheit oder das staatliche Handeln erheblich stören würde (Transport, Verkehr, Wasser- und Energieversorgung, IT, Staat und Verwaltung, Gesundheit, Ernährung, Medien).
NIS-2-Richtlinie (EU, 2022)
Cyber-Sicherheitsrahmen der EU. Erweitert den Kreis „wesentlicher Einrichtungen“, verschärft Sicherheits- und Meldepflichten für Energie, Verkehr, Gesundheit, Verwaltung usw.
CER-Richtlinie (EU, 2022)
Regelt die physische und organisatorische Resilienz kritischer Einrichtungen. Verpflichtet Betreiber zu Risikoanalysen, Schutzkonzepten und Krisenstrukturen; ergänzt NIS-2 um den nicht-digitalen Bereich.
KRITISDachG – KRITIS-Dachgesetz (BRD, 2024/25)
Deutsche Umsetzung der CER-Vorgaben. Führt einheitliche Mindeststandards für Betreiber ein, stärkt staatliche Prüf- und Eingriffsrechte, verankert Melde- und Vorsorgepflichten.
OPLAN DEU – Operationsplan Deutschland (BRD/Bundeswehr, 2023/24)
Militärischer Gesamtplan für Landes- und Bündnisverteidigung. Bindet zivile Infrastruktur in militärische Abläufe ein und verknüpft die Sektoren Energie, Kommunikation und Transport enger mit Verteidigungslogik.



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