Das Planungsgebiet Holtenau Ost, ehemaliger Standort eines Marinefliegergeschwaders, liegt direkt an der Kieler Förde. Hier sollte ein klimaneutraler Stadtteil entstehen. Das Konversionsgebiet wurde 2020 von der Stadt Kiel erworben und ist seit fast zwei Jahren grundbuchamtlich Eigentum der Stadt. Dadurch könnte die Finanzierung von städtischem Wohnungsbau auf eigenem Grund ermöglicht werden.
Leider zogen sich der Planungsprozess und die Verhandlungen mit der Bundesimmobiliengesellschaft in die Länge. Noch immer sind die militärischen Altlasten nicht beseitigt. Seit neun Jahren gibt es einen Wanderweg am Wasser durch das ehemalige Militärgebiet, der zwei Stadtteile miteinander verbindet. So entstanden neue Freizeitmöglichkeiten: Unter einem Unterstand wurde eine Skate-Anlage gebaut, ein Jugendtreff für Jugendliche aus beiden Stadtteilen und Familien von Geflüchteten, die in den Kasernen unter prekären Bedingungen untergebracht sind.
Viele Millionen Euro sind bereits geflossen. Nun will die Bundeswehr das Gebiet zurückkaufen und bringt dafür das Totschlagargument „Bedrohungslage“ vor. Das Seebataillon brauche den Tiefwasserhafen, den inzwischen überwiegend zivil genutzten Flughafen, der sich im Hinterland direkt an das Grundstück anschließt, und einen Teil der Gebäude für die 1.400 Mann starke Einheit.
Dagegen gibt es seit Monaten Proteste. Ein Bündnis von jungen Menschen ist auf dem Gelände aktiv geworden und hat viele Gestaltungselemente installiert sowie Feste und Kulturangebote veranstaltet. Ältere Bürger haben Bänke und selbstgebaute Sessel an die Küste gestellt. Eine Baumbesetzung durch die „TurboKlimaKampfGruppe“ (TKKG) hält schon seit drei Wochen durch und wird aktiv von der Bevölkerung unterstützt. Am 18. Oktober zog eine Demonstration gegen den Rückkauf durch die Stadt, mit Infoständen und Plakaten auf dem Gelände sowie einer Kundgebung vor dem Rathaus wurde für den Erhalt des Freiraums und den Bau bezahlbarer Wohnungen demonstriert.
Das Bündnis für bezahlbaren Wohnraum, in dem auch die DKP Kiel mitarbeitet, setzt sich seit Jahren dafür ein, dass nicht die in Kiel üblichen 30 Prozent sozial geförderten Wohnungen entstehen, sondern 50 Prozent. Das Bündnis unterstützt die Gruppe Laceskate, die eine Petition gestartet hat und mehr als 3.000 Unterschriften gegen den Rückkauf durch die Bundeswehr sammeln konnte.
Auf einer Sitzung des Stadtrates am vergangenen Donnerstag wurden diese Unterschriften übergeben, unter lautstarkem Beifall der circa 40 Bürgerinnen und Bürger auf der Tribüne. Die von der Initiative gestellten Fragen an die Stadt wurden jedoch nur halbherzig vom Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) beantwortet. Die Stadt werde in einem „Dialogprozess“ mit der Bundeswehr einen Kompromiss finden. Das Gelände wird aufgeteilt und es werden vermutlich weniger Wohnungen gebaut. Die Fraktionen der Kieler Ratsversammlung zeigten bis auf die „Linke“/Piraten-Fraktion Verständnis für die Anliegen der Bundeswehr. Ein Armutszeugnis angesichts der Wohnungsnot und der hochtrabenden Ansprüche, einen „klimaneutralen Stadtteil mit den Bürgern zu entwickeln“. Entsprechend deutlich war der Widerstand auf der Tribüne, der sich in Unmutsbekundungen und auf Transparenten ausdrückte. Daraufhin ließ der Oberbürgermeister die Demonstranten durch die Polizei aus dem Rathaus eskortieren.
Schon auf einer Ortsbeiratssitzung in Kiel-Holtenau hatte sich OB Kämpfer wenig kämpferisch gegeben. Auch hier hoffte er auf einen „Dialogprozess“ mit der Marine und der Bundesimmobiliengesellschaft, um „Verständnis“ für die Wohnungsproblematik zu erwirken und der Marine andere Flächen anzubieten. Zwar gebe es in Kiel eine Wohnungsnot, die sei aber nicht so schlimm wie in Berlin oder Hamburg. Ein Holtenauer fragte, ob denn bei einer so weitreichenden Entscheidung nicht die Bürger befragt werden sollten, ob sie Wohnungen möchten oder mit dem wohnortnahen Standort gern Zielscheibe im Kriegsfall werden wollen. Als Entgegnung folgte eine lange Belehrung zu den Vorteilen „unserer Demokratie“ im Vergleich zu der in Russland, wo man für kritische Fragen eingesperrt würde, während Kämpfer Rede und Antwort stehe.
Grundsätzlich sei er ja dafür, dieses einmalige Stadtentwicklungsprojekt umzusetzen, so der Oberbürgermeister. In diesem Sinne begrüßte er auch die Petition und versprach, bis zum Ende seiner Amtszeit eine Entscheidung zu erreichen.
Aber alles zusammen geht eben nicht: Wohnungen, Sozialleistungen, Bildung und Aufrüstung. Das zeigt das vermutliche Aus für ein ambitioniertes Städtebauprojekt in aller Deutlichkeit. Die Bedürfnisse der Menschen nach bezahlbaren Wohnungen, gesunder Umwelt, einem guten Nahverkehr, friedlichen Arbeitsplätzen und Bildung zählen nicht, wenn auf der anderen Seite Konzerne wie Rheinmetall in nur drei Jahren ihre Börsengewinne verzwanzigfachen können. Kriegsertüchtigung lohnt sich nur für ein Prozent der Bevölkerung, der Rest guckt in die Röhre oder überlebt das Projekt nicht.
Die Petition gegen den Verkauf des Geländes an die Bundeswehr kann weiterhin unterschrieben werden.
Widerstand vernetzen
Bundeswehr und Kriegsministerium haben bundesweit die zivile Entwicklung von rund 200 Grundstücken gestoppt, um Flächen für die militärische Nutzung vorzuhalten. Das Bündnis für bezahlbaren Wohnraum in Kiel sucht Mitstreiterinnen, Mitstreiter und Betroffene aus ganz Deutschland. Wer selbst Widerstand gegen die Militarisierung von Grund und Boden leistet oder in seiner Gegend von entsprechenden Plänen gehört hat, wird gebeten, sich zu melden.
Kontakt über Eva Börnig.



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