Der Berufungsprozess vor dem Landgericht Duisburg gegen den Palästina-Aktivisten Leon Wystrychowski endete am Dienstag vergangener Woche mit einem Freispruch. Wystrychowski wurde angeklagt, als Anmelder einer Demonstration am 9. Oktober 2023 die Parolen „From the River to the Sea – Palestine will be free“ und „Von Duisburg bis nach Gaza – Yalla Intifada“ angestimmt zu haben.
Daraufhin wurde das ehemalige Mitglied der mittlerweile verbotenen Initiative „Palästina Solidarität Duisburg“ wegen der „Belohnung und Billigung von Straftaten“ nach Paragraf 140 des Strafgesetzbuches angeklagt, da er mit dem Skandieren der Slogans nach Ansicht der Staatsanwaltschaft den öffentlichen Frieden gestört haben sollte. Dafür war Wystrychowski am 10. April des vergangenen Jahres in erster Instanz zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen a 15 Euro verurteilt worden.
Die Demonstration im migrantisch geprägten Arbeiterstadtteil Hochfeld hatte kurz nach den Ereignissen des 7. Oktober 2023 eine hohe mediale Öffentlichkeit erreicht. Vielfach wurde in den Beiträgen der bürgerlichen Medien versucht, den Demonstrierenden eine gewaltverherrlichende und antisemitische Motivation zu unterstellen. Eine proisraelische Gegendemonstration versuchte erfolglos, durch Provokationen eine Eskalation herbeizuführen.
Wystrychowski war der Hauptredner der Demonstration und hatte dazu aufgerufen, sich im Sinne der Solidarität mit der leidenden palästinensischen Bevölkerung zu einer weltweiten Bewegung zu organisieren.
Zwei Polizeizeugen des Duisburger Staatsschutzes konnten in der Verhandlung auf Nachfrage keine Beweise dafür vorlegen, dass der Aktivist die besagten Slogans angestimmt hatte. Ebenso waren sie offenkundig nicht in der Lage, dem Auftrag der Vorsitzenden Richterin Ostkamp-Zhu nachzukommen, Videomaterial der Polizei oder regionaler Fernsehsender beizubringen.
In seiner Prozesserklärung betonte Wystrychowski, dass er diese nicht halte, um sich gegen eine Strafe zu verteidigen, sondern als öffentliche politische Rechenschaft, die er gegenüber der Palästina-Solidaritätsbewegung ablege, der er sich zugehörig fühle. Der Angeklagte kündigte an, die ausführliche Erklärung nach dem Prozess zu veröffentlichen.
Der Palästina-Aktivist stellte klar, dass er das Recht habe, die kriminalisierten Aussagen im Sinne der Solidarität und eines demokratischen säkularen Staates für alle Menschen der Region zu fordern. Auch wenn er sie nicht angestimmt habe, bedeute das nicht, dass er sie ablehne.
Deutschland beteilige sich, so Wystrychowski, durch Waffenlieferungen und politische Rückendeckung für das israelische Regime erneut an einem Völkermord. Durch die massive bundesweite Repression solle die Anti-Genozid-Bewegung zerschlagen werden, die Meinungs-, Kunst- und Forschungsfreiheit würden stark angegriffen. Dem gegenüber werde es nicht strafrechtlich verfolgt, den Völkermord an den Palästinensern gutzuheißen, was der Aktivist mit Zitaten von Personen des öffentlichen Lebens belegte.
Das einzige Argument der Staatsanwaltschaft für die angebliche „Belohnung und Billigung von Straftaten“ blieb während des gesamten Prozesses die zeitliche Nähe der Demonstration zu den Ereignissen des 7. Oktober.
Die Richterin führte hingegen in ihrer mündlichen Begründung des Urteils aus, dass die Parolen an sich nicht strafbar seien, wobei sie sich unter anderem auf entsprechende Urteile aus Kassel und Mannheim bezog. Der enge zeitliche Zusammenhang zum 7. Oktober 2023 müsse zwar berücksichtigt werden, könne aber nicht alleinig ausschlaggebend sein. Denn ansonsten wäre nach diesem Datum keinerlei Meinungsäußerung zugunsten der Palästinenser mehr möglich gewesen, was mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit unvereinbar sei. Damit widersprach die Richterin explizit dem Urteil aus der ersten Instanz. Weiter führte sie aus, dass es keinerlei Beweis gebe, dass Wystrychowski in irgendeiner Form Straftaten oder auch nur Gewalt gebilligt oder verherrlicht hätte. Auch sei die Stimmung auf der Demonstration am 9. Oktober in ihrer Beobachtung nicht aggressiv gewesen. Dies ging aus von Wystrychowski selbst eingereichten Videos hervor, die im Gerichtssaal abgespielt wurden. Durch ein öffentlich zugängliches Video des antideutschen Online-Portals „Ruhrbarone“ konnte Wystrychowski zudem beweisen, dass er zumindest die Parole „Yalla Intifada“ nicht angestimmt hatte.

Zwar erfolgte der Freispruch letztendlich aufgrund von „Mangel an Beweisen“, da nicht vollständig ausgeschlossen werden könne, dass Wystrychowski irgendwann an diesem Abend irgendetwas gesagt haben könnte, das die Parolen irgendwie doch strafbar erscheinen lassen könne. Er wurde aber dennoch insofern in der Sache freigesprochen, als die Richterin deutlich machte, dass die beiden Parolen auch „im engen zeitlichen Zusammenhang“ zum 7. Oktober 2023 nicht per se strafbar seien. In dieser Ausführung liegt der entscheidende juristische und politische Sieg dieses Verfahrens. Denn dazu hatte es bislang keine positiven, sondern lediglich mehrere negative Entscheidungen in ersten Instanzen gegeben.