Ausgerutscht auf dem glatten internationalen Parkett: Das Herzensprojekt der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU), der Ukraine Milliarden aus Mitteln der russischen Zentralbank zu verschaffen, ist am vergangenen Donnerstag auf dem Brüsseler EU-Gipfel gescheitert. „Russland muss für seine grausamen Verbrechen bezahlen“, twitterte von der Leyen bereits im Jahr 2022. Man werde „dafür sorgen, dass Russland mit den eingefrorenen Geldern der Oligarchen und den Vermögenswerten seiner Zentralbank für die von ihm verursachten Verwüstungen bezahlt“.
Die Beschlagnahme (vornehm ausgedrückt: „Einfrieren“) russischen Staatsvermögens in Form des von der Zentralbank Russlands im europäischen Raum gelagerten Geldes wurde durch eine EU-Verordnung vom 28. Februar 2022 umgesetzt. Die Maßnahme war Teil des dritten Sanktionspakets gegen Russland und spülte etwa 210 Milliarden Euro in die Verfügungsgewalt der EU. Gleich im März 2022 hatte die Europäische Kommission eine Taskforce „Freeze and Seize“ („Einfrieren und Abgreifen“) eingerichtet. Diese mit Polizeigewalt ausgestattete Taskforce blockierte nicht nur russische Gelder auf europäischen Banken, sondern zog auch Privatvermögen ein. Betroffen war nicht nur das Geld russischer Oligarchen, sondern auch das von russischen Touristen, die zumeist via Istanbul in die EU einreisen. Damit da europaweit auch nichts durchrutschen konnte, schuf die EU im November 2022 den Straftatbestand der „Verletzung oder Umgehung von Sanktionen“.
Bei all dem geriert sich die EU wie eine selbsternannte „Mini-UN“: Sie verhängt im Verhältnis zu anderen Staaten nicht nur passive Maßnahmen wie Einfuhrzölle oder Einfuhrkontingente, sie glaubt, in eigener Herrlichkeit fremde Staaten abstrafen zu dürfen, und bläst dabei einen Sanktionspopanz in 19 Akten auf, der sie international isoliert. Die Russland-Sanktionen bezeichnet sie als „völkerrechtliche Gegenmaßnahme“ und verkennt dabei geflissentlich den Grundsatz der Staatenimmunität. Keinem Staat und keinem staatlichen Gericht steht das Recht zu, über einen anderen Staat zu urteilen. Weil die EU weiß, dass sie auf der Ebene der UN nicht durchkommt, versucht sie es kurzerhand selbst – internationales Recht nach Gutsherrenart.
Um sich nicht zum globalen Paria zu machen, scheute die EU bisher den letzten Schritt, das russische Eigentum an die Ukraine zu verschleudern. Um wenigstens die Zinserträge aus den eingefrorenen Vermögenswerten abgreifen zu können, schuf die EU-Kommission im Mai des vergangenen Jahres eine weitere völkerrechtlich fragwürdige Konstruktion, indem sie europäischen Vermögensverwahrstellen wie Euroclear in Belgien gestattete, Nettogewinne aus den immobilisierten Vermögenswerten (zum Beispiel Zinsen) der Ukraine zuzuweisen.
Bisher sind drei Milliarden Euro an Zinserträgen an Kiew ausgezahlt worden, verteilt in zwei Tranchen im Januar und August dieses Jahres. Inzwischen wird das Geld knapp, auch weil sich die USA finanziell aus der „Ukraine-Solidarität“ zurückgezogen haben. Seit März 2022 haben die EU-Institutionen und EU-Mitgliedstaaten Kiew insgesamt etwa 177,5 Milliarden Euro Unterstützung zukommen lassen (Stand August 2025: 65 Prozent in Sachleistungen und Finanzspritzen, 35 Prozent in Form von Krediten). Finanziell ist das Ende der Fahnenstange erreicht.
Die nunmehr in Brüssel ebenfalls gescheiterte Idee, bis zu 140 Milliarden Euro in Form eines Darlehens an die Ukraine auszuzahlen, stammte von Ursula von der Leyen, lebhaft unterstützt durch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) („Wir brauchen einen neuen Impuls, (um) den tapferen Ukrainern neue Hoffnung“ zu geben) und Vizekanzler Lars Klingbeil („Putin wird für seinen Krieg bezahlen“).
Der belgische Premierminister Bart de Wever, in dessen Land die Vermögenswerte der russischen Zentralbank angelegt sind, sieht das anders. Ihn treibt die berechtigte Angst, das ganze Konstrukt sei illegal und am Ende müsse Brüssel dafür geradestehen. „Stellen Sie sich vor, wir müssten nächstes Jahr oder in zwei Jahren 180 Milliarden Euro plus Entschädigungen zahlen. Das ist doch völliger Wahnsinn.“ Schon vor Gipfelbeginn warnte er: „Wenn wir Putins Geld wegnehmen, wird er unser Geld wegnehmen.“ Eine Haltung, die nur auf den ersten Blick vom Glauben an die Grundsätze des internationalen Rechts geprägt ist. Hier spielt wohl eher die kapitalistische Logik eine Rolle. Wovon der flämische Politiker nämlich nicht redet: Der belgische Staat zieht aufgrund eines Spezialgesetzes jährliche Steuereinnahmen in Höhe von 1,2 Milliarden Euro aus der Verzinsung des eingefrorenen Vermögens.
Unlust auch sonst: Ungarns Viktor Orbán schwänzte die Sitzung, der slowakische Premierminister Robert Fico fand klare Worte: „Die Regierung, die ich leite, wird niemals, ich betone, niemals, eine Garantie für einen Kredit für die Ukraine für Militärausgaben unterzeichnen.“ Auch Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni warnte vor völkerrechtswidrigen Schritten, die zu russischen Gegenmaßnahmen führen könnten. Christine Lagarde (Europäische Zentralbank) hat erkannt, dass der Diebstahl fremden Eigentums die Grundlage des Kapitalismus selbst gefährdet. Ein „gefährlicher Präzedenzfall“ drohe, wenn Europa global sein Vertrauen als Lordsiegelbewahrer der Eigentumsordnung preisgebe. Wer würde noch in Europa investieren, wenn das Risiko besteht, das Geld zu verlieren? Von der Leyen und Friedrich Merz sind kleinlaut geworden. Bis zum nächsten EU-Gipfel am 18. Dezember hoffen sie auf eine rettende Eingebung aus den Hundertschaften ihrer Task-Force-Juristen.



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