Betr.: Zu der Dokumentation „Revolutionäre Matrosen“, UZ vom 23. Juni, Seite 10

Köbis und Reichpietsch ein Gesicht geben

Von Michael Clemens, Neustadtgödens

Dass die UZ in ihrer Ausgabe vom 23. Juni des ersten Matrosen-Aufstandes in der kaiserlichen Marine vom Sommer 1917 mit einer ganzseitigen Dokumentation gedachte, hat nicht nur mein Interesse gefunden, sondern mich als einen in der Nähe von Wilhelmshaven wohnenden Genossen sehr erfreut. Schön wäre es gewesen, wenn man den beiden von der Marinejustiz ermordeten Führern der Erhebung, nämlich Albin Köbis und Max Reichpietsch, auf der Seite auch ein Gesicht gegeben, sprich den Text mit Porträts der beiden illustriert hätte.

Etwas ungenau, wenn nicht sogar „unhistorisch“ ist die Formulierung des letzten Absatzes des ansonsten korrekten Aufsatzes, wo behauptet wird, dass ein Jahr später der Marinestandort Kiel am Beginn der Revolution von 1918 gestanden habe. Das ist m. E. zu kurz gegriffen – der Auftakt, gewissermaßen die Initialzündung, der revolutionären Ereignisse des Herbstes 1918 lag wiederum in Wilhelmshaven: Hier bzw. auf Schillig-Reede, in der Jade-Mündung etwas nördlich des Kriegshafens, wo damals das Gros der Kriegsflotte lag, geschah es, dass mutige Heizer in der Nacht vom 29. zum 30. Oktober 1918 die Feuer unter den Kesseln der Schiffe des I. und III. Geschwaders zum Erlöschen brachten und wo die roten Matrosen, kollektiv Befehle verweigernd, den offenen Aufstand wagten. Schon tags zuvor hatten Schiffsmannschaften im Hafen passiven Widerstand geleistet und das Auslaufen der Schiffe absichtlich verzögert, etliche waren illegal an Land gegangen bzw. geblieben. Auslöser des Widerstands war, dass bei den Matrosen und Heizern durchgesickert war, dass die Kriegsschiffe zu einem letzten, vollkommen aussichtslosen Gefecht gegen die britische Flotte ausrücken und „mit wehender Fahne“ untergehen sollten – ein wahres Himmelfahrtskommando!

Nach diesen Ereignissen auf See unmittelbar vor Wilhelmshaven griff der revolutionäre Funke schnell auf den ganzen Marinestützpunkt Wilhelmshaven über und wurde dann in den Tagen darauf durch verlegte Schiffsbesatzungen „exportiert“ nach Kiel. Hier entwickelte sich der Aufstand zur Revolution, die dann die Despotie Wilhelms II. zwar zum Einsturz brachte, aber nur wenige Wochen später durch Verrat rechter sozialdemokratischer Führer abgewürgt wurde.

Über Köbis und Reichpietsch bzw. die Wilhelmshavener Marine-Rebellion vom Sommer 1918 gibt es übrigens das empfehlenswerte, mit großem Sachverstand geschriebene Buch „Rebellion in der Hölle“ von Robert Rosentreter und Horst Westphal; erschienen 1979 im Militärverlag der DDR. Und erwähnenswert erscheint mir auch, dass der örtliche Kreisverband der Partei „Die Linke“ in Wilhelmshaven z. Z. dafür wirbt, die Erinnerung an die beiden mutigen Anführer des ersten Matrosen-Aufstands Albin Köbis und Max Reichpietsch wachzuhalten mit einer Straßen- bzw. Platzbenennung in Wilhelmshaven.

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"Köbis und Reichpietsch ein Gesicht geben", UZ vom 7. Juli 2017



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