Mehr Arbeit und weniger Sicherheit: Mit der „Agenda 2030“ wird aus den Traumvorstellungen des Kapitals deutsche Politik

„Kreative Zerstörung“

„Mehr Kapitalismus wagen.“ So lautet die unverhohlene Kriegserklärung an die arbeitende Klasse. Ausgesprochen wurde sie von Martin Blessing, dem Investitionsbeauftragten von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), anlässlich der sogenannten „IPO Night“ der Weimer Media Group in Zusammenarbeit mit der Deutschen Börse bereits Ende Oktober. Schließlich sei im Begriff soziale Marktwirtschaft „sozial klein und ‚Marktwirtschaft‘ großgeschrieben“, so der frühere Vorstandsvorsitzende der Commerzbank vor der versammelten Hochfinanz im Frankfurter Städel-Museum.

Und mit Blick auf die Werksschließungen und die Vernichtung zehntausender industrieller Arbeitsplätze in der Stahl-, Automobil- und Zuliefererbranche führte der Manager aus: „Auch unter den Unternehmen braucht es weniger Tendenz zum Bewahren und mehr ‚kreative Zerstörung‘. Unsere Zukunft liegt nicht darin, Technologien zu Tode zu subventionieren, sondern Neues entstehen zu lassen.“

Das ließ sich eine Katherina Reiche (CDU) nicht zweimal sagen. „Damit der Staat Handlungsfähigkeit zurückgewinnt, muss er sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren“, stellte die Wirtschaftsministerin anlässlich der Rückkehr der Ludwig-Erhard-Büste ins Wirtschaftsministerium in der vergangenen Woche klar. Dazu zählen innere und äußere Sicherheit, Infrastruktur und Bildung. Subventionen und Förderprogramme müssten rigoros überprüft, Fehlanreize auch „unter Schmerzen“ abgebaut werden. Der Staat könne die Bürgerinnen und Bürger und vor allem die Unternehmen nicht vor allen Risiken schützen, so Reiche weiter.

Deutschland stecke laut der Ministerin in einer strukturellen Krise. Zwar rechne die Bundesregierung 2026 und auch 2027 mit einer kleineren wirtschaftlichen Belebung. Diese gehe aber vor allem auf die hohen Schulden zurück, die die Regierung zur Sanierung der Infrastruktur und zur Aufrüstung der Bundeswehr einsetze.

Reiche rechnet nicht mit einem baldigen Exportboom, der die deutsche Wirtschaft lange getragen hatte. Es brauche weniger Vorgaben für Unternehmen, einen moderneren Staat und eine Begrenzung der Staatsverschuldung. Deutschland sei international zurückgefallen. „Eine dauerhafte Rückkehr in die Spitzengruppe allerdings erfordert ein umfassendes Fitnessprogramm – eine Agenda 2030“, so die CDU-Politikerin.

Anders als bei dem historischen Vorbild der „Agenda 2010“ will sie sich nicht mit der Deregulierung des Arbeitsmarkts und der bereits in der Umsetzung befindlichen Reform des Bürgergelds begnügen. Neben den postulierten günstigeren Energiepreisen, Innovationsanreizen und mehr deutschem Engagement in der Europäischen Union stehen die Anhebung des Renteneintrittsalters, das Ende der Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag sowie die Lockerung des Kündigungsschutzes ganz oben auf der To-do-Liste der Ministerin.

„Wir brauchen Flexibilität am Arbeitsmarkt. Konkret will ich fragen, ob wir den gleichen Kündigungsschutz brauchen für hochbezahlte Führungskräfte oder für die Pflegekraft“, so Reiche. Das hohe Schutzniveau für Arbeitnehmer sei richtig. Häufigere Arbeitsplatzwechsel führten jedoch meist zu höheren Löhnen und zu mehr wirtschaftlicher Dynamik, lautet die neoliberale Logik.

„Wir sollten auch darüber reden, ob wir mit der Lohnfortzahlung ab dem ersten Krankheitstag nicht die falschen Anreize setzen“, griff die Ministerin eine weitere zentrale Forderung der Kapitalverbände auf. Bereits im Sommer hatte Reiche in der Rentendebatte gefordert, „mehr und länger zu arbeiten“. Diesen Vorstoß erneuerte die Ministerin in der vergangenen Woche. „Längere Lebensarbeitszeiten heute wären ein deutliches Zeichen von intergenerationeller Solidarität und Gerechtigkeit.“

IG Metall und ver.di haben bereits aus gutem Grund Proteste gegen den von Wirtschaftsverbänden bei Merz, Klingbeil und Co. in Auftrag gegebenen „Herbst der Grausamkeiten“ angekündigt. Denn die jüngsten Äußerungen von Blessing und Reiche sind nur die Spitze des Eisbergs und allein mit „Gipfeln“ im Kanzleramt wird der Frontalangriff auf die arbeitenden Menschen im Land nicht aufzuhalten sein.

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"„Kreative Zerstörung“", UZ vom 21. November 2025



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