Bundesweit legen Kommunen Sparprogramme auf. Bundesregierung verschärft den Kahlschlag

Kürzen, bevor es andere tun

In den deutschen Städten und Gemeinden regiert der Rotstift. Betroffen sind nicht nur die großen Städte, sondern auch kleinere Gemeinden. Zum Beispiel im nordrhein-westfälischen Rietberg. In der Stadt mit 29.000 Einwohnern haben Bürgermeister und Verwaltungsvorstand rund 100 Kürzungsmaßnahmen ausgearbeitet, um im kommenden Jahr mindestens 2,5 Millionen Euro zu sparen. Insgesamt fehlen rund 9 Millionen Euro im Stadtsäckel.

In der dazugehörigen Pressemitteilung wimmelt es nur so von „herausfordernden Zeiten“ und „schmerzhaften Einschnitten“. „Das betrifft uns als Verwaltung ebenso, wie alle Bürgerinnen und Bürger, unsere Infrastruktur und beispielsweise auch die Vereine“, lässt sich Bürgermeister Andreas Sunder (FWG) zitieren. In der Auflistung der Leidtragenden fehlt die explizite Nennung der Schülerinnen und Schüler. Nach den Vorschlägen der Stadtverwaltung soll die Schülerbeförderung mit dem Bus künftig erst ab einem Schulweg von fünf Kilometern (statt bisher 3,5) erfolgen, die Beiträge für die Nachmittagsbetreuung in der Offenen Ganztagsschule sollen steigen, eine Stelle in der Schulsozialarbeit gestrichen und die Reinigungsleistungen reduziert werden.

Das erklärte Ziel des Sparprogramms ist es, ein Haushaltssicherungskonzept – also die Einmischung der Kommunalaufsicht in die finanziellen Angelegenheiten der Stadt – zu vermeiden. „Bislang haben die gewählten Ratsvertreterinnen und -vertreter in Rietberg das Heft des Handelns noch selbst in der Hand. Und das wollen sie auch nicht abgeben“, heißt es in der Pressemitteilung der Stadt. Selber kürzen, ist die Devise, bevor es andere tun. Die kommunale „Herzkammer der Demokratie“ wählt tapfer zwischen Pest und Cholera.

Im thüringischen Jena werden Buslinien gestrichen und die Takte im ÖPNV ausgedünnt. Grund dafür seien gestiegene Betriebskosten und das unterfinanzierte „Deutschlandticket“. Um 500.000 Euro einzusparen, sollen zwei Linien entfallen – beide werden überwiegend von älteren Menschen genutzt, morgens auch von Schülern. Während sich vor allem Rentnerinnen, Rentner und Gehbehinderte um ihre Mobilität sorgen, versucht sich Stadtentwicklungsdezernent Dirk Lange gegenüber dem MDR als Verkaufstalent: „Ziel war immer, in allen Gebieten in Jena noch eine Anbindung zu haben. Gleichwohl ist die schlechter geworden in Bereichen, aber wir haben niemanden abgekoppelt.“ Die Betroffenen sehen das anders.

Und so geht es weiter, wohin man auch blickt. Die Stadt Leverkusen will mehr als neun Millionen Euro einsparen, nachdem die Gewerbesteuereinnahmen eingebrochen sind. In diesem Zusammenhang interessant: Erst im Jahr 2020 senkte Leverkusen den Hebesatz für die Gewerbesteuer um mehr als 200 Prozentpunkte ab, um sich als Steueroase zu etablieren. Die ansässigen Unternehmen und Briefkastenfirmen haben den Bonus eingestrichen. Nun wird die Rechnung präsentiert.

In ganz anderen Dimensionen ist der von SPD, Grünen und Linkspartei regierte Stadtstaat Bremen unterwegs. Hier geht es um Kürzungen von 254 Millionen Euro, unter anderem beim ÖPNV, bei den Kliniken, in der Jugendhilfe, bei den Ausgaben für Geflüchtete und im Sozialen. Das sehen die Pläne vor, die Bremens Finanz­senator Björn Fecker (Grüne) kürzlich vorgestellt hat, um zu ergänzen: „Spar-Haushalte sind vorerst das neue Normal.“

Hinter solchen Monster-Programmen, die bundesweit für Schlagzeilen sorgen, drohen die kleinen Geschichten zu verschwinden. Zum Beispiel die Freibäder in Wedel (Schleswig-Holstein) und in Rodalben (Rheinland-Pfalz), die in diesem Sommer geschlossen bleiben, weil es an Bademeistern und Geld für dringend notwendige Sanierungsarbeiten fehlt.

So unterschiedlich die Sparpakete auch erscheinen mögen, und so seltsam die örtlichen Begründungen dafür sind: All diese Maßnahmen sind Teil eines bundesweit stattfindenden sozialen Kahlschlags, der sich gleichzeitig, aber in unterschiedlicher Ausprägung und Intensität vollzieht. Mit einem Defizit von knapp 25 Milliarden Euro im vergangenen Jahr befinden sich die Kommunen in der „schlimmsten Finanzkrise seit Bestehen der Bundesrepublik“, wie es der Münsteraner Oberbürgermeister und Städtetagspräsident Markus Lewe im Mai formulierte.

Abhilfe ist nicht in Sicht, im Gegenteil: Die Bundesregierung plant nicht nur nahezu unbegrenzte Ausgaben für Krieg und Hochrüstung, sondern auch milliardenschwere Steuergeschenke für Konzerne, die zu einem großen Teil von den Kommunen getragen werden sollen. Diese Belastungen kommen noch zusätzlich zur bereits katastrophalen Situation hinzu. Dass es zu weiteren massiven Kürzungen kommen muss, machte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) beim Kommunalkongress des Städte- und Gemeindebundes Anfang Juni höchstpersönlich deutlich. „Wir werden eine umfassende Ausgabenüberprüfung vornehmen müssen, auch im Sozialrecht“, so Merz. Die jährlichen Steigerungsraten zum Beispiel bei der Jugend- oder Eingliederungshilfe seien „so nicht länger akzeptabel“.

Um den Kahlschlag in den Kommunen zu überdecken, wird immer wieder auch das geplante „Sondervermögen“ genannt – eine Kreditaufnahme für Insfrastrukturausgaben, die in Höhe von 100 Milliarden Euro an Länder und Kommunen fließen soll. Dieses Geld kann weder für Personal noch für soziale Leistungen eingesetzt werden und soll, den NATO-Zielen entsprechend, vor allem der militärisch nutzbaren Infrastruktur zugutekommen. Am nun erneut verschärften, dauerhaften Defizit der Gemeinden und dem Abbau der Daseinsvorsorge ändert sich dadurch nichts.

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"Kürzen, bevor es andere tun", UZ vom 13. Juni 2025



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