Warum Lehrerinnen und Lehrer den Schulstreik am 5. Dezember unterstützen sollten

Meine Schüler kriegt ihr nicht!

Steffen Ballmann

Wer als Lehrerin oder Lehrer Unterricht plant, sollte dabei vom angestrebten Lernziel her denken. Sich also vor jeder weiteren Planung zuerst die Frage stellen: Was soll am Ende der Stunde eigentlich gekonnt und gewusst werden? So bekommt der Unterricht einen roten Faden, und die Schülerinnen und Schüler eine klare Vorstellung davon, was von ihnen erwartet wird.

Jeder, der unterrichtet, weiß aber auch, dass das anvisierte Lernziel beileibe nicht immer das ist, was am Ende bei den Unterrichteten hängenbleibt. Vor dieser Situation des Lehr-Lern-Kurzschlusses scheinen momentan die Herrschenden in diesem Land zu stehen. Trotz allgegenwärtiger Drohkulisse eines angeblich bevorstehenden russischen Angriffs, einer breit angelegten medialen Debatte über die Notwendigkeit der Vaterlandsverteidigung inklusive geläuterter prominenter Ex-Verweigerer und materieller Anreize, von denen man in anderen Branchen nicht mal träumen kann – die störrische Jugend weigert sich immer noch hartnäckig, in die Kasernen zu strömen. Die Frage, ob man persönlich bereit sei, Deutschland mit der Waffe zu verteidigen, beantwortet eine stabile Zweidrittel-Mehrheit mit Nein. Lernziel glatt verfehlt also.

Vielleicht, so fragt sich der Didaktiker, passte ja das vorangegangene Unterrichtsarrangement nicht zum angestrebten Lernziel? Vielleicht hat die aktuelle Generation von Schülerinnen und Schülern etwa während der Corona-Epidemie nicht so sehr die vielbeschworene Resilienz erworben, sondern eher den bleibenden Eindruck, dass dieser Staat im Zweifelsfall auf sie pfeift? Vielleicht haben die sozialen Medien Jugendliche ja gar nicht zu hyperaktiven Smartphone-Süchtigen gemacht, die zu eigenen Gedanken nicht mehr fähig sind, sondern ihnen zum Beispiel in den direkt aus Gaza übermittelten Bildern so grausam wie eindrücklich gezeigt, dass die seriösen Qualitätsmedien einen Genozid glatt weg gelogen haben?

Zu diesem Vorwissen passt dann ein anderes Lernziel sehr viel besser: Nämlich die Erkenntnis, dass man für seine eigenen Interessen kämpfen muss, und das auch gegen diesen Staat und die von ihm gewünschte öffentliche Meinung.

Aus genau dieser grundlegenden Erkenntnis heraus schreiten an diesem Freitag Schülerinnen und Schüler in mittlerweile 90 Städten zur Tat und streiken gegen die Wehrpflicht. Zeit für uns Lehrerinnen und Lehrer, ihren Lernfortschritt nachzuvollziehen und sie zu unterstützen: wenn in Lehrerzimmern oder Konferenzen über Konsequenzen fürs Schulschwänzen beraten wird, wenn in den lokalen GEW-Strukturen Beschlüsse oder Tatkraft fehlen und wenn es am Freitag (vielleicht ja im Rahmen einer Exkursion) auf die Straße geht! Wenn der Staat den Widerstand der Jugend mit Repressionen brechen will, um sie doch in die Kasernen zu treiben, müssen wir klar und deutlich sagen: Meine Schüler kriegt ihr nicht!

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