Betrachtungen eines Songpoeten

Na, wir verstehen uns!

Kolumne

„Die Mandy hat diese Woche Urlaub, darf dann die Kollegin schneiden, Herr Eisbrenner?“ „Wenn die auch Friseurin ist, gerne.“ Dass die Kollegin Friseurin wirklich ist, sieht man sofort. Der Mensch ist eben ein sonderbares Tier und passt sich auf wundersame Weise seinem Berufsbild an. Man erkennt ja auch einen Gerichtsvollzieher, wenn er in der Tür steht. Und hier also empfängt mich eine typisch mecklenburgische blonde Enddreißigerin von uniformer Attraktivität mit einem liebenswert erfrischenden, von Grübelfalten freien Gesicht.

0811 Eisbrenner - Na, wir verstehen uns! - Musik - Kultur
Tino Eisbrenner (Foto: Isabel Noack)

„Wie soll’s denn werden?“ „Ihre Kollegin sagt immer, sie mache mir eine Daniel-Craig-Frisur“, antworte ich, und weil ich einen fragenden Blick ernte, füge ich noch hinzu: „James Bond.“ „Ach so“, frohlockt sie, „dann weiß ich. Haben Sie den letzten Bond gesehen?“ „Hab ich. Na, nun ist er ja tot.“ „Ach, war er das sonst nie? Haben doch immer verschiedene Schauspieler gespielt. Na ja, ich kenn mich nicht so aus. Hab nur immer mal zufällig einen Bond gesehen.“ Ich denke kurz darüber nach, ob ich es dabei belasse. Aber wer weiß, worüber sie dann sprechen will? „Für meine Generation“, nehme ich den Faden auf, „war Bond ja irgendwie ein Blick in die Welt, die wir nicht kannten. Fremde Länder, schnelle Autos, schönste Frauen, spektakuläre Stunts. Bond-Filme gibt’s seit 59 Jahren, aber gestorben ist er noch nie. Der Nächste ist also ein totaler Neustart und ich bin gespannt, wie die das machen.“ Sie zuckt die Schultern: „Ist sowieso nicht so meins.“

Okay, denke ich, sie biegt ab. Und ich höre mich sagen: „Na ja, für mich gibt es auch wichtigere Charaktere. Mich haben Leute wie Robert Redford geprägt.“ „Ja, von dem habe ich auch schon mal einen Film gesehen. Aber da war er schon alt und irgendwie in der Natur und so.“ „Ah, sie meinen ‚Picknick mit Bären‘ mit ihm und Nick Nolte?“ Bei dem Namen Nick Nolte bleibt ihr Gesicht unaufgehellt und ich wische drüber weg: „Mit Redford kenne ich keinen einzigen schlechten Film. ‚Die drei Tage des Condor‘, ‚Der Clou‘, ‚Jenseits von Afrika‘, ‚Der elektrische Reiter‘, ‚Havanna‘, ‚Die letzte Festung‘, ‚The Company you keep‘ – Alles kluge Filme.“

Während ich schwärme, sehe ich im Spiegel ihr Gesicht, in dem sich absolut nichts tut. Aber nun scheint sie am Zuge. „Na, ich bin ja mehr mit ‚Emergency Room‘ aufgewachsen“, sagt sie und ich verkrampfe innerlich, „aber mein absoluter Held war Kevin Costner“, miaut sie mir ins Ohr. Ich bin kurz erleichtert, doch sie fügt hinzu „,Waterworld‘ zum Beispiel, den könnte ich immer wieder gucken.“

Mein Krampf ist zurück. Sie hat den hohlsten Costner-Film zu ihrem Favoriten erklärt und vor Begeisterung vergessen, weiter zu frisieren. „Ich würde ja“, schreite ich kühn ein, „,Der mit dem Wolf tanzt‘ zuerst nennen“, und ich drehe den Kopf so, als würde ich selbst auf das bisherige Frisierergebnis sehen wollen. Sie aber nimmt beide Anregungen nicht auf, sondern erwidert ohne weiterzuschneiden, „Na, Geschichte ist nicht so meins“. „Jeder hat seine Prägungen“, lenke ich ein, „ist ja mit Literatur auch so. Die ganzen großen Meisterwerke, die in meiner Generation noch als Weltliteratur bekannt waren und sogar Schulstoff …“ „Ja, ja, Goethe und Schiller und so.“ Sie winkt ab und schneidet wieder. Mich aber hat der Ehrgeiz gepackt, sie mit irgendwas zu kriegen. „Auch sowas wie Jack London, Cooper oder Mark Twain.“ Auf die erneute Leere in ihrem Blick konkretisiere ich: „,Wolfsblut‘?, ‚Der letzte Mohikaner‘? ‚Tom Sawyer‘?“ „Ach so, ja“, sie ist wieder im Spiel, „da habe ich die ganzen Filme gesehen!“ „Genau,“ seufze ich, „ich auch. Aber ich wollte das eben anschließend auch alles lesen. Und wie schwer ist es heute, die Kinder auf das Lesen von Büchern einzuschwören!“ „Aber hallo“, pflichtet sie bei, „Meine kriege ich da gar nicht ran. Die wollen höchstens Filme und da chatten sie noch die ganze Zeit auf’m Handy. Aber, Herr Eisbrenner, mal ehrlich, was macht denn auch die Schule da heutzutage? Da kommen ja Ihre ganzen Klassiker auch gar nicht vor!“

Und jetzt verblüfft sie mich nochmal so richtig, indem sie mir wie hinter vorgehaltener Hand gesteht: „Ich bin ja neulich mit meiner Freundin mal weggefahren und hab mir von Heinrich Heine ‚Deutschland. Ein Wintermärchen‘ mitgenommen. Ist ja auch Klassik und ich hatte mal so Bock drauf. Auf richtig Poesie, wissen Sie? Und meine Freundin sagt, oh nee, wenn Du dit liest …! Ich sag, wieso denn nicht, ich kann dir auch vorlesen! Aber sie wollte nicht. Und dann hab ich alleine. Und da ist ja am Anfang so Gedicht, ne? Und ich dachte, wow, hört dieses Gedicht nie auf?“ „Jedenfalls nicht vor dem Ende des letzten Caputh“, klugscheißere ich, „das ganze Wintermärchen ist ja nun mal ein satirisches Versepos.“ „Kann sein“, sie hat immer noch diesen konspirativen Flüsterton, „jedenfalls hab ich’s dann erst mal weggelegt. Ich kann das ja später noch zu Ende lesen, wenn ich will.“ „Na klar“, sage ich beruhigend, „schön ist doch, dass Sie überhaupt offen für solche Sachen sind. Und den Rest entscheiden Gefühl und Verstand.“ Erleichtert richtet sie sich wieder aus ihrer Flüsterhaltung auf und sagt: „Na, wir verstehen uns, Herr Eisbrenner.“


0811 Eisbrenner CD - Na, wir verstehen uns! - Musik - Kultur

Tino Eisbrenner
Eisbrenner singt und spricht „Deutschland. Ein Wintermärchen“ (CD) erhältlich über www.eisbrenner.de/Shop

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"Na, wir verstehen uns!", UZ vom 25. Februar 2022



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