Betreiber verschleppt Aufklärung

Nach Chemieexplosion

Acht Wochen nach der Explosion im Chempark Leverkusen lud die „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ (CBG) zu einer Veranstaltung ein, die auf reges Interesse besorgter Anwohner, kritischer Kommunalpolitiker und Umweltschützer stieß. Zwei unbesetzte Stühle auf dem Podium standen symbolisch für die Weigerung des von Bayer ausgegründeten Dienstleistungsunternehmens Currenta, eine Stellungnahme abzugeben, und das Schweigen Bayers. Bei der Explosion am 27. Juli in der Chemieverbrennungsanlage waren sieben Menschen ums Leben gekommen, 31 wurden verletzt.

Jan Pehrke, Chefredakteur von „Stichwort Bayer“, sagte, die Anlage sei technisch veraltet. Sie habe auch als Zwischenlager gedient, weil die angelieferten Mengen zu groß wurden, um „just in time“ entsorgt werden zu können.

Der Chemiker Manfred Santer arbeitet seit 2009 als Gutachter für Greenpeace. Er nahm am Tag nach der Explosion Proben in angrenzenden Gärten und auf Spielplätzen. Während die Spielplatzproben unbedenklich waren, wies die Hälfte der Proben aus Gärten signifikante Dioxin-Werte auf. Solche Brandrückstände müssen unbedingt fachgerecht entsorgt werden, so Santer. Er kritisierte, das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) habe nicht genug Proben ausgewertet. Die Informationspolitik von Currenta sei „wirklich grottig“. Bis heute wisse man nicht, welche Chemikalien sich in einem Tank befanden. Auch die Bezirksregierung Köln habe großen Nachholbedarf in Sachen Transparenz, so Santer.

Im Widerspruch zur Beschwichtigungspolitik von Currenta und der Bezirksregierung wurden Brandermittler selbst zwei Wochen nach der Explosion nicht an die Unglücksstelle gelassen, bemängelte der Umweltpolitische Sprecher der nordrhein-westfälischen Linkspartei, Hanno Raussendorf. Gefährliche Chemikalien müssten möglichst ortsnah entsorgt werden, lange Transporte und Wettbewerb könne niemand wollen. Eine so sensible Anlage wie diese dürfe nicht gewinnorientiert arbeiten und gehöre in öffentliche Hand. Eine Rückkehr zur Tagesordnung müsse unbedingt verhindert werden, forderte Raussendorf.

Aus dem Publikum heraus behauptete der Chemiker Walter Enßlin, die Explosion in Tank 3 sei rein chemisch nicht zu erklären. Gutachter Manfred Santer unterstrich, dass die Spätfolgen der Explosion schwer abschätzbar seien, auch weil „wir nicht wirklich wissen, was in der Wolke war“. Anwohner sollten sich zusammentun und juristischen Beistand suchen, so Santer. Die CBG lud Betroffene ein, sich zu vernetzen. In seinem Schlusswort verwies Pehrke noch auf eine neue Studie des Umweltbundesamtes zu Störfällen in Chemiewerken, der zufolge die wichtigsten Ansatzpunkte für die Verhinderung von Unfällen die Arbeitsbedingungen und die Qualität der Einweisung der Mitarbeiter seien.

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"Nach Chemieexplosion", UZ vom 8. Oktober 2021



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