Pflegekräfte sind mit TVöD-Abschluss unzufrieden. Interview mit Betriebsrat Olaf Nuhnen

Nicht durchzuhalten

Die Mitgliederbefragung ist ausgezählt, die zuständige ver.di-Bundestarifkommission hat für die Einigung in der Tarifrunde öffentlicher Dienst (TVöD) gestimmt. Insbesondere Krankenhausbeschäftigte hatten sich dagegen ausgesprochen. Olaf Nuhnen, Vorsitzender des Betriebsrates des Alfried Krupp Krankenhauses in Essen-Rüttenscheid, initiierte zusammen mit Kollegen eine Petition gegen die Einigung. UZ sprach mit ihm über den Abschluss – und die Frage, wie das Pflegepersonal jetzt weiterkämpfen kann.

UZ: Du hattest dich gegen die Annahme des Verhandlungsergebnisses in der TVöD-Runde 2025 ausgesprochen. Weshalb?

Olaf Nuhnen: Als Pflegebeschäftigter konnte man dem nicht zustimmen, glaube ich, weil die Arbeitgeberseite nicht nur nicht gewillt war, bestehende Verschlechterungen aufzulösen, sondern noch einen obendrauf gesetzt hat. Das haben die Kollegen nicht mehr als Schlag, sondern eher als Tritt ins Gesicht empfunden.

UZ: Du hattest eine Petition gestartet, die sich dafür ausspricht, das Ergebnis abzulehnen.

Olaf Nuhnen: Wir haben mit den ver.di-Aktiven der Essener Krankenhäuser, zumindest der TVöD-gestützten Krankenhäuser, zusammengesessen und gesagt, das kann nicht angehen, was da gerade passiert. Wir müssen Bewusstsein dafür schaffen. Das war tatsächlich meine erste Petition. Wir haben, als ich das letzte Mal drauf geschaut habe, etwa 4.700 Unterschriften gesammelt. Immerhin. Und das innerhalb von dreieinhalb Tagen! Wir wissen auch, dass das in Berlin auf der Bundesebene von ver.di schon Gehör gefunden hat. Aber es war absehbar, dass durch den eher geringen Organisationsgrad im Bereich der Pflege die Stimmen nicht so viel Gewicht haben wie die anderer Fachbereiche.

UZ: Jetzt haben die ver.di-Kollegen und die Gewerkschaftsführung das Verhandlungsergebnis angenommen. Du bist Betriebsrat in deinem Betrieb. Wie ist die Stimmung unter den Kollegen?

210302 Olaf Nuhnen - Nicht durchzuhalten - Alfried Krupp Krankenhaus, Essen, Krankenpflege, Olaf Nuhnen, TVöD 2025, ver.di - Wirtschaft & Soziales
Olaf Nuhnen

Olaf Nuhnen: Schlecht. Um Geld ging es nicht so sehr, die Entlastung stand im Vordergrund. Das hat nicht im Ansatz funktioniert. Aus der Forderung „Drei Urlaubstage für alle plus einen vierten für Gewerkschaftsmitglieder“ ist geworden: Einer für alle. Und das erst ab dem Jahr 2027. Das Angebot, die Jahressonderzahlung zu erhöhen und den Beschäftigten die Möglichkeit zu bieten, sich dadurch bis zu drei Tage zusätzlichen Urlaub zu erkaufen – davon hat man die Krankenhausbeschäftigten ausgenommen. Das ist der zweite Punkt der Schlechterstellung zu dem schon bestehenden Umstand, dass in der Wechselschicht die Pausen nicht bezahlt werden, als einziger Bereich im TVöD. Das hat die Kolleginnen und Kollegen massiv verärgert. Jetzt ist die Kunst, über Schadensbegrenzung nachzudenken. Ich habe schon einige erlebt, die sagen: Das war’s für mich mit ver.di, ich kündige.

Es ist schwer vermittelbar, wenn jetzt aus Berlin geäußert wird, wir hätten mit 52 Prozent Zustimmung bei der Mitgliederbefragung ein klares Ergebnis. Knapp über die Hälfte sind doch kein „klares Ergebnis“. Es geht um 52 Prozent der abgegebenen Stimmen – aber teilgenommen haben nur 24 Prozent der Abstimmungsberechtigten. Das könnte ich nicht ruhigen Gewissens als „eindeutiges Signal“ verkaufen.

UZ: Was müsste sich seitens ver.di ändern, damit dieser Frust über die Gewerkschaft in konstruktive Bahnen gelenkt werden könnte?

Olaf Nuhnen: Gäbe es darauf eine einfache Antwort, wäre unser Organisationsgrad jetzt schon ein ganz anderer. In meiner Wahrnehmung fühlen sich die Kolleginnen und Kollegen vielleicht nicht so sehr als fünftes Rad am Wagen, aber sie arbeiten in einer Sparte unter vielen. Sie machen nicht die größte Beschäftigtengruppe aus. Die Stadt Essen beschäftigt mehr als 11.000 Menschen. Bei uns im Krankenhaus arbeiten 1.800 Menschen. Da muss man etwa 400 Ärzte noch abziehen.

Nach meiner Wahrnehmung führt das gelebte Helfersyndrom der Pflegekräfte dazu, dass die Kolleginnen und Kollegen sagen, unsere Aufgabe ist erst mal, die Patienten zu versorgen – da ist ein bisschen Lethargie. Eine Kollegin hat in unserer Social-Media-Gruppe kommentiert, dass sie das müde macht, dass die Kollegen einfach immer durch den Tag trotten und sich nicht wirklich auf die Hinterbeine stellen.

Die, die wir jetzt noch motivieren konnten, gucken natürlich alle mit heruntergezogenen Mundwinkeln und sagen: Warum bin ich denn auf die Straße gegangen? Für dieses Ergebnis im Leben nicht.

UZ: Das Ergebnis sieht die „freiwillige“ Möglichkeit vor, die Wochenarbeitszeit auf 42 Stunden zu erhöhen. Glaubst du, dass viele Krankenpfleger davon Gebrauch machen werden?

Olaf Nuhnen: Es gibt diverse nette Videos von Gregor Gysi, in denen er sagt, er kann sich vorstellen, dass man mit 70, 80 Jahren im Bundestag noch irgendwie rumdödelt. Aber versuche mal in dem Alter, ein Dach zu decken!

Wir haben das Problem, dass junge Leute, die in den Beruf einsteigen, jetzt schon sagen: Vollzeit, geh mir weg, das kann ich mir gar nicht vorstellen. Bei uns im Haus gab es gerade ein Projekt über „Primary Nursing“. Das hat man jetzt nochmal versucht, eine Vier-Tage-Woche mit verlängertem Arbeitstag, ohne längere Wochenarbeitszeit. Wir haben noch kein veröffentlichtes Ergebnis dazu. Nach unserer Wahrnehmung sind die Kollegen, die gesagt haben, wir versuchen das mal, mit Pauken und Trompeten gescheitert. Unser Tochterbetrieb hat das ebenfalls getestet und den Versuch abgebrochen. Manche Kollegen, die eher verwaltend als pflegerisch arbeiten, probieren das vielleicht mal aus. Für jemanden, der wirklich in der Pflege arbeitet, ist das nicht durchzuhalten.

UZ: Neben Ärztinnen und Krankenpflegern arbeiten weitere Berufsgruppen im Krankenhaus. Wie sehen die das TVöD-Ergebnis?

Olaf Nuhnen: Grundsätzlich sind alle unzufrieden. Finanziell kommt bis in die Entgeltgruppe 8 oder P8 der Mindestbetrag von 110 Euro zum Tragen. Wenn man sich die Preisentwicklung anguckt, weiß man, da kommt man nicht weit mit. Und das ist auch noch brutto.

Der ärztliche Dienst bei uns ist nicht im TVöD. Für sie gilt TV Ärzte und damit eine Tariferhöhung von 4 Prozent, rückwirkend ab 1. Januar. Das ist noch so ein Punkt, wo man sagt, hier wird mit zweierlei Maß gemessen.

UZ: Welche Frage müsste man jetzt in den Vordergrund stellen, um für die Beschäftigten wieder ein kleines Erfolgserlebnis, kleine Verbesserungen zu erkämpfen?

Olaf Nuhnen: Ich glaube, dass die Entlastung im Vordergrund steht. Wir haben von unserer neuen Gesundheitsministerin gehört, deren Namen ich noch gar nicht verinnerlicht habe: Sie hat verstanden, da muss was passieren. Ich habe gestern Abend noch einen Beitrag einer Kollegin der Linkspartei gesehen, die in blauer Funktionskleidung der Ministerin klar gesagt hat, da besteht Handlungsbedarf. Wir brauchen einfach Entlastung in Form von entweder mehr Personal oder einer Reduktion der Arbeitszeit, nicht noch deren Ausweitung. Die Pflege hat keine Lobby. Man muss schon selbst gucken.

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"Nicht durchzuhalten", UZ vom 23. Mai 2025



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