Palästinenser aus monatelanger U-Haft entlassen – und sofort zu Knast verurteilt

Politischer Gefangener in Berlin vor Gericht

Rund vier Monate lang hat Musaab Abu Atta in der Justizvollzugsanstalt in Berlin-Tiergarten gesessen: Ende Februar 2025 war er festgenommen und anschließend in Untersuchungshaft genommen worden. Ende Juni wurde er schließlich auf Anordnung des Gerichts aus der U-Haft entlassen. Dem palästinensischen Aktivisten wird neben „Beleidigung und Bedrohung eines Polizeibeamten“ und dem Besitz illegaler Feuerwerkskörper vor allem vorgeworfen, einen Böller auf einen Polizisten geworfen zu haben. Letzteres soll gleich drei Straftaten darstellen: „Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion“, „versuchte gefährliche Körperverletzung“ sowie „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“.

Kontext: Massive Repression gegen Palästina-Bewegung

Die ihm angelastete Straftat fand nicht während einer Demonstration statt, sondern während einer großangelegten Razzia auf der Berliner Sonnenallee. Die Straße im Stadtteil Neukölln, mit ihren zahlreichen arabischen Geschäften und Restaurants, ist seit Jahren als pro-palästinensische Hochburg bekannt. Die im Oktober 2023 massiv verschärfte Repression gegen die Palästina-Solidaritätsbewegung nahm hier besonders drastische Ausmaße an.

Beobachter und Kritiker verglichen das Auftreten der Polizei mit dem einer Besatzungsarmee. Grundrechte, insbesondere das auf Versammlungsfreiheit, wurden über Monate weitestgehend außer Kraft gesetzt. Die Polizei richtete an belebten Orten feste Checkpoints ein, die Einsatzkräfte waren häufig vermummt und schwer bewaffnet, und es kam zu anlasslosen Kontrollen, zu Platzverweisen wegen des Tragens einer Kufiya oder ähnlichem. Diese Schikanen weiteten sich sogar auf Gastronomien aus. Sie wurden als „Anlaufpunkte“ der palästinensischen Community und Bewegung betrachtet und sollten deshalb durch Schikane aus dem Verkehr gezogen werden.

Kaum Chance gegen Polizei

Auch wenn, wie in diesem Fall, niemand verletzt wird, werden körperliche Auseinandersetzungen mit Polizisten in Deutschland grundsätzlich scharf verfolgt und hart geahndet: Neben (versuchter) „gefährlicher Körperverletzung“ ist dann auch schon mal schnell die Rede von „versuchtem Totschlag“. Als während der letzten Nakba-Demo in Berlin ein Polizist angeblich schwer verletzt wurde, traten Polizei, Medien und Politik sofort eine Kampagne los, der zufolge der Beamte von einem „Mob“ in die Demo „hineingezerrt“ und „fast totgetreten“ worden sei. Mittlerweile legen Videoaufnahmen jedoch nahe, dass sich das angebliche Opfer die Hand verletzte, als es mit den Fäusten wie wild auf friedliche Demonstranten einprügelte.

Wie Aktivisten, Experten und internationale Menschenrechtsorganisationen seit langem kritisieren, kommen in Deutschland Beamte in der Regel selbst dann ungeschoren davon, wenn sie Menschen ins Krankenhaus und bis zur Besinnungslosigkeit prügeln oder gleich erschießen. Wer einen Migrationshintergrund hat, über keinen sicheren sozialen und rechtlichen Status verfügt oder politisch links steht, hat besonders schlechte Karten, wenn es um körperliche oder juristische Auseinandersetzungen mit der Polizei geht.

Repression und Rassismus gehen Hand in Hand

Auf Abu Atta trifft alles drei zu: Er gilt den Behörden als ehemaliges Mitglied der im November 2023 durch das Bundesinnenministerium verbotenen linken palästinensischen Organisation Samidoun. Und er ist Palästinenser aus einem Flüchtlingslager in Syrien. Derlei prekären Status nutzen die deutschen Behörden schon länger, um an allen Gerichten vorbei Druck auf palästinensische Aktivisten auszuüben. Abu Atta etwa wurden im Rahmen des Samidoun-Verbots 2023 jegliche politische Aktivität verboten. Sie stelle eine „Gefahr für die öffentliche Sicherheit und das Verhältnis Deutschlands zu anderen Staaten“ dar. Andere palästinensische Aktivisten erhielten zeitlich begrenzte Aktivitäts- und Kontaktverbote oder wurden sogar abgeschoben.

Obwohl bislang keine konkreten Abschiebepläne gegen Abu Atta bekannt sind, wurde die Generalstaatsanwaltschaft laut seinem Anwalt nicht müde, zu betonen, dass aufgrund der Veränderung der politischen Bedingungen in Syrien einer Ausreise keine ernsthaften Gründe mehr entgegenstünden. Dazu sein Rechtsanwalt Matthias Schuster: „Grundsätzlich ist zu befürchten, dass Deutschland dem Beispiel Österreichs folgen und Abschiebungen auch nach Syrien umsetzen wird. Dies stellt eine unmittelbare Bedrohung auch und insbesondere für politische Aktivistinnen und Aktivisten in Deutschland dar, sollten diese wegen strafrechtlicher Vorwürfe belangt werden oder worden sein.“

Auch die Untersuchungshaft ist angesichts des Vorwurfs und der Umstände unverhältnismäßig. Sie wurde mit einer angeblichen Fluchtgefahr begründet, für die Schuster keinerlei Anzeichen sieht: „Musaab ist verlobt, hat eine Wohnung und Arbeit, was die Generalstaatsanwaltschaft nicht weiter interessiert“, erklärt er. In Haft war Abu Atta zudem starken Beschränkungen ausgesetzt. So bedurften Besuche einer Genehmigung und wurden überwacht. Seine Verlobte soll zudem gezielt eingeschüchtert worden sein. Büchersendungen erhielt er erst nach vier Monaten, also wenige Tage vor seiner Haftentlassung.

„Hartes Urteil“ in erster Instanz

Wenige Tage nach seiner Entlassung aus der U-Haft wurde Abu Atta vom Amtsgericht Tiergarten zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Anwalt Schuster kritisierte die Verfahrensführung durch die Generalstaatsanwaltschaft als „unverhältnismäßig“: Polizeiliche Zeugen seien „suggestiv beeinflusst“ worden, „um ein bestimmtes Aussageverhalten zu erreichen“, außerdem sei die Verfahrensakte unvollständig gewesen. Das Urteil selbst bewertet er als „hart“, es liege im oberen Bereich des juristisch Vertretbaren. Sowohl Abu Atta als auch die Staatsanwaltschaft haben Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt. Zudem versucht Letztere, die Aufhebung der Untersuchungshaft revidieren zu lassen: Sie wollen, dass Abu Atta bis zum endgültigen Urteil im Knast sitzt.

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