Der österreichische Schriftsteller Erich Hackl

Radikal links

Von Stefan Schneider

Erich Hackl

Erich Hackl

( Maurice Haas / © Diogenes Verlag)

Der österreichische Schriftsteller Erich Hackl ist einer der wenigen deutschsprachigen Erzähler, die unbeirrt von den Moden des Literaturbetriebs an einer dediziert linken Gesellschaftsanalyse festhalten. Im Mittelpunkt seiner Arbeit stehen Menschen im militanten linken Widerstand des 20. Jahrhunderts, die für soziale Gerechtigkeit kämpften. Er ist der Erinnerer, der mit den Mitteln der „Oral history“ über Menschen schreibt, die Geschichte machten, aber nie in den Geschichtsbüchern auftauchen. Seit Anfang der 80er Jahre schreibt Erich Hackl, als Österreicher und gelernter Hispanist widmet er sich Themen wie dem Spanischen Krieg, Österreich im Faschismus und dem lateinamerikanischen Widerstand gegen die Militärdiktaturen.

Auf einen gänzlich unbekannten Zusammenhang machen die Erzählungen „50 Jahre und ein Tag“, „Der Anarchist von Leonding“ und „Statt eines Ehrensaluts“ aufmerksam. Spanische Volksarmisten, deren die deutschen Faschisten habhaft werden konnten, wurden ins KZ Mauthausen deportiert, wo über 7 000 von ihnen ums Leben kamen. Nach der Befreiung 1945 war für die Überlebenden an eine Rückkehr ins weiterhin faschistische Spanien nicht zu denken. In „Stille Post für Spanien“ erzählt er die Lebensgeschichte des österreichischen Sozialdemokraten Hans Landauer, der in Spanien als Interbrigadist kämpfte, nach Dachau verschleppt wurde und bis ins hohe Alter als Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes ein umfangreiches Archiv über die 1 400 österreichischen Spanienkämpfer angelegt hat.

Gleichfalls dramatisch und prägnant sind seine Geschichten aus Lateinamerika. Die beiden Erzählungen „Als ob ein Engel“ und „Sara und Simon“ beschäftigen sich mit Menschen in Lateinamerika, die in den 70er Jahren gegen die Militärdiktaturen in Argentinien und Uruguay gekämpft haben. In ersterer erzählt Hackl die Geschichte der Gisela Tenenbaum, die sich in der linksperonistischen Jugendbewegung und späteren Stadtguerilla der Montoneros engagierte, im April 1977 von Militärs verschleppt wird und deren Schicksal bis heute ungeklärt ist. „Sara und Simon“ handelt von dem tragischen Schicksal der Sara Mendez, die als Mitglied einer anarchistischen Vereinigung aus Uruguay nach Argentinien flieht, dort verschleppt und gefoltert wurde und die die Militär gewaltsam von ihrem Kind trennen, das sie erst nach jahrzehntelanger Suche wiederfindet. Ähnlich erschütternd das Schicksal der Klagsbruns, einer jüdischen Familie aus Wien, die vor den Faschisten nach Brasilien flieht. Die Enkel schließen sich einer marxistischen Studentenbewegung, der Acao Popular, an, müssen nach Chile fliehen, um nach dem Militärputsch und ihrer Flucht in die argentinische Botschaft ausgeflogen zu werden, leben in Europa und können erst 1986 nach Brasilien zurückkehren.

Und immer wieder geht es bei Hackl um Verfolgung und Widerstand in Österreich. In „Abschied von Sidonie“ wird die Geschichte eines Roma-Mädchens erzählt, das als Findelkind von einer Arbeiterfamilie aufgenommen, 1943 von den Faschisten nach Auschwitz-Birkenau verschleppt und dort ermordet wurde. Er berichtet über polnische Bürger österreichischer Herkunft, die 1939 nicht den polnischen Staat verraten und dafür von den Nazis nach Auschwitz deportiert wurden, wo einer von ihnen als Fotograf der SS unfreiwillig das Grauen in Auschwitz dokumentiert. Er beschreibt die Vertreibung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung Österreichs exemplarisch in der Geschichte der Familie Fleischmann.

Wichtig ist ihm auch die Erinnerung an den österreichischen Arbeiteraufstand von 1934, sei es, dass er über die Arbeiterkämpfe in Steyr, seiner Heimatstadt, schreibt oder in der Anthologie „Im Kältefieber. Februargeschichten 1934“ die Ereignisse vom 12. Februar anhand literarische Texte rekonstruiert und längst Vergessenes zu Tage fördert wie etwa eine Passage aus dem Roman „Die Prüfung“ des Hamburger Arbeiterschriftstellers Willi Bredel, der die aufrüttelnde Wirkung des Aufstands auf die kommunistischen und sozialdemokratischen Häftlinge im Hamburger KZ Fuhlsbüttel beschreibt.

Hackl erzählt Geschichten über Sozialisten und Kommunisten, in deren Biographie das gewalttätige 20. Jahrhunderts schicksalhaft konzentriert in Erscheinung tritt, aber auch gleichzeitig ihr emanzipatorisches Engagement, mustergültig umgesetzt in der Erzählung „Familie Salzmann“. Seine Erzählungen und Romane sind minutiös recherchierte Einzelschicksale von Menschen, die Opfer oder Widerständler gegen Faschismus und Militärdiktatur waren. Hackl zeigt, dass Widerstandshandeln auch unter schier unmöglichen Zuständen geleistet wurde und damit möglich war.

Hackls Literatur soll an Menschen erinnern, die kein Zeugnis mehr ablegen können, weil sie nicht mehr leben. Es ist aber wichtig, sich an sie zu erinnern. Das Auslöschen von Erinnerung ist der erste Schritt in die politische Bewusstlosigkeit. Erinnern ist bei Hackl eine eminent politische Aufgabe. Somit ist Hackl nicht irgendein Schriftsteller, der etwas für seine Arbeit als Schriftsteller ausbeutet, sondern ein politischer Autor. Hackl ist parteiisch, stellt sich mit seinen Arbeiten auf die Seite der Verfolgten und Widerständler und ihres Kampfes für soziale Gerechtigkeit. Hackl schreibt mit am kollektiven linken Gedächtnis, ohne das Widerstand undenkbar wird. Erich Hackl ist es gelungen, mit seinen Arbeiten etwas Singuläres in der deutschen Literatur zu schaffen, indem er das Verhältnis von Fiktion und Realität in der Literatur neu verortet hat.

Romane mit zeitgeschichtlichem Hintergrund sind in der Regel so gestrickt, dass das persönliche Erlebnis des Autors im historischen Kontext zu einer Geschichte verdichtet wird. Hackl geht umgekehrt vor. Er verwendet exakt recherchierte Geschichten, real Erlebtes und überträgt es in Literatur. Geschichte wird nicht mehr dokumentiert, sondern erzählt und auf eine neue Art erlebbar gemacht. Sie basieren auf wahren Begebenheiten. Er schreibt aber keine Dokumentationen, sondern literarisiert das Aufgezeichnete. Ein weiteres singuläres Merkmal seiner Arbeit ist das der Miniatur. Das epische Erzählen der bürgerlichen Literatur des 19. Jahrhunderts hat linke Literaten ebenfalls zur epischen Darstellung motiviert. Hackl geht einen umgekehrten Weg und erschließt die Geschichte in ihrer ganzen Breite über die Miniatur des individuellen Erlebens, jedoch ohne dass die politischen Zusammenhänge verloren gehen.

Nun ist Hackl als Autor nicht als der typische Schriftsteller zu fassen. Die Herausgabe von Anthologien, das Übersetzen von in Mitteleuropa weitestgehend unbekannten lateinamerikanischen Dichtern und eine umfangreiche Publizistik sind fester Bestandteil seines Arbeitens und seines Werkes, so dass ihm unterschiedliche Ausdrucks- und Vermittlungsformen für sein Anliegen zur Verfügung stehen und es nicht zu befürchten ist, dass Hackl verstummen wird.

Ende dieses Monats erscheint ein neues Buch von Erich Hackl, es hat den Titel „Am Seil“. Die Verlagsankündigung verheißt eine Geschichte mit den Worten „Wie es dazu kam, dass der stille, wortkarge Kunsthandwerker Reinhold Duschka in der Zeit des Naziterrors in Wien zwei Menschenleben rettete. Wie es ihm gelang, die Jüdin Regina Steinig und ihre Tochter Lucia vier Jahre lang in seiner Werkstatt zu verstecken. Wie sie zu dritt, an ein unsichtbares Seil gebunden, mit Glück und dank gegenseitigem Vertrauen überlebten. Was nachher geschah. Und warum uns diese Geschichte so nahegeht.“ Eine Besprechung folgt.

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"Radikal links", UZ vom 13. Juli 2018



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