Der Roman „Zwischen Welten“ von Juli Zeh und Simon Urban

Satirisch über Dummheit und Menschenverachtung

Der umfangreiche Roman „Zwischen Welten“ ist geschrieben von Juli Zeh und Simon Urban, Frau und Mann, beide etwa gleichaltrig, ähnlich dem Paar im Roman. Die sich durch die Autoren ergebende unterschiedliche Erzählsicht findet Entsprechungen in den Hauptgestalten des Romans: Therese und Stefan. Zwischen beiden kommt es, nachdem sie sich fast zwanzig Jahre nach ihrem gemeinsamen Studium der Germanistik zufällig getroffen haben, zu heftigen Diskussionen und Ausbrüchen, die – besonders im Falle des Journalisten Stefan – bis an die Grenze des Erträglichen und in den Handlungen bis zu Satire und Groteske reichen.

Vom einstigen Studium ist nichts mehr zu merken: Bei Therese haben die Belastungen des Alltags in der Landwirtschaft alles andere verdrängt; für den Sensationsjournalisten ist nur er selbst ein Maßstab. Man kann anfangs etwas ratlos vor dem Buch und den zwei Verfassernamen stehen, weiblich und männlich, sowie den österreichischen Kaisernamen ähnlichen Personennamen (Franz) Stefan und (Maria) Theresa, einerseits der geschwätzige bedeutungslose Genussmensch und Dummkopf, der glaubt, im Zentrum zu stehen, und die Kämpferin gegen alltägliche Nöte, die von Existenznot bedroht und vom Selbstmord in ihrer Nachbarschaft erschüttert wird: „Es steht im Raum wie … ein Denkmal mit hässlicher Fratze.“ Hat es Zweck, bis zu Kaisernamen zu denken und Vergleiche zu suchen, um den Sturz aus dem Bedeutungsvollen ins Unbedeutende zu erkennen?

11 Titel - Satirisch über Dummheit und Menschenverachtung - Juli Zeh, Luchterhand Literaturverlag, Simon Urban, Zwischen Welten - Kultur

Als zu Beginn des Romans statt eines Briefwechsels ein aufgeregter Stefan auf WhatsApp an eine Theresa sendet, die sich schließlich auch meldet, glaubt man als Leser eine Erklärung zu finden: Von Beginn an aufgeregt und voller Missverständnisse, wird es ein „windschiefer“ Dialog, wie der bekannte Literaturwissenschaftler Hans Mayer derartige Gespräche treffend nannte, den die beiden fast endlos führen. Mayer fand ihn bei Georg Büchner, etwa in den Hauptgestalten „Leonce und Lena“, im gleichnamigen Stück, und sah darin ein Mittel der Bloßstellung.

Ähnlich ist dieser Journalist: selbstherrlich und dummdreist, bedrohlich und gefährlich, aber nicht ernst zu nehmen. Dieser Journalist, den Theresa spöttisch als „Dreh- und Angelpunkt des Universums“ sieht. Sie hat andere, praktische Kenntnisse: „Für uns Ossis ist Emanzipation keine große Nummer. Da habt ihr Wessis einfach erheblichen Nachholbedarf.“ Theresa ist bei Stefan am falschen Platz und scheidet deshalb kurz vor dem Ende aus: Es gibt weder einen Neuanfang mit Stefan noch eine vernünftig gemeinschaftliche zeitweise Beziehung.

So erscheint der Roman als eine scharfsinnige Satire auf den gegenwärtigen Journalismus und seine oberflächlichen Beziehungen. Alle seine mitgeteilten Unzulänglichkeiten sind von den Autoren gewollt und Ausdruck der Oberflächlichkeit Stefans und seiner Auffassung vom Journalismus. In diesem April wurden schlimmste herabwürdigende Äußerungen vom Vorstandschef des Springer-Konzerns Mathias Döpfner über Merkel, die Ossis und den Osten bekannt: „Die Ossis sind entweder Kommunisten oder Faschisten“ und „Aus der ehemaligen DDR (sollte) eine Agrar und Produktions Zone mit Einheitslohn“ entstehen. Der Roman mutet über Strecken an, als hätten die Autoren des Romans vieles geahnt, manches gewusst und ihrem Journalisten ein ähnliches Profil gegeben, sogar sprachlich bis hin zur Rechtschreibschwäche.

Zu dem journalistischen Part des Romans, der zur Satire wird, reihen sich Bestätigungen und Zustimmungen bis an das Ende, auch für die beschriebene Beziehung zu Therese, für die Stefan einschätzt: „Das Gegenteil von allem, was ich mir erhofft hatte. Kein Anfang, sondern ein Ende.“ Nach einer letzten, fast Novellenmaß aufweisenden Message von Stefan erreichen ihn von Theresas Seite nur Mailer Daemon. So wird sie nicht einmal mehr Stefans Bericht von der Neuformierung des „Boten“, jetzt „Bot*in“ mit 1.200 Gästen und Mozarts „Figaro“-Ouvertüre erreichen. Stefan wird sich auf dem Höhepunkt glauben, aber einen Tiefpunkt, auch gegenüber seinem Studium, erreicht haben.

Eigentlich ist es ein Briefroman, es ist kein Liebesroman, wie man anfangs vermuten könnte, sondern ein Roman von Entfremdung und Fremdheit, für die Mails, WhatsApp und Telegram die geeigneten Mittel sind: gefühllos, oberflächlich, plakativ. Ein solcher Roman ist nur mit Mails zu bestreiten; so weit liegen die Lebensbereiche der beiden Hauptgestalten auseinander. Der Journalist Stefan, in Hamburg am einflussreichen und bedeutungsvollen „Boten“ tätig – ein wenig „Zeit“ darf man mitdenken – und die brandenburgische Landwirtin Theresa, Vorstand einer eingetragenen Genossenschaft, begegnen sich zufällig in Hamburg. Theresa war auf der Suche nach Ländereien, die sie von alten Besitzern kaufen oder pachten könnte, um die Existenz ihrer kleinen Genossenschaft zu sichern, während Stefan aus Sicht der Frau „irgendwelche absurden Dinge“ behauptet. Die durchgehend in einem großen Bogen gehaltene Spannung wird durch zahlreiche Gegensätze erreicht: Aus dem Gegensatz von Mann und Frau wird der vom Wessi und Ossi, wird der vom lautstarken Großsprecher und der um die pure Existenz kämpfenden Landwirtin.

Als dieser Gegensatz möglichst vielseitig erfasst und kontrastiv gesetzt ist, bietet Theresa die einzig richtige Beschreibung für den Leser: „Von außen betrachtet sind wir zwei ein ziemlicher Komödienstoff: du der Topjournalist aus Hamburg, ich die Milchbäuerin aus der brandenburgischen Provinz. Könnte eine ganz lustige Story werden.“

Was die Romangestalt als Komödie bezeichnet, würden sicher die Autorin und ihr Schreibpartner eine „Satire“ nennen mit kabarettistischen Zügen, in den Ereignissen um die Presse zu finden, Gegensatz aber auch in den Handlungsräumen:

Zwischen verschiedenen Ausschnitten, die jeweils eine eigene Wirklichkeit darstellen, die Landwirtschaft in ihrem Umbruch und die Pressewelt mit ihrer Dominanz bei der Meinungsbildung, sind sie doch stellvertretend für Ost und West. Aber es spielt auch alles in der Welt des Digitalen, bei Internet und WhatsApp. Dort begegnen sich die Partner, Pole und Repräsentanten. Auch das passt zur Satire. Gleichzeitig überhöht sie den literaturtheoretischen Ansatz: Kennengelernt haben sich die beiden im Erzähltheorie-Seminar. Zu spüren ist davon kaum noch etwas: Theresa hat wegen der Landwirtschaft das Studium abgebrochen und Stefan sieht anderes als seine Hauptaufgaben, nicht mehr die Literatur, sondern „intersektionellen Feminismus, Gendersprache“ und vieles andere, nur nichts mehr von dem, was einst die beiden, Theresa und Stefan, im Studium vereinte und was sie für Martin Walser, der auch einmal weit links stand, begeisterte, allenfalls könnte man sich noch vorstellen, „planlos bei Walser zu klingeln“.


Juli Zeh, Simon Urban
Zwischen Welten
Luchterhand Literaturverlag, 444 Seiten, 28 Euro


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Über den Autor

Rüdiger Bernhardt (Jahrgang 1940). Nach dem Studium der Germanistik, Kunstgeschichte, Skandinavistik und Theaterwissenschaft (Prof. Dr. sc. phil.) tätig an Universitäten des In- und Auslandes und in Kulturbereichen, so als Vorsitzender der ZAG schreibender Arbeiter in der DDR, als Vorsitzender der Gerhart-Hauptmann-Stiftung (1994-2008) und in Vorständen literarischer Gesellschaften. Verfasser von mehr als 100 Büchern, Mitglied der Leibniz-Sozietät, Vogtländischer Literaturpreis 2018.

Er schreibt für die UZ und die Marxistischen Blätter Literaturkritiken, Essays und Feuilletons zur Literatur.

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"Satirisch über Dummheit und Menschenverachtung", UZ vom 9. Juni 2023



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