Krisenpolitik für Sachsen: Ministerpräsident Kretschmer will Mehrarbeit und Lohnverzicht

Schlecht und teuer

Nicht die Entscheider in den Vorstandsetagen sind für Werkschließungen, Produktionsverlagerungen und Arbeitsplatzvernichtung verantwortlich. Schuld sind vielmehr die hohen Löhne und die Tarifverträge in der Automobilindustrie. Das könnte man glauben, wenn man die jüngsten Äußerungen von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer für bare Münze nimmt. „Viele Verbraucherinnen und Verbraucher und vor allem die Zulieferer, die Beschäftigten der Zulieferindustrie sehen, was in den Werken verdient wird, wie die Arbeitsbedingungen dort sind, vergleichen das mit ihren und sind dann wirklich in Ärger, weil sie sagen, hier geht die Industrie weg in andere Länder, aber nicht wegen uns als Zulieferern, sondern weil man es wahrscheinlich in den Werken mit den Tarifabschlüssen übertrieben hat“, erklärte Kretschmer in der vergangenen Woche in einem Interview den Zuschauerinnen und Zuschauern von „MDR aktuell“. Seine Schlussfolgerung: Er wolle mit den Gewerkschaften und Betriebsräten über Arbeitszeit und Löhne sprechen.

Unterstützung erhielt der CDU-Politiker umgehend vom „Automobil­experten“ Stefan Bratzel: „Wir müssen innovativer und besser sein, weil wir teurer sind. Nur haben die Wettbewerber gerade eben auch aus China in den letzten Jahren massiv aufgeholt. Das heißt, wir sind jetzt nicht mehr im Zweifel besser, wir sind nur noch teurer.“

Mit anderen Worten: Die Beschäftigten sind an ihrem Elend selbst schuld. Wer stur an tariflichen Standards festhält, darf sich nicht wundern, wenn sein Arbeitsplatz wegrationalisiert wird. Die Lösung des Problems kann daher nur lauten: Mehrarbeit und Lohnverzicht.

Das geht dann selbst der sächsischen SPD, die Kretschmers Koalitionspartner ist, zu weit. Deren Fraktionsvorsitzender im Landtag, Henning Homann, hält eine Diskussion über die Löhne in den Autowerken für verfehlt: „Die verdienen jetzt keine Millionen, sondern das sind 3.400 bis 4.200 Euro. Das ist ein ordentlicher Facharbeiterlohn. Und ich finde, das verdienen die Leute auch.“ In einem internationalen Preiskampf könne die Autobranche ohnehin nicht gewinnen, so Homann gegenüber dem MDR.

Tatsächlich hat Lohnverzicht noch nie einen Arbeitsplatz dauerhaft gerettet. Vielmehr sind Arbeitsplatzvernichtung und Profitmaximierung zwei Seiten einer Medaille. Das jüngste Beispiel dafür hat Bosch geliefert: Als das Management bekannt gab, neben den bereits zuvor angekündigten 9.000 Arbeitsplätzen weitere rund 13.000 Stellen abzubauen, stand der Konzern nicht vor der Pleite. Es ging schlicht darum, die in der Kfz-Sparte angestrebte Rendite von sieben Prozent zu erreichen.

Ein Blick an die Börse zeigt, dass auch die deutschen Autobauer, trotz der angeblich viel zu hohen Löhne ihrer Beschäftigten, nicht kurz vor der Insolvenz stehen. Im Gegenteil: Die Dividendenausschüttung der DAX-Unternehmen hat mit rund 52,9 Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2024 ein neues Rekordniveau erreicht. Unter den Top 5 befanden sich pikanterweise mit Mercedes Benz, Volkswagen und BMW gleich drei Automobilkonzerne. So konnten sich beispielsweise die VW-Aktionäre noch im Juni des vergangenen Jahres über 4,5 Milliarden Euro Dividende freuen. Schon von 2021 bis 2023 hatte VW – trotz damals bereits absehbarer Krise – etwa 22 Milliarden Euro an seine Aktionäre ausgeschüttet.

Auch die Gehälter der DAX-Vorstände haben im vergangenen Geschäftsjahr einen neuen Höchststand erreicht. Auf dem ersten Platz des Gehaltsrankings rangiert Volkswagen-Chef Oliver Blume. Der Manager, der auch das Tochterunternehmen Porsche AG leitet, erhält für beide Tätigkeiten insgesamt 10,6 Millionen Euro pro Jahr. Im Schnitt erhielten die Manager einschließlich der Vorstandschefs eine Gesamtvergütung von 3,76 Millionen Euro, wie aus einer Auswertung der Anlegerschutzvereinigung DSW und der TU München hervorgeht. Das waren 3 Prozent mehr als noch 2023. Damit erhielten die Vorstände im Schnitt ähnlich wie im Vorjahr das 41-Fache der Vergütung eines durchschnittlichen Beschäftigten. Ein krasses Missverhältnis, das durch den propagierten und in einigen Betrieben schon durchgesetzten Lohnverzicht wohl weiter wachsen wird.

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"Schlecht und teuer", UZ vom 24. Oktober 2025



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