Spiel mit dem atomaren Feuer

Klaus Wagener zur Kriegsgefahr in Ostasien

Es war so etwas Ähnliches wie der Sputnik-Schock 2.0. Nach Angaben des südkoreanischen Verteidigungsministeriums habe die Koreanische Demokratische Volksrepublik (KDVR) am 28. November 2017 eine Hwasong-15-Interkontinentalrakete abgefeuert, die bei Abschuss unter dem Standardwinkel 13 000 km weit fliegen könne, was bedeute, dass sie die Ostküste der USA, also Washington DC und New York erreichen könne.

Die ökonomischen und militärischen Drohungen aus Washington ließen nicht lange auf sich warten. Mit einem Großmanöver „Vigilant Ace“ trainieren die USA und Südkorea den Luftkrieg gegen die KDVR. US-Sicherheitsberater H. R. McMaster drohte, jeden Tag wachse die Gefahr eines Krieges. Die Volksrepublik und natürlich auch die VR China ist von einer ganzen Kette von mehr als 400 US-Stützpunkten umzingelt. Dazu kommen Flugzeugträgerkampfgruppen, strategische Bomber und permanente Großmanöver mit der südkoreanischen Armee. Das konventionelle wie das atomare Drohpotential ist gewaltig. Jenseits der Rhetorik bedroht natürlich nicht die KDVR die USA, sondern umgedreht. Den etwa 7 000 atomaren US-Gefechtsköpfen und den dazugehörigen hochentwickelten Trägermitteln (Flugzeuge, Raketen, U-Boote) stehen etwa 10 bis 20 der Volksrepublik und ein sehr kleines Raketenprogramm gegenüber. Beides noch im Aufbau.

Das US-Imperium hat in Konflikten mit widersetzlichen Staaten immer die Machtandrohung eskaliert – bis hin zum Krieg und letztlich zum atomaren Overkill. Die „Logik“ dahinter heißt: Man kann gegen einen rationalen Spieler nicht verlieren, wenn man bereit ist, jedes Risiko zu gehen, den Einsatz gewissermaßen jeweils zu verdoppeln. Diese Vabanque-Strategie hat beispielsweise in der Kuba-Krise selbst gegen die Sowjetunion funktioniert.

Im Falle der KDVR stößt diese „Logik“ an ihre Grenzen. Die Lehre aus Irak und Libyen heißt: Eine atomares Kleinbeigeben ist keine Lösung. Die Zerstörung kommt so oder so. Die Führung in Pjöngjang weiß seit 1953 sehr genau, was das bedeutet. „Wir brannten jedes Dorf in Nordkorea herunter, ganz gleich, und brachten etwa 20 Prozent der Bevölkerung um, entweder direkt oder infolge von Hunger oder Schutzlosigkeit“, rühmte sich später US-Luftwaffenchef Curtis LeMay. LeMay war es auch, der Vietnam in die Steinzeit zurückbomben wollte.

Die Volksrepublik hatte 1985 den Atomwaffensperrvertrag unterschrieben und Kontrollen erlaubt. Nach „9/11“ landete aber auch die KDVR auf der Liste der „Schurkenstaaten“ und wurde Teil der „Achse des Bösen“. Mit dem Irak-Krieg war klar, was das bedeutete. 2006 begannen in der Provinz Hamgyong-pukto die ersten öffentlich bestätigten Kernwaffentests. Die Führung in Pjöngjang hat ganz offensichtlich kein Interesse, wie Saddam Hussein am Galgen zu enden oder wie Muammar al-Gaddafi erschlagen zu werden. Ihre Strategie besteht darin den „Preis“ so hoch zu treiben, dass er für das Imperium zu hoch wird. Zu Hilfe kommt ein massives Interesse in der Region, auch ein strategisches Interesse Chinas und Russlands, es nicht zu der von den Hardlinern in Washington angekündigten „völligen Vernichtung“ der KDVR kommen zu lassen.

Die Situation ist deshalb so gefährlich, weil das Droh- und Sanktionspotential des Imperiums unterhalb der Kriegsschwelle weitgehend ausgeschöpft ist und eine weitere Niederlage nach Syrien in Washington inakzeptabel erscheint. Schon im Korea-Krieg 1950–53 forderte Oberbefehlshaber Douglas McArthur den Einsatz der Bombe. Angesichts der Lage heute ist schwer vorstellbar, wie ein neuer Korea-Krieg konventionell und territorial auf Nordkorea begrenzt bleiben könnte. Was allerdings, angesichts der Erfahrungen der 1950er Jahre, schon dramatisch genug wäre.

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"Spiel mit dem atomaren Feuer", UZ vom 8. Dezember 2017



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