Anmerkungen zum Stand der US-amerikanischen Demokratie

Stimmenunterdrückung

Kurt Stand, USA

Im Jahr 2018 stimmte in Florida eine Mehrheit für die Wiederherstellung des Wahlrechts für Menschen, die eine Freiheitsstrafe verbüßt hatten. 1,4 Millionen konnten danach wieder wählen gehen. Die von Republikanern beherrschte Regierung antwortete mit einem Gesetz, das betroffene Menschen verpflichtet, zunächst alle offenstehenden Gerichtskosten und Geldbußen zu begleichen. Wem die finanziellen Ressourcen fehlen, wurde das Wahlrecht so weiter vorenthalten – wie auch insgesamt 5,1 Millionen ehemaligen Gefangenen in den USA.

In Iowa haben republikanische Behörden jüngst 100.000 Stimmzettel, die Wählerinnen und Wählern zugesandt wurden, für ungültig erklärt. Die Menschen sollen trotz der Furcht vor Covid-19 gezwungen werden, in die Wahllokale zu gehen. Andernorts wurden Formulare für die Registrierung als Wähler für ungültig erklärt, um so Stimmberechtigte zu zwingen, sich entweder erneut registrieren zu lassen oder zu riskieren, dass ihre Stimme verfällt. Manchen Wählern wurde mitgeteilt, sie hätten gerichtliche Konsequenzen zu befürchten, sollten sie dabei einen Fehler machen.

Wo schon frühzeitig die Wahllokale geöffnet wurden, gab es bereits Einschüchterungsversuche. In Virginia wurden diejenigen, die sich in die Warteschlange vor einem Wahllokal eingereiht hatten, von singenden und johlenden Motorradfahrern eingekreist. Das sollte eine Atmosphäre der Angst verbreiten. In Kalifornien stellten Republikaner falsche Wahlurnen für die Abgabe von Briefwahlstimmen auf. Aus Texas, Ohio, Georgia und anderen Staaten wird berichtet, dass sowohl die Anzahl der Wahllokale als auch die Anzahl der Stimmkabinen in den einzelnen Lokalen reduziert werden sollen. Das hätte zur Folge, dass die Menschen drei bis zehn Stunden warten müssen, bevor sie ihre Stimme abgeben können.

Alle diese Maßnahmen zielen darauf ab, unerwünschte Wählerinnen und Wähler von der Stimmabgabe fernzuhalten. Das betrifft schwarze US-Bürger aus weniger wohlhabenden Wohngegenden, Gemeinden mit hohem Migrationsanteil, Indianerreservaten und Städten mit liberalen Hochschulen.

Donald Trumps Auseinandersetzung mit dem US Postal Service, sein Versuch, den Versand von Wahlunterlagen zu verlangsamen, seine verlogene Unterstellung von Wahlbetrug, seine Weigerung, zu sagen, dass er jeden Ausgang der Wahl akzeptieren würde – das alles dient dem Ziel, Konfusion und Misstrauen zu säen.

Angriffe auf das Wahlrecht haben zugenommen, seit im Jahre 2000 die direkte Einmischung in den Wahlprozess in Florida letztlich den Ausschlag gab, George Bush Junior die Präsidentschaft zu sichern. Viele, die damals daran beteiligt waren, Stimmen zu unterschlagen, befinden sich in Trumps innerem Machtzirkel. Nachdem eine gelungene Massenmobilisierung Obamas Sieg im Jahre 2008 möglich gemacht hatte, schlagen die von Republikanern kontrollierten Staaten mit der Einführung von Gesetzen zurück, mit denen die Abgabe von Stimmen erschwert werden soll. Sie nutzen so das Recht der Bundesstaaten, das Wahlrecht auch für nationale Wahlen zu bestimmen.

2010 erlaubte ein Urteil des Obersten Gerichtshofes Kandidatinnen und Kandidaten, so viel Geld auszugeben wie sie eben einsammeln können. 2013 wurden im „Gesetz über die Rechte der Wähler“ von 1965 festgeschriebene Regelungen außer Kraft gesetzt. Beides erleichterte Trumps Sieg über Hillary Clinton bei den Wahlen 2016. Trump – wie schon Bush Junior – verfehlte die Mehrheit der Stimmen, wurde aber dennoch Präsident. (Der US-Präsident wird nicht direkt gewählt, sondern durch Wahlleute des „Electoral College“ bestimmt, deren Anzahl sich durch die Mehrheiten in den Bundesstaaten ergibt; Anmerkung der Redaktion).

Es gibt also eine lange Tradition der Beschränkung demokratischer Rechte. Der Rassismus, der große Teile der werktätigen Bevölkerung durchtränkt hat und der sowohl ein zentraler Bestandteil im Gedankengebäude vieler wohlhabender Eliten als auch der Schlüsselzentralen von Konzernmacht ist, ist eine der treibenden Kräfte. In den 1960er Jahren erzielte das „Black Freedom Movement“ einige Erfolge, wie zum Beispiel das erwähnte Gesetz über die Rechte der Wähler. Strukturen, die Menschen von Rechten ausgrenzen, sollten beseitigt werden. Die Eliten haben bestehende Hassgefühle angestachelt, um selbst diese kleinen Fortschritte zu stoppen und umzukehren.

Die Unterdrückung des Stimmrechts der schwarzen Bevölkerung beschneidet die Rechte derer, die soziale Verantwortung vor das Recht auf private Profitmacherei stellen. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Prinzip der Demokratie als Ausdruck der Herrschaft des Volkes und der Freiheit des Rechts auf Ausbeutung existiert seit der Amerikanischen Revolution. Der Aufschwung der Gewerkschaftsbewegung in den 1930er Jahren erschloss das Potential demokratischer Strukturen für die Erringung gleicher Rechte für alle. Seit dieser Zeit lassen die Konzerne nichts unversucht, um zurückzudrängen, was damals erreicht wurde. Mit dem weltweiten Niedergang der USA haben sich Schlüsselfraktionen des Kapitals entschlossen, die Interessen der Konzerne vor jeder Rechenschaftspflicht gegenüber der Öffentlichkeit immer aggressiver zu schützen. Das ist ein weiterer Grund für die gegenwärtig zu beobachtende Schwächung demokratischer Strukturen.

Andere Fraktionen des Kapitals akzeptieren, dass die Vereinigten Staaten eine Gesellschaft vieler ethnischer Gruppen sind. Sie fürchten die Auswirkungen des Klimawandels und werten demokratische Prinzipien als die beste Methode, um sowohl ihre eigenen Privilegien als auch die Macht der USA zu sichern. Bedeutsamer aber ist, dass unsere aus mehreren ethnischen Gruppen bestehende Arbeiterklasse bestrebt ist, sich demokratische Rechte zu erkämpfen. Sie steht an der Spitze massiver Proteste gegen Trump, gegen Rassismus, gegen soziale und ökonomische Ungerechtigkeiten. Unzählige Organisationen mobilisieren den Widerstand gegen die Unterdrückung von Stimmen. Sie kämpfen für eine Ausweitung und Anwendung des Wahlrechts.

Die Gefahr einer autoritären Herrschaft ist da – und so die Notwendigkeit für breiteste Einheit, um Trump und der Macht der Republikaner im November eine schwere Niederlage zu bereiten. Ein solches Ergebnis würde den Kampf zur Ausweitung demokratischer Rechte stärken, würde das Konzernmonster wirksam bekämpfen, das hinter Trumps Größenwahn steckt.

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