Dass Kuba heute nicht mehr zum Hinterhof der USA gehört, ist vor allem der Revolution und dem Durchhaltewillen großer Teile der Bevölkerung zu verdanken. Seit über sechs Jahrzehnten trotzen die Kubaner Invasionsversuchen, Terroranschlägen und einer alle Lebensbereiche lähmenden Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade. Den Erhalt seiner Unabhängigkeit verdankt das Land jedoch auch der jahrzehntelangen Unterstützung durch einen Verbündeten, der die Folgen dieser Angriffe abmilderte: der Sowjetunion – und später der Russischen Föderation. Das größte Land der Welt stand Kuba in kritischen Phasen seiner jüngeren Geschichte solidarisch zur Seite – nicht immer ohne eigenes Interesse, aber meist zum beiderseitigen Nutzen.
Die Partnerschaft durchlief jedoch auch Tiefpunkte. Die vom Westen hofierten Präsidenten Michail Gorbatschow und Boris Jelzin ignorierten Anfang der 1990er Jahre alle Abkommen und Zusagen und ließen ihren bisherigen Verbündeten fallen. Kuba geriet in eine politisch-ökonomische Eiszeit mit Moskau. Erst unter Wladimir Putin wurde das Verhältnis ab dem Jahr 2000 schrittweise wieder normalisiert. Heute, da sowohl Russland als auch Kuba den einseitigen ökonomischen Attacken westlicher Staaten ausgesetzt sind, erlebt die Beziehung eine strategische Renaissance.
Blockade, Blackouts und leere Regale
Trotz der Solidarität befindet sich Kuba derzeit in einer prekären Lage. Die Insel steckt in einem Teufelskreis: Tägliche Stromabschaltungen und ein chronischer Mangel an Devisen, Treibstoffen und Ersatzteilen führen zur wirtschaftlichen Stagnation. Die derzeitige Energiekrise ist eine der dramatischsten Auswirkungen der US-Blockade. US-Präsident Donald Trump hatte bereits in seiner ersten Amtszeit angekündigt, Havanna „den Ölhahn zuzudrehen“. Reedereien, deren Tanker Rohöl nach Kuba transportierten, wurden mit Strafmaßnahmen belegt und gezwungen, Charterverträge zu kündigen.
Projekte wie die mit russischer Hilfe modernisierte Stahlhütte in Havanna – 2023 wiedereröffnet durch den russischen Vizepremier Dmitri Tschernyschenko – zeigen, wie ambitionierte Vorhaben an den realen Engpässen scheitern. Geplant war die Produktion von 62.000 Tonnen Flüssigstahl im Jahr 2024. Doch das Statistikamt ONEI meldete nur 4.200 Tonnen – eine direkte Folge fehlender Treibstoff- und Ersatzteillieferungen. Auch Venezuela, traditioneller Öllieferant, konnte 2024 keine stabilen Mengen liefern. Russland sprang zeitweise ein, musste seine Exporte jedoch ebenfalls den EU-Sanktionen anpassen. Nach einem von der EU verhängten „Verbot der Beförderung von russischem Öl und Erdölerzeugnissen auf dem Seeweg in Drittländer“ lieferte das Land im Jahr 2024 zuletzt im zweiten Quartal Treibstoff nach Kuba. Ein Tropfen auf den heißen Stein.

Treibstoffmangel und Stromabschaltungen beeinträchtigen auch die Umsetzung geplanter Projekte. Nach Einweihung des Stahlwerks hatten Vertreter der beiden – von westlichen Sanktionen betroffenen – Länder noch acht Abkommen zur Zusammenarbeit in den Bereichen Handel, Industrie, Energie, Landwirtschaft, Bauwesen, Bildung und Tourismus unterzeichnet. Doch die vom russischen Unternehmen Progress Agro angekündigte Aktivierung einer Zuckerfabrik in der Provinzstadt Jatibonico ist bislang nicht erfolgt. Auch die Eröffnung des „Rus-Market“ in Havanna, eines Geschäfts mit russischen Produkten, sowie gemeinsame Planungen für das an weißen Stränden gelegenen Ressort Tarara verzögern sich. „Reuters“ berichtet, dass dort, wo russische Zusagen ins Leere liefen, „China diskret in die Bresche springt und eine Reihe Projekte – von Solartechnik bis zu Lebensmittelhilfen – vorantreibt“, um Kuba zu helfen. „Russlands Versprechen waren größer als seine Leistungen“, zitierte die Agentur den Professor für lateinamerikanische Politik an der American University, William LeoGrande. Das IPG-Journal der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung kommentierte süffisant: Partner wie China und Russland „schicken immer mal wieder humanitäre Hilfe, eine Ladung Reis, ein paar Touristenflieger, einen Öltanker oder installieren Solarparks“. Während das IPG-Journal die Effekte der russischen Unterstützung unter der Überschrift „Bankrott der Unbelehrbaren“ generell infrage stellte, räumte Reuters ein: „Einige der russischen Hilfen sind angekommen. Staatsnahe russische Unternehmen lieferten per Schiff sowohl Weizen als auch Öl. Und Russland hat – wie China – den Tourismus auf die Insel gefördert, was zum Anstieg ausländischer Besucher und dringend benötigter Devisen führte.“
Von der Sowjetunion zu BRICS+
Ein zentrales Feld der Kooperation ist die Energieversorgung. Mit Unterstützung Chinas entstehen zwischen Havanna und Santiago Dutzende Solarparks. Noch 2025 sollen 55 neue Anlagen ans Netz gehen, bis 2028 weitere 37. Ziel ist es, den Anteil erneuerbarer Energien bis 2030 auf 29 Prozent zu steigern. Dennoch bleibt Kuba kurzfristig auf fossile Quellen angewiesen. Mangels Speichersystemen kann die tagsüber verfügbare Solarenergie die ölgetriebenen Kraftwerke nicht ersetzen. Hier hilft Russland mit Know-how und Ausrüstung zur Instandhaltung der Anlagen aus Sowjetzeiten.
Ein Lichtblick kam Ende 2024: Moskau gewährte Kuba einen Kredit über 60 Millionen Dollar für mindestens 80.000 Tonnen Treibstoff und übergab zusätzlich eine humanitäre Spende in Form von Ersatzteilen. Anfang 2025 erreichte der mit fast 800.000 Barrel Rohöl im Wert von 55 Millionen Dollar beladene russische Tanker „Akademik Gubkin“ kubanische Gewässer – ein klares Signal, dass Russland seine Partner nicht fallen lässt. Die Ankunft des Tankers zeige „das Interesse der Russen, das unter den derzeitigen Sanktionen maximale Volumen an Öl zu exportieren“, erklärte Jorge Piñón vom Institut für Energie der Universität Texas gegenüber der spanischen Agentur „EFE“.
Während Peking seit Kubas Beitritt zur chinesischen Belt-and-Road-Initiative die Investitionen in Infrastrukturprojekte – von der Energieversorgung über Häfen bis hin zur Telekommunikation – ausweitet, verstärkt auch Moskau sein Engagement. Beide Länder hatten sich dafür eingesetzt, dass die Inselrepublik am 1. Januar als assoziiertes Mitglied in den um Schwellenländer erweiterten Brics+-Block aufgenommen wurde. Wie Vizepremier Tschernyschenko nach einem Treffen der Präsidenten Wladimir Putin und Miguel Díaz-Canel in Moskau Anfang Mai mitteilte, planen russische Unternehmen in den kommenden fünf Jahren Investitionen von mehr als einer Milliarde Dollar in die kubanische Wirtschaft. In einem Artikel für das Onlineportal „Cubadebate“ verwies Moskaus Außenminister Sergei Lawrow zur selben Zeit auf „die feste politische Unterstützung“ seines Landes für Kuba. Er betonte, dass Russland und Kuba eine „gemeinsame historische und geopolitische Vision“ teilen und weiterhin „Seite an Seite“ gehen.
Sommerferien in St. Petersburg
Das sind nicht nur bloße Absichtserklärungen. Neben Projekten im Handel, dem Gesundheitswesen, der Energieversorgung und künstlicher Intelligenz werden Kooperationen zur gemeinsamen Forschung und Entwicklung in mehreren Bereichen ausgebaut. Die Südliche Föderale Universität (SfedU), das größte wissenschaftliche und pädagogische Zentrum im Süden Russlands, plant eine Außenstelle in der Universität von Havanna, um kubanische Interessenten auf ein Studium an russischen Universitäten vorzubereiten – wie einst zu Sowjetzeiten.
Auch vor 30 Jahren eingestellte Austauschprogramme für Kinder und Jugendliche werden wiederbelebt. In diesem Jahr verbringen mehrere Dutzend kubanische Schüler ihre Sommerferien in St. Petersburg, andere im einstigen „Orljonok-Pionierlager der UdSSR“, einem internationalen Bildungslager in der Region Krasnodar an der nordöstlichen Schwarzmeerküste. Auch die Verbesserung der finanziellen Infrastruktur ist ein Thema: Die auf Auslandsgeschäfte spezialisierte russische Nowikombank eröffnete 2024 eine Repräsentanz in Havanna und kündigte an, Geldtransfers zwischen beiden Ländern zu erleichtern – als Alternative zu westlichen Finanzsystemen, die Kuba von globalen Märkten abschneiden.
All das sind kleine Schritte, die die Folgen der US-Blockade mittelfristig zumindest abmildern könnten. Keine Ankündigung, sondern greifbares Ergebnis eines Abkommens zwischen dem kubanischen Unternehmen Empresa Integral de Servicios Automotores (EISA) und der russischen Firma ECHO-Export SRL ist die Auslieferung von Geländewagen, die vor wenigen Wochen in einem kubanischen Montagewerk mit Bausätzen aus Russland fertiggestellt wurden. Sobald die Fabrik ihre volle Auslastung erreicht, sollen dort bis zu 500 UAZ Patriot und UAZ Pickup, angepasst an das Klima und die Straßenverhältnisse der Region, zusammengebaut werden.
Mehr als wirtschaftlicher Pragmatismus
Russlands Engagement in Kuba ist mehr als wirtschaftlicher Pragmatismus aus Eigeninteresse – es ist auch ein Signal an andere Staaten Lateinamerikas. Während Washington Putschisten wie die De-facto-Präsidentin Dina Boluarte in Peru, rechte Despoten wie Javier Milei (Argentinien), Daniel Noboa (Ecuador), José Raúl Mulino (Panama), Nayib Bukele (El Salvador) und den faschistischen Ex-Präsidenten Brasiliens, Jair Bolsonaro, hofiert, unterstützt Moskau eines der kleinsten und ärmsten Länder der Region dabei, sich dem wirtschaftlichen Würgegriff zu entziehen. Für die Mehrheit der kubanischen Bevölkerung bedeuten die Kooperationen mit Russland und China derzeit sicher noch keine spürbare Verbesserung des Alltags. Doch sie bremsen die Spirale aus Abwanderung, Versorgungsmangel und Frustration zumindest ab – und schaffen neue Perspektiven jenseits westlich dominierter Abhängigkeiten. Die Beziehungen zwischen Kuba und Russland sind Teil eines Wettlaufs gegen die Uhr – aber auch Teil des Kampfes für Autonomie, Entwicklung und Zukunft.
Vision vom kubanischen Silicon Valley
Technologiepark auf der Insel der Jugend geplant
Ende Juli wurde mit „Cayo Digital“ das vielleicht ambitionierteste Kooperationsprojekt zwischen Russland und Kuba vorgestellt. Auf der Isla de la Juventud (Insel der Jugend) soll ein Technologiepark entstehen, der Kuba zu einem digitalen Zentrum – ähnlich dem Silicon Valley – innerhalb des BRICS-Blocks macht. Bis zu 15.000 Menschen – darunter rund 12.000 Fachkräfte und 3.000 Studierende – könnten dort laut Planung künftig leben und arbeiten. Auf 450 Hektar sollen Labore, Rechenzentren, Wohnanlagen, Schulen, Gesundheitseinrichtungen und Industrieflächen entstehen.
Entwickelt wird das Projekt gemeinsam mit russischen Unternehmen wie GenIT, unterstützt durch mehrere Ministerien und die Agentur für Strategische Initiativen in Moskau. Das Vorhaben ist langfristig angelegt: Erste Wohnkomplexe sollen zwischen 2026 und 2028 fertig sein, die komplette Infrastruktur bis 2032. Entwickelt werden sollen dort vor allem eigenständige digitale Infrastrukturen für Lateinamerika und BRICS-Länder – etwa Cybersicherheitslösungen und KI-Anwendungen. Der politische Anspruch ist deutlich: Die Insel soll ein „Bollwerk“ gegen technologische Abhängigkeit vom Westen werden. GenIT-Direktor Alexander Wolkow betonte, dass Kuba aufgrund seiner langjährigen engen Beziehungen zu Russland, seiner qualifizierten Fachkräfte und seiner politischen Unabhängigkeit gegenüber westlichem Druck als idealer Standort gilt. In Lateinamerika, so Wolkow, herrsche überwiegend großes Misstrauen gegenüber westlichen Technologien, die sich oft als Instrumente der Spionage und Kontrolle entpuppt hätten. Deshalb wachse das Interesse an russischen „souveränen IT-Infrastrukturen“, also nicht-cloudbasierte Lösungen.
Während sich die kubanische Regierung zunächst nur vorsichtig optimistisch äußerte, reagierten westliche Medien und Contra-Plattformen bereits mit heftiger Kritik. Das staatliche US-Portal „Martí Noticias“ bezeichnete „Cayo Digital“ als „russische Einmischung“ und „Bedrohung der Freiheit“. Andere sprachen indes von einem „Fantasieprojekt“. Die linke spanische Plattform „Cubainformación“ konterte, dass allein die Vorstellung eines unabhängigen, digital vernetzten Kuba den USA bereits ein Dorn im Auge sei. Tatsächlich könnte „Cayo Digital“ – sollte es gelingen – zu einem der bedeutendsten technologischen Vorhaben außerhalb westlicher Einflusszonen werden. Ob es am Ende umsetzbar ist und zu einem realen Wandel beiträgt oder Vision bleibt, ist derzeit schwer einzuschätzen. Optimisten erinnern an das von Che Guevara einst geprägtes Motto: „Seamos realistas y hagamos lo imposible“ – Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche.