Aktualisierte Neuauflage von Ekkehard Lieberams „Sisyphos läßt grüßen“

Systemfrage ade

Nein – eine Erfolgsgeschichte ist sie nicht, die Partei „Die Linke“. Ekkehard Lieberam, der ihre Höhepunkte und Niederlagen analytisch verfolgt, hat eine aktualisierte und ergänzte Fassung seiner Schrift über „[d]ie Leiden der Linken und das Leiden an der LINKEN“ veröffentlicht. „Sisyphos läßt grüßen“, heißt die Publikation, die in erster Auflage 2020 im pad-Verlag erschienen ist. Sie enthält zehn streitbare Texte. Neu ist eine Niederlagenanalyse zur Bundestagswahl 2021.

Der Autor stellt die Existenzkrise der Partei dar, die sich – immer noch darauf hoffend, mitregieren zu dürfen – an die Außenpolitik der Ampel anpasst. Mit der Zustimmung zur NATO verabschiedet sie sich endgültig von den Interessen der Lohnabhängigen. Zu bewältigen sei die Krise nunmehr nicht mehr, bringt Lieberam den Niedergang der Partei auf den Punkt. Der „Point of no Return“ sei mit der Zerreißprobe um die Bundestagsrede von Sahra Wagenknecht am 8. September 2022 überschritten. Leider taucht der gegen Russland geführte „Wirtschaftskrieg“, der hier von Bedeutung ist, bei Lieberam nicht auf. Das nimmt der Polemik die Schärfe.

Für Lieberam steht fest, dass die Führungsriege der Partei die sozialen Kämpfe bewusst getrennt von den Kämpfen gegen Krieg und Militarisierung behandelt. Ein erneuter Anlauf zu einer linken Partei dieses Typs, ob sie PDS oder Linkspartei heißt, ende unweigerlich wieder im etablierten Politikbetrieb. Das Projekt sei gescheitert. Die PDS und „Die Linke“ seien nie marxistische Parteien gewesen, aber sie verstanden sich als antimilitaristische Friedensparteien. Sie forderten die Auflösung der NATO und stattdessen ein kollektives Sicherheitssystem. Beide stellten die Systemfrage, von der heute unabänderlich abgerückt wurde. Die Folge: Erste Adresse des politischen Protests bei Wahlen ist die Linkspartei schon lange nicht mehr, obwohl sie noch ein gewisses Mobilisierungspotential besitzt.

Wie kam es dazu? Lieberam macht insbesondere die Herausbildung einer besonderen Sozialschicht von „Berufspolitikern und Parteiangestellten“ dafür verantwortlich, die am Parteienstaat teilhaben. Sie hätten eigene Interessen entwickelt, die sich grundlegend von denen der Lohnabhängigen unterscheiden. Sie seien die „Träger der Integrationsideologie“, die aus dem parlamentarischen System erwächst. Nie seien die Gründe des Niedergangs in der Linkspartei wirklich ernsthaft diskutiert worden. Nie haben die spezifischen Existenzbedingungen einer Partei gegenüber einem politischen Verein in der Niedergangsanalyse eine Rolle gespielt.

Ein neuer Anlauf zu einer sozialistischen Partei mit Massenanhang habe nur dann Sinn, so der Autor, wenn dies mit einem Parteikonzept einhergeht, das dem Integrationsdruck des parlamentarischen Systems zu widerstehen vermag. Darüber nachzudenken sei dringend geboten. Ohne eine marxistisch orientierte Programmatik und Politik werde daraus nichts. Notwendig seien Regeln, die die Herausbildung einer „Sozialschicht“ von Berufspolitikern verhindern können. Nach Auffassung des Autors gilt auch für linke Parteien, dass sie „Vorhof der Staatsmacht“ sind und im Falle politischer Erfolge „zum Politikbetrieb“ werden. Dessen Größe sei abhängig vom Anteil der Partei an den Wählerstimmen und an den staatlichen Zuwendungen.

Man muss mit dem Autor nicht immer übereinstimmen und mag sich manches schärfer dargestellt wünschen, sollte aber trotzdem aufs Lesen und Durchdenken der Texte nicht verzichten.


Ekkehard Lieberam
„Sisyphos läßt grüßen“
Die Leiden der Linken und das Leiden an der LINKEN
Bestellanschrift: pad-verlag@gmx.net, 6,00 Euro


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"Systemfrage ade", UZ vom 21. Oktober 2022



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