In über 70 Städten in ganz Deutschland streiken Schülerinnen und Schüler am 5. Dezember gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht, mit der die Bundesregierung Deutschland „kriegstüchtig“ machen möchte. Einer von ihnen ist Sino. Der Gymnasiast, 10. Klasse, engagiert sich im Streikkomitee seiner Schule und im Potsdamer Schulstreikbündnis.
UZ: Ihr beteiligt euch am Schulstreik gegen die Wehrpflicht am 5. Dezember. Warum?
Sino: Weil wir beschlossen haben, dass wir uns nicht einfach einem staatlichen System ergeben möchten. Wir wollen ein klares Zeichen setzen, weil viele Jugendliche und Nicht-Jugendliche keine Lust haben, in einen Krieg zu ziehen und Gewalt auszuüben. Wir wollen nicht für Kapitalinteressen sterben. Wir Jugendlichen wollen Frieden in unserem Leben und Frieden auf der Welt.
UZ: Ist die Wiedereinführung der Wehrpflicht bei dir in der Schule Thema?
Sino: Auf jeden Fall. Es wird sehr viel darüber gesprochen. In meinem Gymnasium ist das von der 7. bis zur 12. Klasse ein großes Thema. In verschiedenen Fächern wird darüber gesprochen. Viele sagen, dass sie definitiv nicht zur Bundeswehr möchten. Wenn wir in Potsdam an Schulen Infomaterial verteilen und mit Schülern diskutieren möchten, reagieren die Schulleitungen unterschiedlich. Manche unterstützen uns, andere legen uns Steine in den Weg. Dort findet dann kein wirklicher Austausch statt. Teils werden uns Räume versagt.
UZ: Ihr habt ein Bündnis auf die Beine gestellt für euren Streik.
Sino: Im Streikbündnis an meiner Schule engagieren sich um die 20 Schülerinnen und Schüler. Wir bekommen täglich mehr Zuspruch. Wir tauschen uns über Messenger aus und planen so auch Veranstaltungen. In meiner Schule haben wir die Möglichkeit, in den Politikunterricht zu gehen und dort mit weniger informierten Mitschülern über die Wehrpflicht zu sprechen. Wir hängen Poster auf und planen eine Veranstaltung in der Aula für die ganze Schule. Ich bin an einer eher linken Schule. Das ist nicht an allen Schulen der Stadt so.
Gute Erfahrungen haben wir mit Infoständen vor Schulen in Potsdam gemacht. Dort legen wir immer eine Umfrage aus, auf der man seine Teilnahme am 5. Dezember markieren kann. Wir konzentrieren uns auf Schulen, die Erfolge versprechen.
UZ: Welche Organisationen mischen in Potsdam mit?
Sino: Die SDAJ natürlich, auch Fridays for Future, Studis gegen Rechts, Die Falken und Linksjugend solid. Dazu kommen Einzelpersonen.
UZ: Das ist ja ein ungewöhnlich breites Bündnis. Wie habt ihr das zusammengestellt?
Sino: Potsdam ist eine kleine Stadt. Wenn man da politisch aktiv ist, hat man Kontakte zu anderen, die das ebenfalls sind. Einige Menschen, zu denen wir keinen Kontakt hatten, haben wir gezielt angeschrieben. Und natürlich an den Schulen selbst, die teils starke Schülervertretungen haben.
UZ: 35 Jahre nach der Annexion der DDR sieht die Lage der Jugend in Ostdeutschland noch trostloser aus als die ihrer Altersgenossen in Westdeutschland. Macht sich die Bundeswehr diese Misere zunutze und wirbt in Ostdeutschland verstärkt um Kanonenfutter?
Sino: Das hab ich tatsächlich noch gar nicht so betrachtet. Spontan möchte ich mit Ja antworten – es soll ja gewisse Anreize geben für Wehrdienstleistende, etwa die teilweise Finanzierung eines Führerscheins oder berufliche Entwicklungsperspektiven. Ich glaube, dass sich einige Jugendliche im Osten davon eine Zukunft versprechen. Diese Perspektivlosigkeit sieht man selbst in vergleichsweise florierenden Städten wie Potsdam, trotz der Nähe zu Berlin. Die Bundeswehr nutzt aktiv Klassenunterschiede aus und spricht generell Menschen aus wirtschaftlich schwachen Haushalten an. Es ist schon krass, dass in Berlin weniger Bundeswehrwerbung hängt als in kleinen Städten wie Brandenburg an der Havel – so jedenfalls meine Beobachtung, ganz spontan.
UZ: Welche Erwartungen hast du an den Schulstreik?
Sino: Ich erhoffe mir viel Mitarbeit von noch unorganisierten Jugendlichen, die sich entschieden haben, für ihre Zukunft einzutreten. Ich wünsche mir, dass wir Aufsehen erregen, richtig Stimmung machen und ein offenes Ohr bekommen von Passanten in der Innenstadt. Dass wir auf deren Fragen kollektiv antworten können. Dass sich Schülerinnen und Schüler politisieren und ihr Bewusstsein wächst.
Klar ist: Nach dem 5. Dezember ist nichts vorbei. Wir wollen weiterhin protestieren, Widerstand leisten, Schulstreiks und andere Aktionen organisieren und uns vernetzen.
UZ: Wie können euch Eltern und Großeltern unterstützen, die ihre Kinder und Enkelkinder nicht im Krieg verheizt sehen wollen?
Sino: Zum Beispiel beim Flyer verteilen – die dürfen auch am Arbeitsplatz der Eltern ausgelegt werden oder in der Wirkungsstätte der Großeltern. Sie können Essen mitbringen zu Plenen und uns einfach fragen, was uns hilft. Neben der direkten Unterstützung sind wir auf indirekte angewiesen. Eltern können das Gespräch mit ihren Kindern suchen und sie darin unterstützen, zu streiken. Überhaupt sollten Eltern und Großeltern mit ihren Kindern und Enkeln über deren Zukunft sprechen.



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