Arbeitersportvereine kurz vorgestellt, Teil I: Fichte in Berlin

Turnen in leeren Fabrikhallen

Von Friedhelm Vermeulen

Heute wird es als „Arbeitersport“ bezeichnet, wenn Einkommensmillionäre zur Freude von Werbeindustrie und Wettmafia einen Ball schnell und präzise hin- und herschieben.
Was Arbeitersport eigentlich bedeutet, das haben die Sportvereine der Arbeiterbewegung gezeigt. Sie sollen in kurzen Beiträgen porträtiert werden und erscheinen monatlich als UZ-Serie.

TV Fichte, ein Verein, der sich nach Johann Gottlieb Fichte benannte, war Gründungsverein des Arbeiter-Turnbundes (ATB) und sollte zu einem der größten Arbeitersportvereine der Welt werden, mit etwa 10.000 Mitgliedern und einem vereinseigenen Geschäft in der Köpenicker Straße 108 in Berlin. Der Verein gründete sich kurz nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes 1890 und hieß zunächst „Turnverein“, dann „Turn- und Sportverein“ und ab 1927 schließlich „Arbeitersportverein“.

Die erste Umbenennung bedeutete unter anderem die Anerkennung des Fußballs, der bis dahin vom Dachverband ATB eher skeptisch bis ablehnend betrachtet wurde, wie Christian Wolter in seinem Buch „Arbeiterfußball in Berlin und Brandenburg“ schreibt. Arbeitersport, das bedeutete im Kaiserreich vor allem Bewegung zur Förderung der Gesundheit, die durch die Arbeit zerstört wurde – das heißt vor allem gleichförmige Bewegung entsprechend von Vorgaben, kein freies Spiel und Gerangel um Bälle. Auch Konkurrenz war nicht gern gesehen im ATB, und so wurden Wettkämpfe erst 1909 wieder zugelassen, weil es ohne dann doch etwas langweilig war. Der Aufstieg des DFB und die Verbreitung des Fußballs unter Jugendlichen zwang die ATB-Funktionäre zum Handeln. Ein bis 1909 bestehendes Verbot des Fußballs in Arbeitssportvereinen wurde aufgehoben.

Die zweite Umbenennung von Fichte in „Arbeitersportverein“ folgte der Positionierung innerhalb der gespaltenen Arbeiterbewegung. Das Zentrum von Fichte war Berlin. Die Mitglieder hatten sich an den Januarkämpfen 1919 auf der Seite des Spartakusbundes beteiligt und für die Räterepublik gekämpft. Fichte Berlin machte konkrete Erfahrung mit einer SPD an der Regierung – und beschloss auf einer Generalversammlung, keinen Regierungssozialdemokraten in den Vereinsvorstand zu lassen.

Die SPD wiederum bekämpfte Fichte mit den Mitteln des Polizeistaates, mit Hausdurchsuchung und Festnahmen sowie mit den Mitteln der Stadtverwaltung: So ging der Rotsportverein Fichte bei der Vergabe der Hallenzeiten für den Winter 1930/31 zunächst leer aus, dann sollte Fichte 3 Reichsmark pro Stunde für die Nutzung einer Halle berappen. Da sich der Verein dies nicht leisten konnte, wich Fichte auf leerstehende Fabrikgebäude aus und machte sie für den Sport nutzbar.

Es folgten ein Verbot des bis dahin jährlich stattfindenden „Ansportelns“ Anfang Mai, mit der Begründung, Fichte sei ein politischer und kein Sportverein. Auch die für Juli geplante Spartakiade der Roten Sportinternationale wurde vom Berliner Polizeipräsidenten (SPD) verboten, viele Veranstaltungen fanden dank der Verankerung von Fichte trotz Verbot statt, auch mit internationaler Beteiligung. Die meisten internationalen Teilnehmer wurden an der Einreise allerdings gehindert.

Fichte Berlin, das war Sport, gemeinsame Erholung und Bildung, kreativer Widerstand, Revolution und Marxismus. Was interessierte, das wurde diskutiert, also auch Fragen der Sexualität. Politik war selbstverständlich, auch bei denen, die nicht Mitglied der KPD waren – und das war die große Mehrheit der Fichte-Mitglieder.

„Ich weiß noch, dass damals im Winter ein Aufmarsch gewesen ist, der jährlich stattfand zu den Gräbern von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in Friedrichsfelde. Das war die LLL-Feier, das heißt Luxemburg-Liebknecht-Lenin-Feier, die an den Gräbern der Ermordeten stattfand, und es fanden sich auch Skifahrer mit ihren Geräten dort ein. Es kamen sogar Ruderer, obwohl es außerhalb der Saison war, mit geschulterten Riemen, die dort demonstrierten.“ (H. Bodens, zitiert nach Herbert Dierker: „Größter Roter Sportverein der Welt“).

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"Turnen in leeren Fabrikhallen", UZ vom 8. Januar 2021



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