Julie Delpys „Die Barbaren“ neu im Kino

Zu viel Komödie?

Paimpont, ein Nest in der Bretagne, das sich viel zugute hält auf seine Weltoffenheit. Dorfpolizist Johnny trägt rebellisch und stolz seinen nach Popstar Johnny Halliday gewählten Vornamen, Dorf-Methusalem Yves nennt den Pariser Mai 1968 enttäuscht eine Kleinbürger-Revolution und spielt als Besitzer einer verfallenden Scheune doch die Glücksfee für Paimpont, das seine Weltoffenheit im Verlauf des Films hart auf die Probe gestellt sieht.

Der Grund: Schulleiterin Joelle Desourd, die immer ein offenes Ohr hat für alle Probleme der Welt und aktuell für Ukraine-Flüchtlinge, hat fast alle im Ort überzeugt, und so hat sich ganz Paimpont herausgeputzt zum Empfang der ersten Flüchtlingsfamilie. Doch der Mitleidsmarkt an Ukrainern ist schon leergefegt und wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Hier in Gestalt von Marwan Fayad und seiner Familie, denn die kommt – zur allgemeinen Überraschung – nicht aus Selenskis Ukraine, sondern aus Syrien!

Also Kommando zurück. Den TV-Sender interessieren nur Ukrainer, nun muss das Kamerateam sofort einpacken. „So haben wir nicht abgestimmt“, protestiert der Klempner Hervé Riou, der von Anfang an skeptisch war, und noch bevor sich die Fayads mit kommunaler Unterstützung – also auch „seinen“ Steuern – in Yves’ Scheune ihre Wohnung einrichten können, sammelt er Unterschriften für ihre Abschiebung.

Die Gefühle kochen hoch, die Stimmung kippt, feste Beziehungen entpuppen sich als Missverständnisse. Marwans halbfertiges Traumhaus steht plötzlich unter Wasser, und der sonst so friedliche gelernte Architekt wird in der Kneipe sogar handgreiflich. So kommt es, wie es kommen muss und anonyme Graffitti-Maler schon zum Empfang der „Ukrainer“ gesprayt hatten: die „Barbaren“ müssen raus.

Aber halt! So bitter, so realistisch kann doch ein Film von Julie Delpy nicht enden. Die erneut für Regie, Buch und Hauptrolle Verantwortliche, die seit 1992 in New York lebt, hat mit ihren Filmen (Richard Linklaters „Before Sunrise“, „Before Sunset“ sowie in eigener Regie „2 Tage Paris“ und „2 Tage New York“ u. a.) eine „transatlantische“ Marke gesetzt, eine Art Genre der realistischen Komödien mit genau beobachteten Figuren und aktuellen Fragestellungen, aber stets optimistischer Unterhaltung. Mit ihrem neuen Opus könnte sie sich allerdings übernommen haben. Bis zum Zerbersten vollgepackt mit Ideen und erhellenden Beobachtungen ist das Drehbuch, das Delpy mit ihren drei Koautoren geschrieben hat.

Da purzeln die vielen Handlungselemente leicht mal durch einander, und doch möchte man auf keinen der Einfälle verzichten. Mit textlich und filmisch originell gestalteten Zwischentiteln („Euro und Diktatur“ oder „Kaputt“) knüpft Delpy am klassischen Kapitelaufbau an, unterbricht aber auch den lockeren Plauderton, der den „schweren“ Stoff so genießbar macht. Musik und Schnitt unterstreichen die komödiantische Leichtigkeit mal mehr, mal weniger, wie auch Georges Lechaptois’ Bildgestaltung: Als Marwans Frau Louna sich im trüben Bretagnewetter Sonnenstrahlen in die beschlagene Fensterscheibe malt, erschrickt man fast vor dem lautlosen Ernst des Bildes, das in der Komik unterzugehen droht.

Delpys leicht feministische, Konflikte meidende Weltsicht fordert ihren hochkarätigen Darstellern große Wandlungsfähigkeit ab. Ein Zwischentitel „Ein Jahr später“ leitet spät eine ganze Serie von Happyends ein, in denen die Frauenrollen deutlich mehr Gewicht erhalten. Den Männerrollen fehlt oft der Raum zur tieferen Gestaltung. Nur Ziad Bakri (Marwan) und Delpys Vater Albert (Yves) fällt die Sympathie des Publikums sofort zu. Laurent Lafitte bewältigt die Rolle des Hervé als Macho und verkappter Neonazi mit Bravour, aber wo alles sich zum Guten wendet, muss auch er zum sanften, geläuterten Vater mutieren.

Aber diese Frauen! Für ihre Joelle hat die Regisseurin sich am Ende eine Zukunft als Helferin in einem syrischen Flüchtlingslager ausgedacht. Marwans behinderte Tochter Alma (Rita Hayek) darf ihr Wissen als Ärztin wenigstens als Hebamme anwenden. Eine Paraderolle hat Sandrine Kiberlain als Ladenbesitzerin Anne. Lange hat sie die Affäre ihres Mannes Philippe mit der Metzgersfrau ertragen, gutgläubig auch Hervés Petition unterschrieben; nun aber besinnt sie sich als selbstbewusste Frau: „Jetzt bestimme ich.“ Den Reigen der Wandlungen beschließt dann Hervés Frau Geraldine (India Hair). Hervés erbärmliche Rolle als Almas Geburtsassistent hat ihr endgültig gereicht – sie wird sich von ihm trennen und ihre Tochter Alma nennen.

Die Barbaren
Regie: Julie Delpy
Unter anderem mit Julie Delpy, Sandrine Kiberlain, Laurent Lafitte und Ziad Bakri

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"Zu viel Komödie?", UZ vom 27. Juni 2025



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