UN-Bericht über die Rechte von Frauen belegt Rückschritte

Unter Druck

Nach Jahrzehnten bemerkenswerter Fortschritte geraten die Rechte von Frauen und Mädchen weltweit immer stärker unter Druck. Darauf hat der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) in einem aktuellen Bericht hingewiesen. Fast die Hälfte des weiblichen Teils der Weltbevölkerung werde daran gehindert, eigenständig über ihre Sexualität und Fortpflanzung zu bestimmen.

Die Rechte von Frauen und Mädchen würden zurückgedrängt, warnte UNFPA-Chefin Natalia Kanem, die Ärmsten und Minderheiten seien am stärksten benachteiligt. So sterben jeden Tag 800 Frauen während oder nach einer Geburt. Die Hälfte der Todesfälle im Zusammenhang mit Schwangerschaft, Geburt oder Komplikationen danach entfalle auf Länder mit humanitären Krisen oder Konflikten.

Interessant an dem über 170 Seiten starken Report ist, dass sich die Berichterstatterinnen und Berichterstatter nicht auf staatliche Statistiken und Statements von Regierenden beschränken, sondern auch Beispiele für Gegenwehr und Engagement der Betroffenen aufgreifen. So wird beschrieben, wie sich Textilarbeiterinnen im indischen Bundesstaat Tamil Nadu selbstständig in einer Gewerkschaft organisierten, um gegen Ausbeutung und Unterdrückung vorzugehen. Thivya Rakini, eine der Gewerkschafterinnen, erläutert in dem Bericht die Hintergründe: „80 Prozent der Arbeitskräfte sind Frauen, 60 Prozent von ihnen gehören der marginalisierten Kaste der Dalit an. Aber das Management und die Vorarbeiter sind Männer aus den höheren Kasten. Es fällt ihnen nicht leicht zuzuhören, wenn ihnen eine Dalit-Arbeiterin sagt, dass sie etwas falsch machen.“ Da auch in den meisten Gewerkschaften Männer das Sagen haben und die Anliegen der Arbeiterinnen ignorierten, gründeten sie ihre eigene Organisation, die „Tamil Nadu Textile and Common Labour Union“ (TTCU).

Der UN-Report räumt zugleich mit einer in Europa und Nordamerika gerne verbreiteten Sichtweise auf, wonach Frauenunterdrückung vor allem die eigene Schuld der Entwicklungsländer sei. Verwiesen wird auf einen im Juli 2023 vom UN-Generalsekretär veröffentlichten Bericht über die Bedeutung des Kolonialismus für Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen und andere Minderheiten. Die Untersuchung weist darauf hin, dass die Kolonialmächte gezielt auf die Stigmatisierung und Kriminalisierung von gleichgeschlechtlicher Liebe, Transgender-Identitäten und anderen Formen von Diversität gesetzt hätten, um ihre Macht über die kolonialisierten Völker zu festigen. Vor der Ankunft der Kolonialherren habe es in den betroffenen Ländern und Regionen dagegen oft vielfältige Formen sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identitäten gegeben. Als Beispiele werden die „zweigeistigen Personen“ in Nordamerika, die Bonju in Europa, die Hijra in Indien und Bangladesch und andere genannt. Dagegen setzten die Kolonialmächte auf religiöse Indoktrination, die Verfolgung abweichender sexueller und geschlechtlicher Identitäten sowie die Etablierung strikter sozialer Hierarchien, etwa durch Spanier, Portugiesen, Briten und Franzosen.

Und Deutschland? Die DKP weist in ihrem Parteiprogramm darauf hin, dass die zunehmende Flexibilisierung der Arbeit und Arbeitszeitverlängerungen es Menschen mit Kindern erschweren, gleichberechtigt am Arbeitsprozess teilzunehmen. „Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bleibt ein Privatproblem der Familien, meist der Frauen. Diese traditionelle Rollenzuweisung wird immer neu reproduziert. Auch die Tendenz, Reproduktionsarbeit in einen erzwungenen Niedriglohnbereich haushaltsnaher Tätigkeiten zu verlagern, wird in erster Linie Frauen treffen.“

Das bestätigt der UN-Bericht. Trotz einer angeblich „feministischen Außenministerin“ wird für Deutschland konstatiert, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Schwangerschaft für Frauen noch immer mangelhaft ist. Mütter müssen nach wie vor hohe Einkommensverluste gegenüber Männern und kinderlosen Frauen hinnehmen – und dabei fällt nicht nur das direkte Fehlen von Gehaltszahlungen ins Gewicht. 19 Prozent der Einkommensverluste werden nach der Erhebung der Vereinten Nationen dadurch verursacht, dass Frauen bereits am Anfang ihrer Laufbahn auf die Vereinbarkeit von Beruf und Erziehung achten und deshalb auf Karrieren verzichten, die ihnen höhere Einkommen bringen würden.

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"Unter Druck", UZ vom 26. April 2024



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