Neues Kommunalrecht in Nordrhein-Westfalen schränkt Rechte von Ratsmitgliedern und kleinen Parteien ein

Unter Kontrolle

Manchmal gehen auch den öffentlich-rechtlichen Redaktionen die Ideen aus. „Die kommunale Demokratie lebt“, mehr fiel den Kollegen von „Tagesschau.de“ nicht ein, um in ihren Beitrag „Fünf Erkenntnisse aus den Kommunalwahlen“ einzuführen. Die demokratische Lebendigkeit führten sie dabei auf die gestiegene Wahlbeteiligung (56,8 Prozent) und die Behauptung zurück, dass die Mehrheit der Wähler für Parteien gestimmt habe, „die eindeutig demokratisch sind – und nicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden“.

Demokratisch nicht ganz sauber sind allerdings die Gesetzesänderungen, mit denen die schwarz-grüne Landesregierung Nordrhein-Westfalens die neugewählten Ratsmitglieder und Kreistagsabgeordneten begrüßt. Denn mit der neuen Ratsperiode tritt das umfangreiche „Gesetz zur Änderung kommunalrechtlicher und weiterer Vorschriften im Land Nordrhein-Westfalen“ in Kraft – und das hat es in sich.

„Das neue Gesetz bringt frischen Wind in die Kommunalpolitik“, freut sich das Fachportal „kommunal.de“. Versprochen werden mehr Beteiligungsmöglichkeiten und eine bessere „Vereinbarkeit von Beruf und Familie im politischen Ehrenamt“. Deswegen dürfen Ratsmitglieder künftig ihre Kinder mit in den Sitzungssaal nehmen. Das war auch bisher nicht verboten, aber nun ist es ausdrücklich erlaubt. Wer genau davon profitiert, bleibt im Dunkeln. Klar ist allerdings, wer durch das neue Gesetz mit erheblichen Einschränkungen zu kämpfen haben wird: kleinere Parteien und Ratsmitglieder jenseits des politischen Mainstreams.

„Ich hab hier bloß ein Amt und keine Meinung.“

Friedrich Schiller
Wallensteins Tod

Die Möglichkeit zur Bildung von Fraktionen wird an die Größe des Rates geknüpft. Das bedeutet: Eine Fraktion in einem Gemeinderat mit 50 Mitgliedern muss künftig aus mindestens drei Stadtverordneten bestehen. Bislang traf das nur auf kreisfreie Städte zu. In kreisangehörigen Kommunen reichten zwei Ratsmitglieder aus. Kleine Parteien werden also häufiger nicht in der Lage sein, Fraktionen zu bilden. Das bedeutet erhebliche finanzielle Einbußen für die politische Arbeit. Zudem wird ihnen das Recht genommen, eigene Anträge auf die Tagesordnung zu setzen – ein Todesstoß in der politischen Auseinandersetzung.

Auch politisches Abweichlertum kann bald leichter unterbunden werden. Wer sich bei der „Verletzung der Ordnung oder der Würde des Rates“ ertappen lässt, muss mit harten Sanktionen rechnen. Bürgermeister werden ermächtigt, Ordnungsgelder zwischen 250 und 1.000 Euro zu verhängen – auch ohne vorhergehenden Ordnungsruf. Zudem können Ratsmitglieder von der Sitzung ausgeschlossen werden. Wenn sie trotz Aufforderung nicht gehen, ziehen sie „sich dadurch ohne Weiteres die Ausschließung für weitere drei Ratssitzungen zu“. Bei einer zweiten Weigerung „tritt der Ausschluss für fünf Ratssitzungen ein“. Die Gegenwehr kann nur schriftlich und erst im Nachhinein erfolgen: „Die Ordnungsmaßnahmen und der Anlass hierzu dürfen in dieser Sitzung nicht zum Gegenstand von Erörterungen gemacht werden.“

Bislang waren es die Räte selbst, die Ordnungsmaßnahmen in ihrer Geschäftsordnung regelten und darüber befanden. Das Gesetz greift tief in diesen Teil des Selbstverwaltungsrechtes ein und schafft die Voraussetzungen für die faktische Ruhigstellung unliebsamer politischer Widersacher. Und auch die Freiheit des Mandats wird weiter beschnitten, wenn Wahlen künftig nicht mehr automatisch geheim erfolgen müssen, sobald ein einzelnes Ratsmitglied darauf besteht. Das ermöglicht es vor allem großen Fraktionen, festgelegte Kandidaten für bestimmte Posten durchzusetzen, da das Abstimmungsverhalten offen – und somit unter Kontrolle bleibt.

Erst vor wenigen Monaten musste die Regierung einen Rückschlag hinnehmen, als das Landesverfassungsgericht das sogenannte Rock-Verfahren kippte. Das vom Landtagsabgeordneten Simon Rock (Grüne) entwickelte Berechnungsverfahren für die Verteilung der Sitze in den Kreis- und Gemeinderäten lief auf eine systematische Benachteiligung von kleinen Parteien bei Kommunalwahlen hinaus. Nun setzen CDU und Grüne ihren Feldzug mit anderen Mitteln fort.

In der Vergangenheit war immer wieder mit dem „Kampf gegen rechts“ oder der Zersplitterung der Räte argumentiert worden, wenn die Rechte einzelner Mandatsträger oder kleinerer Parteien eingeschränkt werden sollten. Nach der Kommunalwahl zeigt sich: Die AfD wird vielerorts so groß sein, dass sie von den neuen Regelungen kaum beeindruckt sein dürfte. Die reaktionären Auswirkungen des Gesetzes treffen andere.

Keine Empfehlung!

Das neue Kommunalrecht in Nordrhein-Westfalen ist Teil des reaktionär-militaristischen Staatsumbaus. Aber auch der will gelernt sein. Durch eine etwas weitgreifende Formulierung hat die Landesregierung eine neue Möglichkeit geschaffen, die von Kommunalrechtlern und Bürgermeistern kritisiert wird: Künftig können alle Mitglieder eines städtischen Ausschusses an allen nicht-öffentlichen Sitzungen aller anderen Ausschüsse teilnehmen. Das gilt auch für sogenannte sachkundige Bürger, also von den Fraktionen benannte Ausschussmitglieder, die kein Ratsmandat haben. Dadurch könnte es theoretisch passieren, dass sich Menschen mit einem gewissen politischen Grundinteresse von nahestehenden Stadtratsfraktionen (oder Gruppen) als sachkundige Bürger benennen lassen – vielleicht auch nur in eher drögen, kleinen oder selten tagenden Ausschüssen –, um dann als Zuhörer in interessanteren Gremien aufzutauchen. Sie würden sich, sobald die Räte neu konstitutiert sind, möglicherweise auf Paragraf 58 Absatz 1 der durch das „Gesetz zur Änderung kommunalrechtlicher und weiterer Vorschriften im Land Nordrhein-Westfalen“ veränderten Gemeindeordnung berufen und somit einen Anspruch haben, auch den nicht-öffentlichen Teil mit anzuhören.

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"Unter Kontrolle", UZ vom 19. September 2025



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