Gewaltiger Truppenaufmarsch der US-Marine vor der Küste Venezuelas

USA eskalieren

Nach dem mutmaßlichen Massaker der US-Kriegsmarine an der Besatzung eines kleinen Schnellbootes in der südlichen Karibik fordern die Fischer von Tobago von ihrer Regierung Schutz gegen die militärische Bedrohung. Der Vorsitzende des Fischerverbandes, Curtis Douglas, kritisierte das Schweigen der Behörden, nachdem Trümmerteile des zerstörten Bootes in den Gewässern von Trinidad und Tobago entdeckt wurden. Seine Kollegen befürchteten, mit Drogenschmugglern verwechselt zu werden, sagte er. Die Fischer führen 40 oder 50 Seemeilen weit und könnten sehr leicht mit anderen Personen verwechselt werden und so zum Ziel der US-Marine werden.

Am 2. September hatten die USA nach eigenen Angaben ein Schnellboot beschossen, das ihnen zufolge aus Venezuela gekommen sei und Drogen in die USA schmuggeln wollte. Bei dem Angriff seien elf „Terroristen“ getötet worden, erklärte US-Präsident Donald Trump über sein privates Online-Netzwerk „Truth Social“. Dort veröffentlichte er auch ein Video, das den Beschuss zeigen soll. Zu sehen ist auf den unscharfen Aufnahmen ein schnell fahrendes Boot, auf dem sich Menschen bewegen – plötzlich eine Explosion.

Unklar war zunächst, ob sich die Ereignisse so abgespielt haben, wie von Washington dargestellt. So wies Venezuelas Innenminister Diosdado Cabello darauf hin, dass das offenbar zerstörte Schiff vom Typ her nicht denen geglichen habe, die meist in Venezuela zum Einsatz kommen. In seiner Fernsehsendung „Con el Mazo Dando“ zählte Cabello auf, wie viele internationale Abkommen die USA mit dem Angriff verletzt haben. Sein Kollege Freddy Ñáñez, Venezuelas Medienminister, stellte die Authentizität der Aufnahmen in Frage und veröffentlichte eine Analyse, wonach es sich bei dem von Trump veröffentlichten Video um ein KI-generiertes Fake handeln soll. Er machte Außenminister Marco Rubio dafür verantwortlich. Dieser wolle Trump mit solchen Fälschungen in einen Krieg gegen Venezuela treiben. Andere internationale Medien konnten die Einschätzung Ñáñez‘, dass es sich um eine Fälschung handele, nicht bestätigen. Allerdings ist klar, dass nicht erkennbar ist, wann und wo die Aufnahmen entstanden sind – sie können tatsächlich eine militärische Aggression am 2. September in der Karibik zeigen, sie können aber auch viel älter oder in einer ganz anderen Region entstanden sein.

Kolumbiens Präsident Gustavo Petro erklärte dazu, dass – wenn sich die Darstellung der US-Regierung als wahr herausstelle – es sich um nichts anderes als kaltblütigen Mord gehandelt habe. Er wies darauf hin, dass die großen Drogenbosse nicht mit solchen Booten unterwegs sind, die Opfer des Drogenkrieges würden Jugendliche aus den armen Bevölkerungsschichten, die von den Mafiabanden als Kuriere eingesetzt werden.

Ob es sich nun um ein real durchgeführtes Verbrechen oder eine Aktion der psychologischen Kriegsführung zur Einschüchterung der Menschen gehandelt hat, die US-Militäraktion gegen ein Schiff in internationalen Gewässern vor der Küste Venezuelas war die bisher größte Eskalation seit Beginn des US-Militäraufmarsches in der Karibik. Washington hat inzwischen nicht weniger als acht Kriegsschiffe mit 1.200 Raketen und mindestens 4.000 Marinesoldaten sowie ein atomar betriebenes U-Boot in der Region stationiert. Begründet wird das damit, den von Venezuela ausgehenden Drogenschmuggel unterbinden zu wollen. Das wird von Beobachtern als Unsinn zurückgewiesen, nicht nur weil ein solcher Flottenaufmarsch kaum gegen Schmuggelboote hilft. Die Hauptrouten des Drogenschmuggels laufen durch den Pazifik mit Kolumbien, Ecuador oder Peru als Ausgangspunkt.

Die USA haben allerdings zwei Drogenkartelle – deren Existenz in dieser Form von Experten in Zweifel gezogen wird – zu „internationalen terroristischen Organisationen“ erklärt. Bei den beiden Banden handelt es sich um die Gruppe „Tren de Aragua“ – der das angegriffene Boot gehört haben soll – und das „Cartel de los Soles“. Letzteres besteht den unbewiesenen Behauptungen zufolge aus hochrangigen venezolanischen Militärs, ihr Chef soll demnach niemand anderes als Venezuelas Präsident Nicolás Maduro sein. Ein schon vor einiger Zeit von den USA gegen Maduro verhängtes Kopfgeld wurde im Sommer auf 50 Millionen US-Dollar verdoppelt. Da passt es natürlich gut, dass Washington – ebenso wie die EU – Maduro die Anerkennung als Präsident verweigern, weil man immer noch an der Illusion festhält, dass ihr Favorit die Wahlen 2024 gewonnen habe.

Wie wir aus dem vor allem gegen Länder im Nahen und Mittleren Osten sowie in Afrika geführten „Krieg gegen den Terror“ kennen, glauben die USA, auf der Jagd nach „Terroristen“ die Souveränität anderer Länder ungestraft verletzen zu dürfen. In diesem Sinne wäre eine Intervention in Venezuela dann kein Angriff auf ein anderes Land, sondern die „Befreiung“ eines von Terroristen und Drogenbanden besetzten Territoriums. Das Schweigen dazu aus Berlin und Brüssel ist ohrenbetäubend.

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"USA eskalieren", UZ vom 12. September 2025



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