„Loveparade“-Tragödie könnte ungesühnt bleiben

Vertuscherkartell erfolgreich

Von Markus Bernhardt

Das Duisburger Landgericht hat Anklagen wegen der „Lovepa-rade“-Katastrophe jüngst abgelehnt. Dabei hatte die Staatsanwaltschaft schon vornherein nicht gegen alle Personen, die im Verdacht stehen, für das Unglück verantwortlich zu sein, Anklage erhoben. Zur Erinnerung: Insgesamt 21 Menschen waren aufgrund einer Massenpanik, die bei dem damaligen Großevent am 24. Juli 2010 in Duisburg einsetzte, zu Tode gekommen. Mehr als 500 Personen waren teils schwer verletzt worden. Die grausamen Bilder der eingequetschten und zu Tode getrampelten Partybesucher gingen damals um die Welt.

Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass die vorgelegten Beweise angeblich nicht ausreichten, um einen hinreichenden Tatverdacht zu begründen und ein Hauptverfahren zu eröffnen. Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft bereits vor rund zwei Jahren Anklage gegen sechs Bedienstete der Stadt Duisburg und vier Mitarbeiter der Loveparade-Veranstalterfirma erhoben. Ermittelt wurde wegen des Vorwurfs der „fahrlässigen Tötung“ und der Körperverletzung.

Die Staatsanwaltschaft legte zwar Beschwerde gegen die Entscheidung des Gerichts ein. Dass es jedoch tatsächlich noch zur Eröffnung eines Hauptverfahrens kommen wird, gilt als unwahrscheinlich. Dementsprechend fielen auch die Reaktionen der Angehörigen und Opferanwälte aus. Von einem „Justizskandal“ sprach etwa der Düsseldorfer Rechtsanwalt Julius Reiter, der Hinterbliebene von Opfern der Tragödie vertritt. Es sei „eine Bankrotterklärung der Justiz, dass nach mehr als fünfeinhalb Jahren Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft die Anklage nicht zugelassen und das Hauptverfahren nicht eröffnet wird“, stellte er klar.

Ausgewählte Anklagen

Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft nicht nur gegen zehn, sondern gegen insgesamt 16 Beschuldigte darunter – neben Mitarbeitern von Lopavent und Duisburger Stadtverwaltung – auch gegen Polizeibeamte ermittelt. Opferanwälte und Betroffene hatten hingegen schon in der Vergangenheit in regelmäßigen Abständen gefordert, alle potentiell Verantwortlichen für die Katastrophe auch vor Gericht zu stellen. Sie kritisierten unter anderem, dass sich nicht einmal der nach dem Loveparade-Desaster im Februar 2012 abgewählte Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) oder etwa der Lopavent-Chef Rainer Schaller unter den Beschuldigten befanden. Auch der damalige Ordnungsdezernent der Stadt, Wolfgang Rabe, gehörte nicht zu dem Personenkreis, dem die Staatsanwaltschaft den Prozess machen wollte. Rabe soll dafür gesorgt haben, dass die Loveparade trotz geäußerter Sicherheitsbedenken des örtlichen Bauamtes nicht abgesagt wurde und darauf hingewiesen haben, dass der von vornherein umstrittene Großevent auf Wunsch des damaligen Oberbürgermeisters Sauerland stattfinden solle.

Auch der polizeiliche Einsatzleiter Kuno S. sollte sich gar nicht erst wegen des „Verdachtes der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung“ vor Gericht verantworten müssen, obwohl die Anklagebehörde ursprünglich gegen ihn ermittelt hatte. Der Polizeiführer war zu Beginn der Massenpanik mit dem nordrhein-westfälischen Innenminister Ralf Jäger (SPD) auf dem Festivalgelände unterwegs und hätte die Tragödie unter Umständen verhindern können. Zumindest, wenn er zwischen 15.30 und 16.00 Uhr die Polizeikette am Tunnel, wo die Massenpanik damals ausbrach, mit zusätzlichen Beamten hätte verstärken lassen. Andere Polizeibeamte, die damals bei der Loveparade eingesetzt waren, untermauerten diese Sicht auf die Dinge offenbar. Sie sollen bei Vernehmungen kritisiert haben, der damalige Ministerbesuch habe ablenkend auf sie gewirkt und den Einsatzverlauf gestört.

Schon im Mai 2011 hatten Medien über einen mehr als 400 Seiten umfassenden Bericht der Staatsanwaltschaft Duisburg vom Januar des gleichen Jahres berichtet, in dem weitere schwerwiegende Vorwürfe gegen die damals eingesetzten Polizisten erhoben wurden und in dem unter anderem von Ausfällen beim polizeilichen Funkverkehr und außerplanmäßigen Schichtwechseln die Rede gewesen sein soll. Auch der britische Panikforschers Keith Still war in einem von der Duisburger Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenen Gutachten zu dem Schluss gekommen, dass das Sicherheitskonzept der Loveparade allein aufgrund der zu erwartenden Menschenmengen hätte überprüft werden müssen. Ein anderes Gutachten der Firma Invita Consult belastete hingegen die Firma Lopavent. Darin wurde behauptet, dass auf dem insgesamt über 110000 Qua­dratmeter großen Festivalgelände einzig 234 Sicherheitskräfte eingesetzt gewesen seien sollen.

Skandalminister

In der Vergangenheit waren außerdem mehrfach Forderungen laut geworden, dass der aus Duisburg stammende Landesinnenminster mindestens die politische Verantwortung für die Loveparade-Tragödie übernehmen müsse. Jäger gilt mittlerweile als der Skandalminister im Kabinett von NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD). Erst vor wenigen Tagen hatte die Opposition in einer anderen Angelegenheit erneut seinen Rücktritt gefordert und Jäger bezichtigt, dass das von ihm geführte Ministerium, die offenbar teils sexuell motivierten Übergriffe auf Frauen, zu denen es in der Sylvesternacht rund um den Kölner Hauptbahnhof gekommen war, zu bagatellisieren versucht habe. So soll eine dem Ministerium untergeordnete Dienststelle am 1. Januar dieses Jahres versucht haben, eine Polizeimeldung zu manipulieren, indem eine sogenannte „Wichtige-Ereignis-Meldung“ habe stoniert werden sollen und auf „Wunsch aus dem Ministerium“ der Begriff der „Vergewaltigung“ daraus gestrichen habe werden sollen. Das Ministerium bestritt die Vorwürfe hingegen.

Auch Jägers Rolle bezüglich der Krawalle des rassistischen Netzwerks „Hooligans gegen Salafisten“ 2014 in Köln, sowie sein wenig entschlossenes Vorgehen gegen die neofaschistische Partei „Die Rechte“ war in der Vergangenheit auf deutliche Kritik der anderen Parteien gestoßen.

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"Vertuscherkartell erfolgreich", UZ vom 15. April 2016



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