Anstatt einen volkswirtschaftlichen Schaden durch den Abschwung der Auto-Konjunktur zu beklagen, sollten wir versuchen, Produktionseinrichtungen und vor allem Fachkräfte aus dem Automobilsektor möglichst verträglich in den Defence-Bereich zu überführen.“ So beschwor Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) jüngst die Segnungen der angekündigten Kriegswirtschaft. Im Klartext: Wenn Kolleginnen und Kollegen ihre Jobs in der Automobil- und Zulieferindustrie verlieren, sollen sie ihre Arbeitskraft stattdessen einfach in der Rüstungsindustrie verkaufen.
Inzwischen werden jedoch auch in bürgerlichen Redaktionsstuben Zweifel an der Geschichte vom „Jobmotor Rüstungsindustrie“ laut: So titelte beispielsweise Springers „Welt“ in der vergangenen Woche: „Die Deindustrialisierung schreitet voran – trotz des deutschen Rüstungsbooms“. Tatsächlich fehlt auf dem Arbeitsmarkt von den versprochenen Beschäftigungseffekten infolge der Aufrüstung jede Spur. Im Juni ist die Zahl der Arbeitslosen – trotz der vielbeschworenen Frühjahrsbelebung – lediglich um 5.000 auf 2,914 Millionen Personen gesunken. Das sind 188.000 mehr als im Juni 2024 und im Langzeitvergleich zwischen Mai 2022 und Juni 2025 hat sich die Zahl der Arbeitslosen sogar um mehr als 650.000 erhöht, was einem Zuwachs von mehr als 25 Prozent entspricht.
Die zentrale Ursache dafür sind die Massenentlassungen und Werksschließungen im industriellen Sektor. So ist die Zahl der Beschäftigten in der Industrie nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes von 7,53 Millionen im Jahr 2019 um 330.000 auf rund 7,22 Millionen im Jahr 2024 gesunken. Und der Stellenabbau schreitet immer schneller voran. Statistiken der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigen, dass in der Industrie im Februar im Vergleich zum Vorjahr 125.000 Jobs abgebaut wurden. Zum Vergleich: Im Februar 2024 hatte die Zahl der Industriearbeitsplätze in der gleichen Zeitspanne „nur“ um 32.000 abgenommen.
Eine Ausnahme ist die Rüstungsindustrie. Mit der sogenannten „Zeitenwende“ sind die Militärausgaben in Deutschland und der EU deutlich gestiegen. Entsprechend wird bei Rüstungsschmieden nach qualifiziertem Personal gesucht. Dies scheint auch eine jüngst veröffentlichte Analyse von Indeed zu bestätigen. „Der europäische Stellenmarkt schrumpft seit Mitte 2022“, so Virginia Sondergeld, Ökonomin und Arbeitsmarktexpertin der Jobplattform. In der Rüstungsindustrie laufe der Trend allerdings in die entgegengesetzte Richtung und mit der Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben in Deutschland und weiteren erwarteten Investitionen dürfte die Rüstungsbranche auch künftig ein wichtiger Jobmotor in Europa bleiben, prophezeit Sondergeld.
So bot Rheinmetall Beschäftigten aus dem Continental-Bremsenwerk in Gifhorn an, in eine Munitionsfabrik zu wechseln. Auch der Rüstungskonzern Hensoldt schielt auf Beschäftigte von Continental und Bosch, deren Jobs von Rationalisierung bedroht sind. Das Management des Renk-Konzerns freut sich, dass Ingenieure künftig Getriebe für Militär- statt Zivilfahrzeuge konstruieren werden. Und der deutsch-französische Panzerbauer KNDS hat zuletzt das vor dem Aus stehende Werk des Bahntechnik-Konzerns Alstom in Görlitz übernommen. Dort will er gut die Hälfte der 700 Mitarbeiter weiterbeschäftigen.
Ein Jobwechsel in ein Rüstungsunternehmen stellt für einen relevanten Teil der über sieben Millionen Industriearbeiter jedoch keine reale Perspektive dar. Dafür ist die Branche schlicht zu klein. Aktuell sind laut Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) bei den Endherstellern an deutschen Standorten circa 60.000 Menschen beschäftigt. Einschließlich der Zulieferer kommt das arbeitgebernahe Institut auf rund 150.000 Beschäftigte.
Diese Zahlen verdeutlichen, dass das Gerede vom „Jobmotor Rüstungsindustrie“ lediglich dazu dient, all diejenigen, die um ihren Arbeitsplatz bangen, für den Kriegskurs zu begeistern. Umso wichtiger ist es, dass sich die Gewerkschaften nicht in ein neues 1914 einbinden lassen.