Es hätte jeder wissen können, dass Grausames bevorsteht. „Triumphiert, macht sie fertig, lasst niemanden zurück. Löscht die Erinnerung an sie aus. Löscht sie aus, ihre Familien, Mütter und Kinder. Diese Tiere dürfen nicht weiterleben. Jeder Jude mit einer Waffe soll hinausgehen und sie töten. Wenn du einen arabischen Nachbarn hast, warte nicht, geh zu ihm und erschieße ihn (…) Wir wollen hineingehen und zerstören.“ Das äußerte am 11. Oktober 2023, zu Beginn des bis heute andauernden aktuellen Gazakriegs, ein israelischer Armeereservist in Uniform vor laufender Kamera. Er war damit keinesfalls allein. Zahlreiche solcher Zitate von Soldaten, die in den letzten eineinhalb Jahren im Gazastreifen ein kaum vorstellbares Maß an Zerstörung angerichtet, Menschen ermordet und Häuser geplündert haben, sind bekannt geworden.
Aber auch auf oberster politischer Ebene fielen und fallen bis heute ungezählte Äußerungen, die den für die Einstufung als Völkermord notwendigen Vorsatz belegen und verdeutlichen, dass es sich von Anfang an um einen Krieg gegen Zivilisten handelte.
„Wir werden ihnen das Rückgrat brechen“, sagte Israels Präsident Jitzchak Herzog, ebenfalls im Herbst 2023. Denn es sei „[…) eine ganze Nation da draußen, die verantwortlich ist. Es ist nicht wahr, dass die Zivilisten nichts wissen und nicht beteiligt sind. Es ist absolut nicht wahr.“ Der damalige Energieminister und heutige Verteidigungsminister Israel Katz kündigte die erste Vollblockade des Gazastreifens mit den folgenden Worten an: „Kein Tropfen Wasser, keine Strombatterie, bis sie aus der Welt scheiden.“ Der frühere Verteidigungsminister Joav Gallant, gegen den wie auch gegen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vorliegt, bezeichnete die Palästinenser als „menschliche Tiere“, die „beseitigt werden“ müssten. Der stellvertretende Parlamentssprecher Nissim Vaturi sprach von einem „gemeinsamen Ziel, den Gazastreifen vom Erdboden zu tilgen.“ Ein ehemaliger Parlamentsabgeordneter meinte, in Gaza seien „sie alle Terroristen, Hundesöhne, ohne Ausnahme. Sie müssen ausgelöscht werden, alle getötet werden. Wir werden Gaza plattmachen, zu Staub verwandeln.“ Und Israels Minister für kulturelles Erbe, Amichai Elijahu von der ultrarechten Partei Otzma Jehudit, legte Israel gar nahe, eine Atombombe auf Gaza abzuwerfen, und sagte, es gebe dort keine „nicht involvierten Zivilisten“.
Auch Ministerpräsident Netanjahu hat seine genozidalen Absichten geäußert. Zu Beginn des Gazakriegs zitierte er im Fernsehen die Bibel: „Ihr müsst euch erinnern, was Amalek euch angetan hat, sagt unsere heilige Schrift.“ Damit verwies er auf einen im fünften Buch Mose enthaltenen Verweis auf den Überfall des Volks Amaleks auf die Juden. Gott gebietet dem Volk Israel, die Amalekiter auszurotten, sobald es auf dem ihm von Gott geschenkten Land Zuflucht und Sicherheit gefunden habe. Netanjahu sprach zudem in Zusammenhang mit der aktuellen, Mitte März begonnenen Offensive im Gazastreifen von „abschließenden Maßnahmen“.
Der Vorsatz, der ein wichtiges Kriterium bei der Einstufung als Völkermord, dem schwerstmöglichen Vorwurf im internationalen Völkerstrafrecht, ist, kann anhand der Äußerungen hochrangiger Regierungsvertreter gut belegt werden. Seit Oktober 2023 begeht Israel mindestens drei der fünf Handlungen, die in der Völkermordkonvention aufgezählt werden: seine Armee tötet Mitglieder einer in diesem Fall ethnischen beziehungsweise nationalen Gruppe, sie verursacht schweren körperlichen oder seelischen Schaden an Mitgliedern dieser Gruppe und der (ethnischen beziehungsweise nationalen) Gruppe werden vorsätzlich Lebensbedingungen auferlegt, die dazu geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen.
Über 55.000 Menschen sind nach offiziellen Zahlen inzwischen im Gazakrieg getötet worden, 70 Prozent davon Frauen und Kinder. Allerdings haben Spezialisten im britischen medizinischen Journal „The Lancet“ bereits im Juni 2024 darauf hingewiesen, dass bereits zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich mindestens 186.000 Todesopfer zu beklagen waren, wenn man die Verschütteten und wegen mangelnder Nahrung, fehlender medizinischer Versorgung und nicht vorhandenem Wohnraum Verstorbenen dazuzählt. Israel hat die gesamte Küstenenklave in Schutt und Asche gelegt.
Ein UN-Bericht warnt, dass der Wiederaufbau bei anhaltender Besatzung 350 Jahre dauern könnte.
Der allergrößte Teil der Wohnhäuser ist zerstört und über 90 Prozent der Schulen und Universitäten zerbombt. Die israelische Armee missbraucht Schulen als Militärbasen, ein Teil des Campus der Al-Azhar-Universität wurde zu einer Synagoge für israelische Truppen umfunktioniert. Zudem ist über die Hälfte der religiösen Stätten in Gaza beschädigt oder zerstört. Die meisten Gesundheitseinrichtungen sind nicht mehr in Betrieb, über tausend Mitarbeiter im Gesundheitswesen wurden getötet und weitere festgenommen. Es steht außer Zweifel, dass es sich um vorsätzliche Angriffe auf das Gesundheitswesen genau wie auf die schulische Infrastruktur handelt. Auch ist ein Großteil der landwirtschaftlichen Flächen im Gazastreifen zerstört worden, genau wie zahlreiche Wasserreservoire. Die Böden sind verseucht. Ein UN-Bericht warnt, dass der Wiederaufbau bei anhaltender Besatzung 350 Jahre dauern könnte.
Auf immer kleiner werdendem Raum werden die Menschen zusammengepfercht. Laut dem Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, UN-OCHA, liegen inzwischen über 80 Prozent des Gazastreifens in der von Israel militärisch besetzten Zone, unterliegen Vertreibungsbefehlen oder überschneiden sich mit diesen. Allein seitdem Israel den Waffenstillstand Mitte März 2025 gebrochen hat, wurden nach Angaben der Vereinten Nationen erneut über 640.000 Menschen vertrieben.
Seit Oktober 2023 setzt Israel Hunger als Waffe ein und begeht damit ein grausames Kriegsverbrechen, das längst als Teil eines Genozids bezeichnet werden muss. UN-OCHA bezeichnet Gaza als „hungrigsten Ort der Welt“, 100 Prozent der Bevölkerung seien von einer Hungersnot bedroht, die meisten Hilfslieferungen werden immer noch nicht hereingelassen oder können aus Sicherheitsgründen nicht einfahren. Die private israelisch-US-amerikanische und von Sicherheitsfirmen betriebene Gaza Humanitarian Foundation, die jetzt in Kooperation mit Israel angeblich die Not lindern soll, wird zu Recht von den Vereinten Nationen und internationalen Hilfsorganisationen abgelehnt. Nicht nur dient die Stiftung letztlich dazu, diejenigen, die seit Jahrzehnten humanitäre Hilfsgüter verteilen und in diesem Bereich über immense Erfahrung verfügen, aus der Versorgung der Bevölkerung in Gaza herauszuhalten. Nach den Plänen der Gaza Humanitarian Foundation sollen die Hungerleidenden zudem lange Wege, auch durch Kampfgebiete, zurücklegen, um an Nahrungsmittel zu gelangen – oder aber sie müssen ihre Wohngebiete verlassen, um in die Nähe der Verteilzentren zu ziehen, und werden somit indirekt vertrieben. Mit Hilfe von Gesichtserkennungstechnologie werden an ausgewählte Personen Rationen in Hungermengen ausgegeben. Wie eine Gruppe von NGOs treffend festgestellt hat, handelt es sich um einen „humanitären Deckmantel für eine militärische Strategie der Kontrolle und Enteignung“. Ein UN-Vertreter sagte, die Stiftung sei eine „Ablenkung von dem, was nötig ist“ – nämlich umgehend alle Grenzübergänge zu öffnen. Der Chef der Stiftung selbst ist zurückgetreten, weil es mit dieser nicht möglich gewesen sei, die humanitären Grundsätze der Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit einzuhalten.
UN-OCHA bezeichnet Gaza als „hungrigsten Ort der Welt“,
100 Prozent der Bevölkerung seien von einer Hungersnot bedroht.
Die Bilder von verhungernden Menschen, die nur noch aus Haut und Knochen bestehen, lassen einen erschauern. Schon im März 2024 machten Nachrichten von trotz medizinischer Behandlung verhungerten Kindern die Runde. Und noch weit früher, im Dezember 2023, hatten die Vereinten Nationen Alarm geschlagen, weil schon zu diesem Zeitpunkt 600.000 Menschen kurz vor dem Verhungern standen. Heute ist die Lage noch weit fataler. Täglich sterben Menschen, sowohl im Bombenhagel, aber auch, weil ihnen Nahrungsmittel, Trinkwasser und Medikamente vorenthalten werden. Der Horror, den Israel in Gaza angerichtet hat, übersteigt selbst das, was die genozidalen Äußerungen im Oktober 2023 erahnen ließen.
Der israelische Krieg beschränkt sich keinesfalls auf Gaza. Die Armee ist immer noch nicht aus dem Libanon abgezogen. Extremistische Siedler sehen ihren Traum längst in greifbarer Nähe, dort Siedlungen zu errichten und ein Groß-Israel zu schaffen, von dem schon die Gründungsväter des Zionismus sprachen. In Syrien hat man – mit freundlicher Genehmigung der vom Westen, den Golfstaaten, der Türkei und Israel beförderten Terroristen-„Regierung“ inzwischen neun Militärstützpunkte errichtet, kontrolliert 30 Prozent der syrischen Wasserversorgung und große Teile syrischen Gebiets. Der Al-Kaida- und IS-Terrorist Abu Muhammad al-Dscholani, der sich inzwischen mit seinem bürgerlichen Namen Ahmed al-Scharaa ansprechen lässt, seinen Bart gestutzt und die Kampfmontur gegen einen Anzug getauscht hat, möchte die Beziehungen mit Israel „normalisieren“. In Tel Aviv haben bereits Treffen zwischen Verteidigungsbeamten beider Seiten stattgefunden. Massiv gehen die syrischen „Sicherheitskräfte“ seit der Machtübernahme im Dezember 2024 gegen palästinensische Widerstandsorganisationen vor. Für Israels völkerrechtswidrigen Angriff auf den Iran in der Nacht zum 13. Juni öffnete al-Scharaa Syriens Himmel für die Kampfjets, nachdem er eine Woche zuvor erklärt hatte, Syrien und Israel hätten „gemeinsame Feinde“.
Außenminister Wadephul:
„Israel hat das Recht zur Selbstverteidigung.“
Dass sich am Kurs der deutschen Politik nichts geändert hat, obwohl man seit einigen Wochen versucht, anderes zu suggerieren, wurde spätestens nach dem israelischen Angriff auf den Iran deutlich. Bundeskanzler Friedrich Merz verurteilte die Attacke nicht. Er verwies stattdessen darauf, wie gefährlich das iranische Atomprogramm sei und dass der Iran seinen Verpflichtungen zu dessen Offenlegung nicht nachkomme. Außenminister Johann Wadephul betrieb die übliche Täter-Opfer-Umkehr, indem er die iranischen Gegenangriffe „aufs Schärfste“ verurteilte. Hier zeigt sich, was schon zuvor in Bezug auf den Gazakrieg offensichtlich war: zwar kommen neuerdings in den Medien auch kritische Stimmen zu Wort, ohne gleich als antisemitisch diffamiert zu werden, aber sie bleiben folgenlos. Von der Partei „Die Linke“, die bislang durch Zurückhaltung oder höchst fragwürdige Statements aufgefallen ist, über die SPD, aus der jetzt Stimmen nach einem Rüstungsexportstopp nach Israel ertönen, und der Grünen-Chefin Franziska Brantner, die Sanktionen gegen die rechtsextremen Siedler-Minister Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir fordert, bis hin zu Merz, der auf einmal „Unverständnis“ gegenüber der israelischen Kriegsführung äußert, geht man verbal auf Distanz. Tatsächliche Konsequenzen bleiben allerdings aus. Außenminister Wadephul will die Lieferung solcher Waffen überprüfen, die auch in Gaza eingesetzt werden könnten. Ansonsten müsse man Israel, das von Feinden umgeben sei, natürlich „verteidigungsfähig“ machen. Und auch bei den laufenden, breit getragenen Bestrebungen, das EU-Israel-Assoziierungsabkommen auszusetzen oder zumindest zu überprüfen, bremst die Bundesregierung. Man werde dies nicht unterstützen, so Wadephul.
Ein nachhaltiger Wandel in deutschen Medien und bundesdeutscher Politik ist höchst unwahrscheinlich. Die derzeitigen Distanzierungen von der israelischen Kriegs-, Vertreibungs-, Enteignungs-, Entrechtungs-, Besatzungs-, Annexions- und Apartheidpolitik lassen viel mehr die Sorge entstehen, dass die israelische Regierung noch weit Schlimmeres vorhaben könnte als das, was sie die letzten eineinhalb Jahre bereits unter den Augen der Weltöffentlichkeit getan – und was diese unter Missachtung ihrer Verantwortung und der Grundprinzipien der Menschlichkeit viel zu leise hingenommen hat.