Von der „Kongo-Konferenz“ vor 140 Jahren bis zur Unterstützung des Genozids in Gaza: Die Triebkräfte des deutschen Imperialismus wirken kontinuierlich. Diese unselige Tradition beleuchtet die Marx-Engels-Stiftung mit einer Tagung, die am 18. und 19. Oktober 2025 in Stuttgart stattfindet. Hermann Kopp und Peter Krämer haben sie organisiert. UZ sprach mit ihnen über ihre Beweggründe und das, was Teilnehmer erwarten dürfen.
UZ: Deutschland hat seine Kolonien recht früh verloren. Was hat euch dazu bewogen, diese Tagung zu organisieren?
Peter Krämer: Gerade jetzt, wo in Gaza ein Völkermord stattfindet, an dem die BRD beteiligt ist, ist das wichtig. Wir wollen die Kontinuität des deutschen Imperialismus aufzeigen. Das ist für mich ein wesentlicher Punkt der Geschichte.
Hermann Kopp: Der deutsche Imperialismus – das ist ja nicht ganz Deutschland. Das sind die deutschen Kräfte, die heute wieder ganz Deutschland dominieren. Das heißt: Die deutschen Konzerne, eine Regierung, die inzwischen für ganz Deutschland zu sprechen vorgibt, seit der so genannten Wiedervereinigung. Ebenso wie 1920 oder 1925.
UZ: Die BRD ist selbsternannter „Erinnerungsweltmeister“. Haben wir unsere Geschichte nicht gründlich aufgearbeitet?
Peter Krämer: (Lacht) Ganz offensichtlich nicht. Die Geschichte ist in der Bundesrepublik nie aufgearbeitet worden. Denk nur daran, wie schon kurz nach 1945 Nazis wieder in Amt und Würden gekommen sind. Oder daran, wie man die ganz harten Kriegsverbrecher ins Ausland gebracht hat, nach Argentinien zum Beispiel. Übrigens hatte selbst das später wieder Einfluss auf bundesdeutsche Politik. Es hat nie eine wirkliche Aufarbeitung dieser kolonialistischen Politik gegeben.
Hermann Kopp: Die Rede vom „ersten Völkermord im 20. Jahrhundert“, dem deutschen Völkermord an Herero und Nama in Namibia, ist von einem DDR-Historiker aufgebracht worden. Der ist zum ersten Mal von der DDR anerkannt worden. Inzwischen ist davon auch in der Bundespolitik die Rede, dass der erste Völkermord im 20. Jahrhundert von Deutschland im heutigen Namibia begangen worden ist.
Es war auch die DDR, die die Geschichte des deutschen Faschismus als erste aufgearbeitet hat, in einer Art und Weise, die die Kontinuität deutscher Expansionspolitik deutlich macht. Etwa in dem Braunbuch, dessen Veröffentlichung in der BRD zunächst verboten war, trotz der belegten Fakten da drin.
Peter Krämer: Ich bin ja nun auch älter. Als ich in die Schule ging in den 1960er Jahren, gab es bei uns in der Schulbibliothek noch Bücher, die die koloniale Vergangenheit verherrlichten. Zum Beispiel habe ich noch mit großem Interesse „Meine Erinnerungen aus Ostafrika“ von Paul von Lettow-Vorbeck gelesen. Diese Beeinflussung hat sehr früh angefangen in der Bundesrepublik, beziehungsweise ist sie gar nicht erst geendet.
UZ: Was unterscheidet den deutschen Imperialismus von anderen Imperialismen?
Hermann Kopp: Seine Besonderheit ist, dass er nach eigenem Verständnis zu spät gekommen ist. Er erkämpfte sich seinen „Platz an der Sonne“ unter Kaiser Wilhelm II. unter besonders schwierigen Bedingungen. Deshalb ging er in vielen Fällen noch brutaler vor als andere Imperialisten mit ihrer Kolonialpolitik. Deshalb dieser erste Völkermord, deshalb diese berühmt-berüchtigte „Hunnenrede“ von Kaiser Wilhelm II., die damals selbst unter deutschen Diplomaten umstritten war, weil sie eben Klartext sprach, aber nur über die Zielsetzung der deutschen Expansion in China. Die Grundstruktur des Imperialismus, ob nun deutscher, französischer, britischer oder US-amerikanischer, war in allen Ländern mehr oder weniger dieselbe.
UZ: Die Marx-Engels-Stiftung sitzt in Wuppertal. Warum findet diese Tagung in Stuttgart statt?
Peter Krämer: Mit dem Clara-Zetkin-Haus haben wir hier einen schönen Veranstaltungsort.
Hermann Kopp: Dazu kommt, dass Peter Krämer in Stuttgart und Umgebung dafür gesorgt hat, dass es dort eine funktionierende Gruppe von Mitgliedern der Marx-Engels-Stiftung gibt, die solche Tagungen unterstützen und dafür mobilisieren.
UZ: Die Tagung erstreckt sich über zwei Tage. Lohnt sich die Teilnahme, wenn man nur an einem der beiden Tage Zeit hat?
Peter Krämer: Auf jeden Fall. An beiden Tagen sprechen jeweils vier Referenten. Samstagabend zeigen wir dazu noch den Film „Der Lachende Mann. Bekenntnisse eines Mörders“ von Heynowski und Scheumann.
Hermann Kopp: Ich empfehle, an beiden Tagen teilzunehmen. Die Marx-Engels-Stiftung bezuschusst die Übernachtung in der Jugendherberge für SDAJ-Mitglieder und Teilnehmer, die wenig Geld haben. Zumal unser Hauptinteresse ja ist, deutlich zu machen, dass sich der heutige deutsche Imperialismus, der sich als „feministisch“ bezeichnet und auf seine Brunnenbohrerei verweist, in seinen Grundtendenzen nicht unterscheidet von dem der Kolonialzeit.
Übrigens konnten wir für den letzten Vortrag am Sonntag Wieland Hoban gewinnen, den Vorsitzenden der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost. Also einen Vertreter einer jüdischen Organisation, der von unseren hiesigen Israelfreunden als „antisemitisch“ bezeichnet wird. Überhaupt kommen eine ganze Reihe interessanter Referenten.
Weitere Infos und Hinweise zur Anmeldung gibt es auf der Website der Marx-Engels-Stiftung.
Das Programm als PDF: