Was tun in Sachsen?

Markus Bernhardt im Gespräch mit Klaus Bartl

Klaus Bartl ist rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Sächsischen Landtag und deren stellvertretender Vorsitzender.

Klaus Bartl ist rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Sächsischen Landtag und deren stellvertretender Vorsitzender.

UZ: Am 16. März 2016 hat der sächsische Landtag mit den Stimmen von CDU, SPD und AfD die Immunität Ihrer Fraktionskollegin Juliane Nagel aufgehoben. Der Vorwurf lautet, sie habe zu Straftaten aufgerufen, indem sie gefordert habe Naziaufmärsche „in gemeinsamen und gewaltfreien Aktionen“ zu verhindern. Wie stehen Sie zu den Vorwürfen?

Klaus Bartl: Die Vorwürfe sind absurd. Das sage ich in Kenntnis der Aktenlage auch als Julianes Anwalt. Natürlich ist es vollkommen legitim, zu gewaltfreien Protesten der unterschiedlichsten Form gegen Aufmärsche von Nazis, aber auch anderen offen rassistisch und menschenverachtend agierenden Strukturen wie der Leipziger „Legida-Gemeinschaft“ aufzurufen. Juliane Nagel war eine der Sprecherinnen des breiten Bündnisses aus Gewerkschaften, Studierenden, Parteien, Kirchen und anderen Bereichen der Zivilgesellschaft, welches sich unter der Losung „Leipzig nimmt Platz“ organisiert hat. Die gegen vier gleich ihr zunächst Beschuldigte aus dem gleichen Grund eingeleiteten Ermittlungsverfahren, wurden sämtlich durch die Staatsanwaltschaft wieder eingestellt, kürzlich erst das gegen die Bundestagsabgeordnete Monika Lazar (Bündnis 90/Die Grünen). Ich halte das Vorgehen der Behörden gegen Juliane Nagel für höchst konstruiert, schändlich und für politisch missbräuchlich.

UZ: Tatsächlich ist es nicht das erste Mal, dass die Behörden gegen Nazigegnerinnen und -gegner vorgehen …

Klaus Bartl: Nein, derlei gehört im Freistaat seit Jahren zum Alltag. Ich darf in diesem Zusammenhang etwa an die massive Repression erinnern, denen die Antifaschisten zum Opfer fielen, die über Jahre hinweg gegen den einst größten europäischen Naziaufmarsch in Dresden mobil machten und diesen mehrfach erfolgreich verhinderten. Die Justiz ging schon damals rigoros gegen engagierte Bürgerinnen und Bürger, darunter auch verschiedene Bundestags- und Landtagsabgeordnete vor, die genau die Zivilcourage gegen den braunen Spuk aufbrachten, die der sächsische Ministerpräsident Tillich nunmehr im Licht von Freital, Heidenau, Clausnitz und Bautzen in der jüngsten Sonderlandtagssitzung forderte. Am Ende dieser bemerkenswerten Repressionsserie platzten die allermeisten Verfahren.

UZ: Warum gehen die sächsischen Behörden derart überengagiert gegen Antifaschisten vor, lassen Neonazis und militante Rassisten jedoch kontinuierlich nahezu ungestört agieren?

Klaus Bartl: Das hat auch etwas mit der gesellschaftspolitischen Grundstimmung in Sachsen zu tun. Die sächsische CDU war immer ein Hort reaktionärer Politikkonzepte. 25 Jahre Landespolitik unter CDU-Führung sind nicht spurlos an der Bevölkerung vorüber gegangen. Auch zwei Legislaturperioden NPD-Präsenz im Parlament sind nicht ohne Wirkung geblieben. Von latenten Demokratiedefiziten in den sächsischen Behörden will ich gar nicht erst reden. Jedenfalls bin ich froh, dass aktuell keine Landtagswahlen in Sachsen anstehen.

UZ: Warum?

Klaus Bartl: Weil ich dann fürchten müsste, dass nicht nur die weitestgehend offen rassistisch agierende AfD mit einem Wahlergebnis à la Sachsen-Anhalt in den Landtag einziehen würde, sondern gleich noch die neofaschistische NPD mit einem satt über fünf Prozent liegenden Stimmenanteil dazu. Und dann haben wir noch unsere CDU, die im Gegensatz zur Bundespartei in Sachsen wohl auch schon als national-konservativ bezeichnet werden muss.

In der Konsequenz ist das Ansehen der Politik und der Politiker in der Bevölkerung hier immer mehr auf den Hund gekommen. Den so aufgestauten Frust, gepaart mit einem offenkundig noch vorhandenen Rest archaischen, völkischen und selbstmitleidigen Denkens und einem vom Patriotismus zum sächsischen Chauvinismus gewechselten Pathos bekommen die in Sachsen Schutz und Unterkunft suchenden Geflüchteten jetzt allzu oft zu spüren.

UZ: Vor welchen Herausforderungen steht Ihre Partei vor diesem Hintergrund?

Klaus Bartl: Unter anderem müssen wir als Linke aufpassen, nicht noch mehr Wählerinnen und Wähler an die AfD zu verlieren. Die Linke wird zunehmend als Teil des Problems und nicht als Lösung begriffen. Daher ist es wichtig, sich neu zu sortieren und die notwendigen politischen Konsequenzen zu ziehen.

UZ: Welche wären das?

Klaus Bartl: Wir müssen die Partei sein, die als „Kümmerer“ wahrgenommen wird und die die Sorgen und Nöte der Menschen ernst nimmt. Vor allem müssen wir all jene zurück- oder neu gewinnen, die in diesem reichen Land in dieser oder jener Form prekärer Lebensverhältnisse ausgesetzt sind. Die soziale Frage gehört wieder deutlich in den Mittelpunkt unserer Politik. Aktuell führen wir derlei Debatten in unserer Fraktion. Unser Fraktionsvorsitzender Rico Gebhardt hat dazu vor wenigen Tagen ein Grundsatz- und Strategiepapier veröffentlicht. Darin wird eben genau das gefordert. Fernab davon brauchen wir – dringend, wie in keinem anderen Bundesland – einen Kulturwechsel. Die Arroganz der Macht, die die CDU vor sich herträgt und der ihr Koalitionspartner, die SPD, leider wenig entgegensetzt, ist unerträglich.

Hinzu kommt, dass wir klar machen, dass Personen, die Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte verüben und Flüchtlinge oder ihre Helferinnen und Helfer attackieren, den demokratischen Konsens aufkündigen und außerhalb der Verfassungsordnung agieren. Diese Grenze muss viel deutlicher aufgezeigt werden. Da haben auch Polizei und Justiz in Sachsen noch einiges nachzuholen. Auch die Sachsen selbst müssen lernen und leben, dass es auch im Freistaat keinen Freibrief für rassistische Hetze gibt. Jeder Langmut, jedes auch nur verbale Herunterspielen mit Begrifflichkeiten wie „asylkritisch“ sind da völlig fehl am Platz. Wenn grundlegende Werte menschlichen Anstands und einander geschuldeten Respekts mit derartiger Trefferdichte im alltäglichen Leben nicht mehr gelten und essentielle Staatsfundamentalgrundsätze wie etwa das Rechtsstaats- und das Demokratieprinzip suspendiert sind, staatliche Institutionen faktisch nur noch mit Aufräumarbeiten hinterherhecheln, ist ein Fall klassischen Politikversagens eingetreten.

UZ: Was kann dieser Entwicklung entgegengesetzt werden?

Klaus Bartl: Was wir brauchen ist ein Weckruf auch an die Verantwortung einer jeden Bürgerin und eines jeden Bürgers, das abzuwehren. Die da verbal oder körperlich auf Flüchtlinge und die hiesigen Menschen, die ihnen helfen wollen, eindreschen, die sich daran weiden, die Angst in den Augen der Kinder, der Frauen, der Familien der Flüchtlinge zu sehen und auf das Trauma, unter dem sie ohnehin unter den Wirkungen der Flucht und ihrer Gründe leiden, noch eins draufsetzen, die skrupellos johlen, wenn von öffentlicher oder privater Hand geschaffene Flüchtlingsunterkünfte lichterloh brennen, können und dürfen nicht „das Volk“ sein.

Daher brauchen wir ein unverzüglich dem Landtag vorzulegendes Gesamtkonzept für den Freistaat Sachsen, wie wir zeitnah die komplexen Problemlagen bei der menschenwürdigen Aufnahme, Unterbringung und Integration endlich lösen sowie die künftige Teilhabe der in Sachsen ankommenden geflüchteten Menschen gewährleisten. Unsere Fraktion erbringt ihren Anteil jetzt zunächst mit einem dieser Tage in den Geschäftsgang des Landtages zu bringenden Flüchtlingsaufnahmegesetz, dessen Entwurf wir in einer Fraktionsklausur Mitte vergangener Woche eingehend beraten haben.

Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, schnellstens und nachhaltig darzustellen und zu sichern, dass schlicht und einfach jedweder Angriff und Übergriff auf, jedwede Überheblichkeit und Geringschätzung gegenüber mit uns gemeinsam in Sachsen lebenden Geflüchteten, Migrantinnen und Migranten ein „No go“ ist. Das ist übrigens keine Heraushebung, denn jeder von uns, jede Sächsin, jeder Sachse beansprucht selbstverständlich und zu Recht, vor Gewalttätigkeiten, vor Bedrohungen, Beschimpfungen, Beleidigungen und behördlichen Ruppigkeiten geschützt zu werden.

Außerdem brauchen wir endlich wieder eine verlässliche Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des demokratischen, den Grundrechten und Menschenrechten verpflichteten Rechtsstaats in Sachsen, der nicht und nirgendwo zurückweichen darf, wenn im Zusammenhang mit der Flüchtlingssituation rechtswidrig gehandelt wird.

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"Was tun in Sachsen?", UZ vom 1. April 2016



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