„Die Frau auf Kuba hat Macht“

Melina Deymann im Gespräch mit Gladys Ayllón

In der UZ-Redaktion: Gladys Ayllón (l.) mit Petra Wegener, Vorsitzende der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba, die das Gespräch übersetzte.

In der UZ-Redaktion: Gladys Ayllón (l.) mit Petra Wegener, Vorsitzende der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba, die das Gespräch übersetzte.

Interview mit Gladys Ayllón, Leiterin der Europaabteilung des direkt nach der Revolution von Fidel Castro gegründetem Kubanischen Instituts für Völkerfreundschaft (ICAP).

UZ: Rámon Rápoll, der kubanische Botschafter in Deutschland, hat sich verwundert gezeigt, dass Frauen in Deutschland immer noch weniger verdienen als Männer. In Kuba ist die Frau ökonomisch gleichgestellt. Wo gibt es noch etwas zu tun in Fragen der Gleichberechtigung?

Gladys Ayllón: Wie jede Kubanerin glaube ich, es ist unsere Pflicht, deutlich zu machen, warum die kubanische Revolution besteht, wenn wir ins Ausland reisen. Trotz aller Verleumdungen und aller Diffamierungen die es gibt, besteht die kubanische Revolution weiter und sie wird weiter bestehen. Und ich spreche von der Revolution nicht als von etwas Systemischem, sondern von Erfolgen, die das Volk errungen hat.

Eine der ersten Schlachten, die wir geschlagen haben – wirklich eine der ersten –, war die für die Emanzipation der Frau. Und das in einem unterentwickelten lateinamerikanischen Land, das vom „Machismo“ durchdrungen war.

Vor 1959, vor der Revolution, war eine Frau im schlimmsten Fall nur ein Sexualobjekt. Und in diesem Land war das erste, was wir getan haben, dass wir die Frauen aus den den Häusern rausgeholt haben, aus dem Kreislauf von Hausarbeit und Kindererziehung. Schnell wurden Manufakturen wie Schneider- und Nähwerkstätten eingerichtet, um den Frauen Arbeit zu ermöglichen.

Wir hatten das Glück, dass die Kubanische Frauenföderation gegründet wurde und Celia Sanchez ihre erste Vorsitzende war. Sie war diejenige, die ganz besonders für die Frauenrechte eingetreten ist und besonders für die Frauen auf dem Land. Die ganze Alphabetisierung auf Kuba lag fast ausschließlich in den Händen der Frauen. Nicht nur diejenigen, die als LehrerInnen gearbeitet haben, sondern besonders diejenigen, die diese Kampagne vorangetrieben haben, waren Frauen. Junge Frauen verließen das erste Mal ohne Erlaubnis ihres Vaters das Haus, was bis dahin nicht üblich war.

Nach und nach hat sich diese Entwicklung fortgesetzt und man kann heute sagen: die Frau auf Kuba hat Macht. Sie hat dieselben gesellschaftlichen und juristischen Rechte, dieselben Bürgerrechte wie der Mann. Das heißt, sie sind auf derselben „Wettbewerbsebene“ wie der Mann und auch von den ihnen zugeschrieben Fähigkeiten her auf derselben Stufe.

Schauen wir uns die bevorstehenden Parlamentswahlen an. 53 Prozent der KandidatInnen sind Frauen. Kuba steht weltweit an zweiter Stelle, was den Anteil an Frauen im Parlament betrifft. In Kuba ist sind auch die Mehrheit derjenigen, die einen Hochschulabschluss machen, Frauen. Der Frauenverband organisiert nach wie vor Kampagnen zur gesellschaftlichen Anerkennung der Frau. Wir haben eine große Aufklärungskampagne gegen verdeckte, nicht körperliche Gewalt, in der Frauen aufgefordert werden, Schutz in frauen- und familienunterstützenden Zentren zu suchen, die es bei uns in allen Kreisen gibt.

Über kubanische Frauen kann man viel erzählen: Frauen in der Wissenschaft, Ministerinnen, Frauen in hohen militärischen Rängen, aber leider ist unsere Zeit ja begrenzt.

UZ: Nach der Revolution, als viele Länder die diplomatischen Beziehungen zu Kuba mehr oder weniger abgebrochen haben, wurde dein Institut gegründet und Fidel Castro hat es als Kubas „Tor zur Welt“ bezeichnet. Was sind heute eure Aufgaben?

Gladys Ayllón: Ich glaube, das war eine der großen Visionen, die Fidel gehabt hat. Es war das Ergebnis eines Besuches von Fidel in den USA im März 1960. Er hat dort die große Bewunderung der Menschen für den Prozess in Kuba bemerkt, gleichzeitig hatte die US-Regierung schon begonnen, Kuba in die Isolierung zu drängen. Und so ging es dann ganz schnell, dass im Dezember 1960 das ICAP gegründet wurde. Seine Aufgabe war von seiner Gründung an klar: Kuba so nah wie möglich an allen Völkern dieser Welt zu halten. Das war die erste große Abteilung internationaler Arbeit, die wir in Kuba hatten, in den einzelnen Ministerien gab es solche Abteilungen zu dem Zeitpunkt noch nicht. So waren es also die Mitarbeiter des ICAP die an der Seite der großen Revolutionsführer die Menschen empfangen haben, die nach Kuba kamen, um die Entwicklung mit eignen Augen zu sehen.

Das war der Auslöser für die Gründung der vielen Freundschaftsgesellschaften und Solidaritätskomitees. Die Leute sind nach Kuba gekommen und haben mitgemacht bei Zuckerrohrernten, bei Bauarbeiten für Schulen und Krankenhäuser. Kuba war dabei völlig offen und transparent und hat den Menschen die Lage so gezeigt wie sie war. Als die Besucher dann festgestellt haben, dass tatsächlich eine neue Gesellschaft, ein neues Land aufgebaut wurde, haben sie das mitgenommen und konnten das übermitteln. Diese Freundschafts- bzw. Soli-Bewegung war quasi mit dabei bei der Entstehung dieser neuen Gesellschaft als es die Versuche gab, dieses Land von der Welt zu isolieren. Sie war dabei, als versucht wurde, diese neue Gesellschaft wieder zu beseitigen. Deshalb besteht sie so lange.

Von 1960 bis heute bestehen die großen Aufgaben des ICAP weiterhin darin, gegen die großen medialen Hetzkampagnen und alle imperialistischen Angriffe gegen uns zu arbeiten. Wir sind eine gesellschaftliche Organisation, eine soziale Bewegung. Trotzdem ist es so, dass wir der Linie unserer Partei, der Kommunistischen Partei Kubas, folgen. Die zentralen Kampagnen des ICAP sind immer darauf gerichtet, die Errungenschaften der Revolution zu verteidigen. Im Moment initiieren und unterstützen wir zum Beispiel Aktionen, die das Ziel haben, die mörderischen Auswirkungen der Blockade deutlich zu machen. Nicht nur die Auswirkungen auf die kubanische Bevölkerung, sondern auch die internationalen Auswirkungen.

UZ: Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat gerade Kuba besucht und es gibt zwischen Kuba und der EU ein Abkommen über politischen Dialog und Zusammenarbeit. Wie sieht diese Zusammenarbeit aus?

Gladys Ayllón: Bevor dieses Abkommen unterzeichnet worden ist, gab es sehr viele Verhandlungen – mit der Umsetzung dieses Abkommens wurde bereits begonnen. Nun war Mogherini in Kuba und das Wichtigste bei ihrem Besuch war ihre Aussage, dass die EU weiterhin gegen die illegale Blockade kämpfen wird.

Was Kuba sich erhofft und erwartet, ist, dass es tatsächlich eine gemeinsame Position der EU dazu gibt. Bisher können Banken immer noch keine freien Überweisungen nach Kuba vornehmen. Seit der Zeit der Präsidentschaft Barack Obamas ist es sogar so, dass es unter den Banken panische Angst gibt, was Überweisungen nach Kuba angeht. Ich erwähne hier Obama, weil die Trump-Regierung natürlich schlimmer als die Bush-Regierung ist, aber viele Leute dabei vergessen, dass unter Obama die meisten und höchsten Strafzahlungen für Beziehungen zu Kuba – oder schon für den Versuch der Aufnahme von Beziehungen – verhängt wurden. Zum Beispiel die millionenschwere Strafzahlung, die gegen die französische Großbank BNP Paribas verhängt wurde. Und Frankreich hat, statt gegen diese Strafen zu protestieren, nur eins gemacht: Gezahlt. Die ganzen Vorfälle mit den Banken ING Diba oder der ING in den Niederlanden, die dürfen wir auch nicht vergessen. Denken wir an die Soli-Bewegung in Deutschland, wo es Probleme mit PayPal gab. Mal sehen, ob die EU tatsächlich entschieden hat, jetzt eine andere Haltung gegenüber Kuba einzunehmen.

Es soll auch gemeinsame Abschlüsse zu den Themen Umweltschutz, Technologie und Landwirtschaft geben. Es ist sogar ein Abkommen vorgesehen, das gemeinsame Projekte der EU mit Kuba vorsieht. Aber glasklar ist und ist auch bei der EU glasklar angekommen: Kuba wird bei keiner Verhandlung, egal worum es geht, seine Prinzipien verraten. Wir erwarten Dialog und einen zivilisierten Umgang miteinander, die Achtung von Unterschieden, der Souveränität und des Selbstbestimmungsrechts Kubas.

UZ: Mogherini hat die Blockade zu Recht als illegal gegeißelt. Wie viel ist so eine Aussage wert angesichts einer EU-Politik, die im gleichen Atemzug die Sanktionen gegen Venezuela verschärft?

Gladys Ayllón: Das ist genau der Grund, warum Kuba in diesem Dialog von Prinzipien spricht. Auch wenn Kuba dieses Abkommen unterzeichnet hat, ist es weiterhin solidarisch mit Venezuela und wird seine Unterstützung nicht ändern, genauso wenig wie die für Bolivien oder Ecuador.

Egal was passiert, unser Außenministerium wird Verlautbarungen veröffentlichen zur Unterstützung Venezuelas. Für diesen Dialog und die Beziehungen der EU zu Kuba würden wir niemals Lateinamerika oder speziell Venezuela zum Gegenstand von Verhandlungen machen. Kuba tut dies ganz öffentlich, das heißt, wir sagen nicht nur, dass wir unsere Prinzipien niemals verlassen werden, sondern wir veröffentlichen Protestnoten gegen die Maßnahmen gegen Venezuela und sind solidarisch.

Kuba ist gegenüber der EU nicht naiv. In der UNO-Vollversammlung wurde der Antrag Kubas zum Aufheben der Blockade bereits 23 mal gestellt und abgestimmt, alle EU-Staaten stimmen zugunsten dieses Antrags, unterzeichneten ihn und trotzdem machen sie dann genau das Gegenteil. Weil sie dieses Vorgehen zulassen.

UZ: Kuba befindet sich zur Zeit in einer Übergangsphase. Es werden demnächst keine Teilnehmer der Revolution mehr an der Spitze des Staates stehen, im April soll Raúl Castros Nachfolger gewählt werden. Wie gestaltet sich dieser Übergang?

Gladys Ayllón: Mir gefällt das Wort „Übergang“ nicht. Was wir in Kuba erleben ist Kontinuität. Von Außen gucken die Leute und meinen es wäre ein neuer Prozess, aber in Kuba fühlen wir uns alle als Teil der revolutionären Führung. Das betrifft sogar diejenigen, die nicht Mitglieder der Kommunistischen Partei Kubas sind. Das ist der Grund, warum wir bei den Wahlprozessen in Kuba keine Kandidaten der PCC aufstellen. Diejenigen, die als Kandidaten zur Wahl der Nationalversammlung aufgestellt werden und schließlich auch eine Führungsposition im Land bekommen, kommen immer aus dem Volk. Es gibt auch keinen Wahlkampf. In jeder Gemeinde, in jedem Ortsteil werden diejenigen, die sich zur Wahl stellen, bekannt gemacht durch eine DIN-A4-Seite mit ihrer Biografie und einem Foto. Es ist also ein transparenter Prozess.

Das ist sozusagen ein weiteres Recht, das wir haben, dass jeder, der eine Verantwortung übernimmt – bis zur höchsten Ebene – von unten nach oben schrittweise gewählt wird. Unser Präsident, Raúl Castro Ruz, hat bei seinem ersten Amtsantritt gesagt, dass er diese Funktion für zwei Perioden wahrnehmen wird. Damit war völlig klar, dass dann auch Wahlen stattfinden werden. In diesem Zusammenhang erinnere ich immer gerne daran, dass Fidel in vollem Bewusstsein seiner Aufgaben und seiner Fähigkeiten gesagt hat, dass er nicht wieder zur Präsidentschaftswahl kandidieren wird und wir Kubaner selber gefragt haben, „Was machen wir jetzt bloß, wenn Fidel nicht mehr der Staatschef ist?“. Fidel hat aber entspannt und offen dargelegt, dass es Zeit war, jemand anderem die Führung des Landes zu übertragen und dass die nachfolgenden Generationen entsprechend auf diese Aufgabe vorbereitet werden müssen. Das zeigt, dass er volles Vertrauen in die Kubanerinnen und Kubaner hatte.

Außerhalb des Landes haben die Medien, die internationale Presse, ganz große Nebelkerzen geworfen und Fragen gestellt, wie es denn nun weitergehen soll. Die Mittel, die die USA für subversive Aktionen gerade unter der Jugend bereit stellen, sind zu diesem Zeitpunkt in die Höhe geschossen. Trotzdem hat Kuba seinen demokratischen Prozess ganz normal weitergeführt.

In der jetzt auslaufenden Legislaturperiode ist es so, dass von den 605 Abgeordneten 338 das erste Mal im Parlament und knapp 41 Prozent im Alter zwischen 18 und 35 Jahren sind. Das Durchschnittsalter der Parlamentsabgeordneten beträgt 49 Jahre, das heißt, wir haben ein junges Parlament. Für eine Bevölkerung von knapp 12 Millionen Einwohnern ist es ein Riesenparlament, aber darin sind auch alle Lebenswirklichkeiten Kubas vertreten.

Man muss hervorheben, dass wir für die anstehenden Wahlen vier Kandidaten haben, die aus dem nichtstaatlichen Bereich kommen, den viele als „Privatwirtschaft“ bezeichnen. Auch sie werden also ihre Vertreter im Parlament haben. Und ich glaube, was Kuba bis heute besonders prägt und auszeichnet ist die Solidarität der Menschen untereinander, eine Solidarität, die über den Unterschieden steht.

Manchmal werde ich gefragt ob Kuba eine Diktatur ist. Ja, wir haben die Diktatur des Volkes. Ich glaube, dass deswegen Fidel immer „Diktator“ genannt wurde, weil er dem Volk das Handwerkszeug gegeben hat, sich zu verteidigen: Die Bildung. Weil er den Menschen beigebracht hat zu denken. Und das ist für jede Art von Staatsführung eine Herausforderung, weil die Menschen sich ihre eigene Meinung bilden, weil sie bessere Kenntnisse über die internationale Politik bekommen. Denn wir haben die Möglichkeit Vergleiche zu ziehen mit der ganzen Welt. Das ist die Bildung und die Anleitung zum Denken und Handeln, die wir von unserer Regierung bekommen haben.

Wir wären sehr naiv, wenn wir zuließen, dass man unser kubanisches System kaputtmacht. Die Stärke Kubas besteht darin, dass Probleme festgestellt und kubanische Lösungen dafür gefunden werden – und es gibt viele Probleme, für die wir eine Lösung brauchen.

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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"„Die Frau auf Kuba hat Macht“", UZ vom 2. März 2018



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