Die Werbekampagne der Bundeswehrwehr „Weil du es kannst“ läuft auf Hochtouren. Über das, was das zukünftige Kanonenfutter zu erwarten hat, erfährt man nichts. „Bei uns hast du die Chance, das Maximum aus dir herauszuholen, deine Grenzen zu erkennen – und sie zu überwinden.“ Gut, dass es Ziele gibt im Leben, „denn jedes einzelne Ziel, das wir verfolgen, bringt dich auch persönlich weiter“.
Die, die ihr Leben im Dreck der Schlachtfelder gelassen haben, können später nicht mehr erzählen, wie die NATO sie „weiter“gebracht hat. Diejenigen, die Tod und Verwundung entkommen sind, sind psychisch gezeichnet. In der gerade laufenden vierten Staffel des NDR-Podcasts „Killed in Action“ geht es um die deutschen Soldaten, die im Kosovo, in Afghanistan und Mali durch ein Kriegstrauma ihren Lebenswillen verloren haben.
Das zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft getretene „Soldatenentschädigungsgesetz“ (SEG) nennt ein Kriegstrauma schlicht eine „Wehrdienstbeschädigung“. Weniger schlicht nannte man es in den Heereslazaretten im Ersten Weltkrieg abwertend „Kriegszittern“ und schickte die vermeintlich simulierenden Patienten wieder zurück in die Schützengräben. Sichtbare Wunden hatten sie nicht, dafür eine Vielzahl auffälliger Symptome: Körperzittern, Stottern, Selbsttötungsgedanken, Schreianfälle, Bewegungsstörungen und Teillähmungen. Manche waren ohne äußere Einwirkung von einer Sekunde auf die andere erblindet oder taub geworden. Das 1919 erschienene „Handbuch der Ärztlichen Erfahrungen im Weltkriege 1914/1918“ vermerkt, dass die Fronterlebnisse bei etwa 300.000 deutschen Kriegsheimkehrern zu Nervenerkrankungen geführt hatten. 5.000 von ihnen, die in den Folgejahren in die Psychiatrie eingewiesen wurden, fielen im NS-Staat der Krankenmordaktion „T4“ zum Opfer.
Im Zweiten Weltkrieg stieg die Zahl der bei der Wehrmacht auftretenden psychisch bedingten Organneurosen derart an, dass die Heeressanitätsinspektion Sonderbataillone aus erkrankten Soldaten bildete, die im rückwärtigen Bereich mit Wachaufgaben betraut wurden. Für schwere Fälle sahen die „Richtlinien für die Beurteilung von Soldaten mit seelisch-nervösen Abartigkeiten (Psychopathen)“ von 1943 die Einweisung in ein Konzentrationslager oder eine „Heil- und Pflegeanstalt“ vor.
Massenhafte psychische Erkrankungen („Posttraumatische Belastungsstörung“ – PTBS) bei Soldaten, aber auch Zivilisten gehören zur Natur des Krieges. Wie das US-„Journal of Traumatic Stress“ im März 2022 anlässlich einer Studie über 43.000 Vietnam-Veteranen berichtete, litten auch 50 Jahre nach Kriegsende noch etwa ein Fünftel der ursprünglich Erkrankten an der oft hartnäckigen PTBS. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr haben diese Kriegserkrankung nach Deutschland zurückgebracht.
Laut den Berechnungen der NDR-Redaktion wurden seit 2011 knapp 2.800 einsatzbedingte PTBS-Erkrankungen gezählt, laut Bundeswehrstudien liegen die Schätzungen um 10.000 höher. Damit wäre jeder zehnte Bundeswehrsoldat mit Afghanistan-Erfahrung betroffen. Je häufiger der Fronteinsatz, desto höher die Erkrankungsquote. Eine Untersuchung – so die US-Fachzeitschrift „Psychiatric Times“ im November 2020 – hat ergeben, dass 70 Prozent der amerikanischen Afghanistan-Veteranen über Symptome der PTBS klagen. „Sie brachten enorme Opfer und der Fall Afghanistans lässt sie nachdenken, ob all das, was sie taten, es wert war. Das führt zu Depression und Wut.“
Eine Wut, die bei den deutschen Rückkehrern aus Afghanistan noch steigerungsfähig ist, wenn sie die Deckung der Arzt- und Therapiekosten oder eine Entschädigung erstreiten müssen. Fast zwei Jahre liegen durchschnittlich zwischen Antrag und Bescheid. Wegen der häufigen Ablehnungsbescheide schließt sich ein zwischen zwei und fünf Jahren dauerndes Gerichtsverfahren an. Und falls man nach Jahren doch noch durchdringt, gibt es bei einer PTBS-bedingten Erwerbsunfähigkeitsquote zwischen 30 Prozent (418 Euro monatlich) und 60 Prozent (837 Euro monatlich). Wer darunter bleibt, geht leer aus.
Ganz anders als in den schmucken olivgrünen Werbeanzeigen: Nicht „Weil du es kannst“, sondern „weil sie es können“ – weggeworfen nach Gebrauch. So auch ein deutscher Afghanistan-Veteran, dessen Entschädigung mit der Begründung abgelehnt wurde, nicht die Kriegserlebnisse seien schuld an seinem Trauma, sondern eine Neurodermitis im Kindesalter. Was er 2009 in Kundus erlebt hatte, machte er später öffentlich: „Ich habe einen Schatten anlaufen (…) sehen. War nicht klar zu definieren, was es ist. Der Richtschütze hatte quasi Freigabe und ich hab ihm quasi zugesichert, dass er sofort feuern soll, sobald halt die Person um die Ecke kam. Es war aber leider ein Kind.“