Das Theater Ost in Berlin-Adlershof hat sich inzwischen zu einer Institution entwickelt, die weit über den Ostteil der Bundeshauptstadt hinaus bekannt ist. UZ sprach mit der Künstlerischen Leiterin Kathrin Schülein über die schwierige Situation von Kulturschaffenden abseits von Mainstream und Konsum.
UZ: Am 31. Dezember feiert das Theater Ost mit einem Silvesterkonzert seinen zehnten Geburtstag. Gleichzeitig ist die Existenz eures Projektes bedroht, wie nie zuvor. Wie ist die aktuelle Situation?
Kathrin Schülein: Gegen das Theater Ost, in juristischem Sinne bin ich das, liegt eine Räumungsklage vor. Eine erste Verhandlung fand am 12. Dezember im Landgericht Berlin statt. Der Gütetermin ist allerdings gescheitert. Die Gegenseite ist nicht auf den Vorschlag meines Anwalts, einen Mediationstermin stattfinden zu lassen, eingegangen.
UZ: Wie ist es zur gerichtlichen Auseinandersetzung gekommen?
Kathrin Schülein: Der Pächter, der Architekt Stefan Klinkenberg, hat in der Vergangenheit immer wieder versucht, mit mir neue Mietverträge abzuschließen, was ich aber abgelehnt habe. Ich habe einen gültigen Mietvertrag, der auf ordentlichem Wege nicht kündbar ist und bis zum ersten Tag der geplanten Sanierung des Gebäudes gilt. Das scheint seinen Interessen zuwiderzulaufen, weshalb er nun versucht, uns mit dubiosen Mitteln aus dem Gebäude zu drängen. Die Situation stellt sich so dar:
Da die Sanierung, die Klinkenberg schon 2023 beginnen wollte, sich noch um mehrere Jahre verschieben wird, befinden wir uns in einer Zwischennutzung. Das bedeutet etwa, dass wir momentan keinen ausreichenden Brandschutz haben und/oder das Gebäude barrierefrei wäre. Wir benötigen deshalb temporäre Nutzungsgenehmigungen für den Spielbetrieb, die jeweils zwei Jahre gültig sind. Ende Mai lief diese Genehmigung aus und der Pächter weigerte sich, eine neue mittels Bauantrag zu erwirken. Das zwang mich als Mieterin in die Position der Bauherrin, um den nötigen Antrag zu stellen. Als dieser in Absprache mit dem Bauamt rechtzeitig vorlag, weigerte sich Klinkenberg zu unterschreiben. Das Land Berlin als Grundstückseigentümer lehnte die Unterschrift ab, weil es eine Angelegenheit zwischen Mieter und Vermieter sei. Die nun fehlende Genehmigung berechtigte Klinkenberg, den Mietvertrag fristlos zu kündigen und eine Räumungsklage gegen uns zu erwirken. Das ist die Situation. Das ist Kapitalismus.
UZ: Anfang des Monats hast du dich mit einem Brief an den Berliner Senat gewandt. Hast du schon eine Antwort erhalten?
Kathrin Schülein: Nein. Nur der Senat für Finanzen hat sich gemeldet und mitgeteilt, dass sie den Brief an die in dieser Angelegenheit kompetentere Senatsverwaltung für Wirtschaft weitergeleitet haben. Ich vermute, dass sich alle wegen des ausstehenden Ergebnisses der Verhandlungen zurückhalten.
UZ: In deinem Brief gehst du stark auf den Umgang mit den Menschen aus der DDR nach 1990 ein und stellst den Angriff auf euer Haus in diesen Zusammenhang.
Kathrin Schülein: Das Vorgehen von Klinkenberg erinnert sehr stark an die Zeit der frühen 1990er Jahre. Damals kapitalisierte die Treuhandanstalt ein ganzes Land und vergriff sich damit an der Würde der DDR-Bürger. Man spricht von der größten Plünderungsaktion der Welt. Im Fall des Theaters Ost läuft es nach ähnlichem Muster ab.
Das Theater befindet sich in den Räumen des 1952 eröffneten Fernsehtheaters und späteren Sendestudios der bekanntesten Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“. Diesem denkmalgeschützten Gebäude, die Urzelle des DDR-Fernsehens, das eine Architektur der DDR-Moderne darstellt und darüber hinaus das wichtigste Propagandazentrum der DDR war, hat das Kollektiv des Theaters Ost vor zehn Jahren seinen alten Geist wieder eingehaucht. Wir haben das Haus vor dem Einsturz bewahrt, haben einen Kulturstandort entwickelt mit dem Ziel, hier über ein Stück vierzigjähriger deutscher Geschichte und deren Entwicklung nach dem Mauerfall bis in die Gegenwart mittels der künstlerischen Sprache zu berichten – gegen das Vergessen.
Wir sprechen provokant von Volkseigentum, obwohl dieser Begriff in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung nicht existiert. Blicken wir jedoch in die Vergangenheit, dann stellen wir fest, dass dieses Gebäude aus dem DDR-Volksvermögen stammt. Erst 2021 konnte das Studio S5, so der eigentliche Name des Gebäudes, das sich bis dahin in den Liegenschaften des Landes Berlin befand, per Erbbaupacht an den westdeutschen Investor Klinkenberg weitergegeben werden. Gern hätten wir selbst das alte Fernsehtheater übernommen. Aber wir stammen wie alle DDR-Bürger aus dem Volkseigentum und konnten demnach kein privates Vermögen anhäufen. Uns fehlt das Geld. So wird immer wieder verhindert, dass DDR-Geborene die Gesellschaft mitgestalten können.
UZ: Warum werden die Lebensleistungen der Ostdeutschen immer noch nicht anerkannt?
Kathrin Schülein: Ich denke, es handelt sich um die immer noch währende Siegermentalität, die vor allem unserer regierenden Politik eine selbsternannte Legitimation zur Arroganz gegenüber ihren Brüdern und Schwestern im Osten ermöglicht. Erst kürzlich habe ich ein Interview mit unserem Bundeskanzler Friedrich Merz gesehen, der, als die Frage nach den politischen Plänen gegen die stagnierende Wirtschaft im Land gestellt wurde, unter anderem antwortete, dass er diese im Osten immer etwas länger erklären muss, aber das mache er ja gern. Es ist ein Problem des Kapitalismus: Wer das Kapital hat, hat die Macht. Der Osten ist wirtschaftlich weitaus schwächer als der Westen. Bis heute.
UZ: Du bist in der DDR aufgewachsen, hast Ballett und Tanz in Dresden studiert. Wie schätzt du die Kulturpolitik der DDR ein?
Kathrin Schülein: Ich habe erlebt, wie es sich anfühlt, wenn man als Künstlerin sozial abgesichert ist. In der DDR waren Kunst und Kultur als Grundrecht in der Verfassung verankert. Künstler haben ihren Beruf studiert oder mussten sich vor einer Kommission, der Konzert- und Gastspieldirektion, einer Prüfung unterziehen, um einen Berufsausweis als Künstler zu erhalten. In jedem Falle war die wirtschaftliche Sicherheit gegeben und somit der Kopf frei von existenziellen Sorgen.
In der DDR hatte jeder Zweite ein Theater-Abo. Hier gab es ein Verständnis für die Unabdingbarkeit, für die gesellschaftliche Relevanz von Kunst und Kultur. Die uneingeschränkte Teilhabe aller Menschen war durch die Festschreibung in der Verfassung garantiert. Ich erinnere nur an die unzähligen Kulturhäuser mit Stadttheatergröße, die in der DDR-Zeit auf dem Land entstanden sind, um der Bevölkerung dort den kulturellen Austausch zu bieten. Kultur als Standortfaktor. Viele dieser Kulturhäuser wurden zu Eigentumswohnungen umgebaut oder anderweitig profitabel zweckentfremdet, verfallen seit Jahren oder wurden abgerissen.
UZ: Was hast du seit 1990 erlebt?
Kathrin Schülein: Als die Mauer fiel, entdeckten meine Theaterkollegen und ich, dass unser Beruf des Bühnentänzers, der zu DDR-Zeiten nur über ein Studium an einer staatlichen Ballettschule zu erlernen und mit einem Staatsexamen abgeschlossen werden konnte, gar nicht mehr existiert. Es wurde in diesem Zusammenhang nur noch von einer Tätigkeit gesprochen. 1990 lernte ich drei Westberliner Studenten kennen, die mich neugierig über das Leben in der DDR ausfragten. Ich kam gerade von der Arbeit, einer Vorstellung im Theater, wo ich fest und unkündbar engagiert war. Nach einiger Zeit wurde ich nach meinem Beruf gefragt und erklärte ihnen meine Ausbildung als Bühnentänzerin, was die Frage nach sich zog: „Aber was machst du denn nun beruflich?“
Heute wird Kunst als Ware verstanden, muss sich rechnen, steht nicht im Grundgesetz als Grundrecht – noch nicht einmal als Staatsziel – und ist deshalb vielen Menschen nicht zugänglich. Für die meisten freien Künstler bleibt das Leben ein harter Existenzkampf, ein Kampf um Anerkennung der „Tätigkeit“ als wirkliche Arbeit, um Anerkennung der schöpferischen Leistung.
UZ: Gibt es für dich auch Kritisches an der DDR-Kulturpolitik?
Kathrin Schülein: Das wäre für mich die Frage der „Freiheit der Kunst“. Diese war spätestens seit dem 11. Plenum des Zentralkomitees der SED im Dezember 1965 nicht mehr ausreichend gegeben, weil die Kunst ab da zum Erfüllungsgehilfen einer Ideologie erklärt wurde. Allerdings sehe ich die heutige vermeintliche Freiheit der Kunst, die in Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes verankert ist, ebenso kritisch, denn sie steckt tief in einer wirtschaftlichen Abhängigkeit. Außerdem wurde vor einigen Jahren noch ein Unterpunkt hinzugefügt, der da lautet: „2. Eingriff – Eingriffe in die Kunstfreiheit können durch Verbote, Sanktionen und tatsächliche Maßnahmen erfolgen. Entsprechende Eingriffe können in vielerlei Formen auftreten, zum Beispiel Auftrittsverbote, Publikationsverbote oder strafrechtliche Verurteilungen. Sie können sowohl das Herstellen (Werkbereich) als auch das Darbieten (Wirkbereich) betreffen.“
In dieser Frage nähert sich die BRD dem real existierenden Sozialismus in der DDR an.
UZ: Wie groß ist der Druck auf Kulturschaffende heute, sich konform zu verhalten?
Kathrin Schülein: Es ist eine sehr subjektive Einschätzung und folgt einem Gefühl. Zuerst müssen wir festhalten, dass Kunst- und Kultureinrichtungen, egal ob privat oder öffentlich, mit oder ohne Förderung, mehr und mehr politische Inhalte in ihre Spielpläne aufnehmen. Das erfordert unsere Zeit, die ein Spiegeln politischer Prozesse verlangt. Erlebe ich Inszenierungen an Staats- und Landestheatern, betrachte ich deren Spielpläne, so drängt sich mir aber immer häufiger der Verdacht auf, dass eine immer einseitigere künstlerische Betrachtung stattfindet, was wie eine Instrumentalisierung der Kunst wirkt. Opportunismus aus Angst vor subtiler Ausgrenzung macht sich breit. Die Intensität dessen und der individuelle Fall mögen sich stark unterscheiden, aber auffällig ist es. Noch mehr irritiert mich, dass Künstler zunehmend von Veranstaltern, zu denen mitunter auch politische Organisationen gehören, ausgeladen werden, weil sie sich zu kritisch mit Politik und Gesellschaft auseinandersetzen.
Uns sind diese Künstler wichtig, sie finden einen Platz in unserem Spielplan. Bei uns muss alles möglich sein – auch Politisches. So ist regelmäßig zum Beispiel Gabriele Krone-Schmalz zu Gast. Neue Formate wie der „Adlershofer Politsalon“ oder das neue Format „Perspektivwechsel“ von und mit Verleger Holger Friedrich bieten Gesprächsrunden, deren Teilnehmer ein sehr breites Meinungsspektrum abbilden. All das ist uns nur möglich, weil wir nicht am Fördertopf hängen. Diese Freiheit müssen wir uns unbedingt erhalten.
UZ: Ihr habt euch als Theater Ost nicht nur mit eurem Programm in politische Auseinandersetzungen eingemischt, sondern euch während der Corona-Pandemie positioniert. Wie politisch muss Kultur sein?
Kathrin Schülein: Ein Raushalten geht nicht mehr. Wer schweigt, macht sich mitschuldig. Deutschland wird mehr und mehr von den Regierenden auf einen Krieg vorbereitet, anstatt alles dafür zu tun, ihn zu verhindern. Dieses Einschwören auf einen möglichen Krieg, aber auch andere politische Entscheidungen nehmen wir mittels der künstlerischen Sprache oder in den genannten Talkrunden aufs Korn. Und das ist auch schon die Antwort: Ja, politische Auseinandersetzung muss gerade im Theater stattfinden.
UZ: In deinem Brief an den Senat bittest du um Unterstützung, formulierst aber auch kämpferisch, dass ihr euch „das Theater Ost nicht nehmen“ lasst. Wer steht an eurer Seite und wie kann man euch unterstützen?
Kathrin Schülein: Auf Spenden sind wir immer angewiesen, weil ein Haus wie unseres enorm hohe Kosten produziert.
Uns unterstützt seit zehn Jahren Gregor Gysi. Ohne ihn wären wir wohl schon Geschichte. Er hat uns Türen geöffnet, hat mit verschiedenen Behörden oder mit dem Pächter Gespräche geführt, hat vermittelt oder uns Möglichkeiten von Plattformen gegeben. Darüber hinaus hat er regelmäßig versucht, über offizielle Wege Spenden für uns einzuholen.
Unser neuer Partner und Unterstützer, die „Berliner Zeitung“ und deren Verleger, Holger Friedrich, bringt nochmal auf neue und gehaltvolle Weise Schwung in unseren Laden. Nicht nur, dass all unsere juristischen Prozesse von der Zeitung medial begleitet werden, wir bekommen viele kleine und große Möglichkeiten, die Veranstaltungen zu bewerben. Ab Januar sind wir das neue Medienzentrum der „Berliner Zeitung“ und der Ende Januar / Anfang Februar startenden „Ostdeutsche Allgemeine“. Das macht uns nicht nur stolz, sondern spült viele neue Besucher ins Haus. So ist diese noch sehr frische Partnerschaft nicht nur ein Fels in der für uns schwierigen Zeit, sondern auch mit Blick in die Zukunft ein großes Schiff, das mit uns langsam in wirtschaftlich sichere und ruhige Gewässer segelt. Zu erwähnen ist auch die inhaltliche Übereinstimmung der „Berliner Zeitung“ und des Theaters Ost: Wir erzählen den Osten und dabei kommt jeder zu Wort.
Das Gespräch führte Björn Blach
Im Theater Ost findet am 9. Januar 2026 eine Veranstaltung der DKP statt. Zum Thema „Was bedeutet eine multipolare Weltordnung im Kampf gegen den Imperialismus?“ diskutieren ab 18 Uhr Vertreterinnen und Vertreter der Botschaften Chinas, Kubas und Vietnams.
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